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Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2019

Abfuhr für Klimagerechtigkeitsbewegung
von Angela Klein

Spätestens auf dem UN-Klimagipfel im September in New York haben die Regierenden verstanden, dass sie die Fridays for Future nicht vereinnahmen können. Das war, als ihnen Greta Thunberg auf den Kopf zurief: «Ihr habt uns verraten. Das werden wir euch nie verzeihen.»
Mit solchen Äußerungen ist sie nicht allein.

Auf dem Wirtschaftsforum der Süddeutschen Zeitung klopften sich jüngst ein Automobilchef (Renault) und ein Energiechef (RWE) gegenseitig auf die Schulter: Spätestens mit der Klimakonferenz in Paris hätten die Unternehmen verstanden, Europa könne Ausgangspunkt eines neuen, nachhaltigen Kapitalismus werden, der nicht nur auf Profit achte, sondern auch auf Umwelt und Soziales. Da hielt ihnen Franziska Wessel (15) von Fridays for Future entgegen: «Ich habe das Gefühl, Sie lügen mich hier an wie gedruckt.» Genau dasselbe hätten die Herren ein Jahr vorher auch schon sagen können, trotzdem habe sich an den Emissionen aus dem Verkehr nichts geändert.

Während die Industrie verspricht, den Klimawandel mit technologischen Mitteln aufhalten zu können und damit um Akzeptanz bei (künftigen) KäuferInnen wirbt, erteilt die Bundesregierung der Klimagerechtigkeitsbewegung eine Abfuhr nach der anderen. War schon das Klimapaketchen im Kern ein Konjunkturpaket für die Autoindustrie, droht das geplante Kohleausstiegsgesetz mit seinen verschärften Abstandsregelungen für Windräder selbst zu Kleinstsiedlungen (1000 Meter!) zum Windkraftausstiegsgesetz zu geraten. Denn es werden demnächst viele Windräder erneuert werden müssen, die innerhalb dieser Zone liegen und demzufolge nicht mehr aufgestellt werden dürften.
Ordentlich Gegenwind hat die Bundesregierung dafür nicht nur von Umweltverbänden, sondern auch vom Industrieverband BDI, dem DGB, dem Energieverband BEW und dem VDMA bekommen. Die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer, der nach Beschäftigtenzahlen größte deutsche Industriezweig, bauen natürlich gerne Windräder, das tut aber nur ein Bruchteil von ihnen. Der größere Teil baut Produktionsanlagen für Autozulieferer, und wenn die sich auf Elektromobilität umstellen müssen, müssen das die Maschinenbauer auch.
Doch anders als die großen Autokonzerne können sich die vielfach hoch spezialisierten Klein- und Mittelbetriebe deren Doppelstrategie nicht leisten: den Großteil beim Verbrennungsmotor lassen und mit dem kleinen Zeh schon mal Kapazitäten für das E-Auto aufbauen. Sie müssen sich für ein Modell entscheiden, und wenn der Umstieg auf Elektro gelingen soll – regierungsoffiziell sollen bis 2030 65 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen (heute 47 Prozent) –, kann man nicht der Windkraft den Hahn zudrehen, die den Löwenanteil (25 Prozent) dazu beisteuert.

Dem umstiegswilligen Teil des Kapitals kommen die Grünen mit ihrer Modernisierungsstrategie entgegen – das erklärt, warum sie inzwischen auch Zuspruch aus den Reihen der Union bekommen. Ihre Marschroute lautet, so das Ergebnis ihres Parteitags: ein Kohleausstiegsgesetz, Netzausbau und Planungsbeschleunigung. Vor allem versprechen sie, dass die Politik nicht länger den Beharrungskräften hinterherhinken soll, sondern «den Mut hat zu gestalten». Die Grünen wollen für den ökologischen Umbau auch die Schuldenbremse lockern, allerdings immer brav «gerade noch innerhalb der Maastricht-Kriterien». Auf dem Wirtschaftsgipfel der SZ kündigt Habeck einen Bundesinvestitionsfonds von 35 Mrd. Euro an – für Stromnetze, klimafreundliche Mobilität, die Bahn. «Dass Sie mich nicht falsch verstehen. Das sind Umstrukturierungsprozesse der Marktwirtschaft.»
Das kommt bei vielen aus der Generation der Fridays for Future gut an, vor allem bei denen, die nicht warten, bis sich Gewerkschaften in Gang gesetzt haben, sondern hier und jetzt ihren Beitrag zur Aufhaltung des Klimawandels leisten wollen. Bei ihrem Bildungsgrad und ihrem Engagement werden solche Leute entweder Revoluzzer oder Unternehmer.

Demgegenüber finden sich die Parteien der großen Koalition deutlich auf der Seite der Beharrung wieder. Die SPD sowieso, sie hat keinen eigenen Plan und folgt der Devise des IG-Metall-Vorstands: «Damit es sozialverträglich abläuft, brauchen wir viel Zeit.» Die Union ist getrieben vom Druck der AfD, die den Fridays den Kampf angesagt hat und sich zur Wortführerin all derer zu machen sucht, die sich beim Umstieg auf ein «ökologisches» Wirtschaften allein gelassen fühlen – etwa Bauern, die seit Ende Oktober mit Sternfahrten und Demonstrationen gegen das Verbot von Herbiziden, gegen die verschärfte Düngemittelverordnung, gegen das Verbot von Glyphosat und, und auf die Straße gehen. Technologische und preisliche Instrumente, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, packt die Union nur widerwillig und mit der Kneifzange an. Sie unterstützt die Strategie der großen Konzerne, die keine Geschäftsfelder verlieren und deshalb möglichst lange Übergangszeiten haben will.
Eine gewisse Unterstützung erfährt sie darin, dass ein E-Auto nachweislich viele Kilometer braucht, bis es «sauberer» ist als ein guter Diesel. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 17.11. zitiert eine neue Studie des Forschungsinstituts Joanneum, Graz in Kooperation mit dem ADAC, die die Lebenszyklen von Autos – von der Rohstoffgewinnung bis zum Recycling – mit verschiedenen Antriebsarten vergleicht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass ein mit dem bisherigen Strommix (48% erneuerbare, 52% fossile Energien) betriebenes Elektroauto 219000 Kilometer fahren muss, bevor seine Klimabilanz besser ist als die eines Diesel (der 7% Biodiesel enthält). Selbst wenn der Strom zu 100% aus erneuerbaren Energien käme, würde seine Bilanz erst ab km 40500 besser ausfallen. «Die aufwändige Produktion der Batterie und der hohe Anteil an Braun- und Steinkohle im deutschen Strommix verschlechtern die Klimabilanz der Elektroautos … die alleinige Förderung von Elektro- und Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen, wie derzeit mit dem Umweltbonus für Elektromobilität festgeschrieben, ist bei Nutzung des heutigen deutschen Strommix aus Sicht des Klimaschutzes nicht zielführend.»
Daimler hat erst gar nicht auf die E-Mobilität gesetzt, sondern sich darauf konzentriert, die Stickoxidemissionen von Dieselautos zu senken. Heute brüstet sich der Konzern damit, dass alle seine Neuwagen im realen Straßenverkehr die neue Euro 6d-TEMP-Norm erfüllen, die ab dem 1.1.2020 Vorschrift ist und einen Höchstwert von 80 Milligramm Stickoxide pro Kilometer zulässt. Für den CO2-Ausstoß ist freilich damit nichts gewonnen. Volkswagen mit seiner Kleinwagenflotte ist in die E-Mobilität eingestiegen und will an 16 Standorten Elektroautos bauen. Der Pkw-Ausstoß soll 2030 dadurch um 5 Millionen steigen (jetzt 10 Millionen). Zwei Drittel bleiben also Verbrenner.

Ob «E» oder «D» – unterm Strich verbessert sich die Klimabilanz des Verkehrssektors nicht, solange die Automobilproduktion nicht stark eingeschränkt wird. Und das kann sie nur, wenn rasch und flächendeckend die Innenstädte für den Autoverkehr gesperrt, auf Autobahnen ein Tempolimit eingeführt und das Schienennetz der Bahn wieder auf den Kilometerstand von vor der Bahnprivatisierung gebracht wird. Der Pkw-Verkehr geht nur zurück, wenn er zurückgedrängt wird.

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