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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2020

Der telegraph Nr.135/136 zum Herbst ’89 in der DDR
von Rolf Euler

30 Jahre nach der Öffnung der Berliner Mauer und den anschließenden Monaten der Hoffnung auf ein anderes Regime in der ehemaligen DDR kommt mit dem neuen telegraph die Korrektur des (oft westlichen) Blicks auf Mauerfall und deutsche Einheit.

Hier wird Klartext geschrieben über die Verfälschung der damaligen Entwicklung als «Feier» einer «Wiedervereinigung». Erinnert wird an die revolutionären Seiten der Bewegung in der DDR, an die Treuhand und die Verheerungen der wirtschaftlichen Übernahme des Betriebsvermögens des Ost-Staates, an die Verheerungen im persönlichen Erleben eines großen Teils der linken DDR-Opposition, die auch nach der Wende Opposition blieben – «Das war nicht unsere Alternative!»
Es ist auch für die SoZ wichtig, dies im 30.Jahr des Mauerfalls nochmal aufzudröseln, da unsere damaligen politischen Aktivisten zuerst und mit großer Sympathie Kontakt zu denjenigen bekamen, die als Initiative für Unabhängige Gewerkschaften (IUG) und Vereinigte Linke (VL) in den Tagen Ende 1989 und bis weit in 1990 hinein aktiv an dem Versuch beteiligt waren, innerhalb der DDR einen anderen, demokratischen Sozialismus zu schaffen.
Diese Menschen gibt es ja noch – damals in der DDR als Opposition, und heute immer noch in Opposition, aus guten revolutionären Gründen. Diese werden in der neuen Ausgabe der ebenfalls 30 Jahre alten Flug- und Zeitschrift benannt, dazu die Kritik an der Kohlschen «Wiedervereinigung» und an der Zerstörung der Wirtschaftsgrundlagen und der Arbeitsplätze in der DDR durch die Treuhand.

Wolfgang Rüddenklau berichtet über die Gründung und Vervielfältigung des telegraph als Flug- und Aktionsschrift im Herbst 1989, mit Beiträgen von mehreren Oppositionsgruppen, hergestellt in der «Umwelt-Bibliothek» im Keller der Berliner Zionsgemeinde – für uns «Wessis» bis dahin unbekannte Orte der revolutionären Entwicklung, die schon vor dem Ende der DDR oppositionelle Zentren waren.
Thomas Klein, Historiker, leistet mit einem schon 2011 geschriebenen Beitrag sowie einem neuen über die Entwicklung dieser oppositionellen Gruppen eine nötige Abgrenzung zu denjenigen, die sich im Laufe der Jahre den politischen Verhältnissen der BRD positiv anpassten, ja bis ins rechte Lager hinüberwanderten – eine Kritik- und Trauerarbeit, die vor allem ehemaligen MitstreiterInnen wie etwa Marianne Birthler gilt. Seine genaue Kenntnis der Ereignisse und Bewertung der Folgen sind umso wichtigere Ausführungen, da er den Zusammenhang zur heutigen Lage am rechten Rand der politischen Strömungen genau erfasst. Ausführlich wird noch einmal die Geschichte der VL, des Runden Tisches und der überfallartigen Einheitspolitik der westlichen Parteien erzählt, auch mit selbstkritischen Tönen bezüglich einiger Illusionen der Linken in die politische Stoßrichtung des revolutionären Umschwungs.

Für diejenigen, die sich an den Fall Bischofferode nicht mehr so genau erinnern: Helmut Höge und Max Zeising beschreiben noch einmal genau das Verbrechen, eine gutgehende, mit internationalen Absatzchancen arbeitende Kaligrube durch die Treuhand an die westdeutsche Kali&Salz zu verkaufen, die sie umgehend stilllegte, versehen mit einem Bonus von 1 Milliarde D-Mark. Die Kumpel besetzten vergebens die Grube, marschierten nach Berlin; sie mussten mit ABM und Abwickelungsarbeitsplätzen vorliebnehmen.
Die schäbige Rolle des damaligen IGBE-Vorsitzenden Berger, der als Aufsichtsratsmitglied von BASF den Bischofferöder Bergleuten «Bruch der Solidarität» vorwarf, weil sie westdeutsche Kali-Arbeitsplätze gefährdeten, war ein zusätzlicher Grund für die Wut im Eichsfeld – neben dem Wirken des westdeutschen ehemaligen RAG-Direktors Schucht, der in Thüringen Wirtschaftsminister geworden war. Die Autoren weisen nach, dass derlei Pläne schon seit 1959 (!) in den Schubladen lagen – ausgearbeitet von CDU-Ministerialbeamten für den Fall der Wiedervereinigung!
Nebenbei: Die mal wieder äußerst gelungene Sendung Die Anstalt neulich im ZDF bezog sich auf einen ähnlichen Fall von Stilllegungsverbrechen bei der Kühlschrankfabrik Foron, die von Siemens plattgemacht wurde, obwohl Foron den ersten (und damals einzigen) FCKW-freien Kühlschrank u.a. über das Versandhaus Quelle an die Bevölkerung gebracht hatte.
Ein Rück- und Ausblick auf die feministische Bewegung durch Jutta Braband, ein Blick auf anarchische und «schwarz-rote Utopien» ergänzen diese Betrachtungen ebenso wie Grafiken von Jim Avignon und eine erfreulich breite Besprechung von Filmen, die den «Osten nach dem Mauerfall» betreffen, hier insbesondere positiv die Filme Gundermann und Barbara sowie von 2019 Adam & Evelyn, die hoffentlich nicht nur in Sonderkinos gezeigt werden.

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