Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2020

VVN-BdA verliert Gemeinnützigkeit
von Ulla Jelpke

In Halle verübt ein Neonazi einen Terroranschlag auf eine Syn­agoge, zwei Menschen sterben – und in Berlin verkündet das Finanzamt, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) sei nicht länger gemeinnützig. Zugleich müssen neuerdings sämtliche Vereine, die sich «zu sehr» politisch engagieren, um ihre Gemeinnützigkeit fürchten. Attac hat es schon erwischt.

Was gemeinnützig ist, darüber hat in Deutschland der Geheimdienst mitzureden: Die Abgabenordnung regelt, dass ein Verein, der auch nur in einem der 16 Verfassungsschutzberichte von Bund und Ländern als «extremistisch» aufgeführt wird, nicht gemeinnützig sein kann.
Weil also der bayerische Inlandsgeheimdienst in seinem Bericht die VVN-BdA als «bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich Antifaschismus» darstellt – etwas, das kein anderes Landesamt so formuliert –, haben Finanzämter überall in der Republik dem Verein die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Wobei sie allerdings Spielraum haben: Zum einen nennen die Bayern die VVN-BdA nicht «extremistisch», sondern «extremistisch beeinflusst», zum anderen ist diese Behauptung «widerlegbar». Der nordrhein-westfälische Landesverband der VVN-BdA konnte das Finanzamt Oberhausen-Süd davon überzeugen, dass er keineswegs «extremistisch» ist; das für den Bundesverband zuständige Berliner Amt glaubt aber eher dem Bayern-Geheimdienst. Soviel zum Thema Rechtssicherheit.
Der Vorgang ist auch für die Fraktion DIE LINKE nicht ohne Peinlichkeit: Ihre – inzwischen aus dem Bundestag ausgeschiedenen – Vertreter im Finanzausschuss haben 2008 einhellig dieser «Extremismusklausel» in der Abgabenordnung zugestimmt. Wahrscheinlich dachten sie, es gehe gegen Neonazis, um prompt in der Extremismusfalle zu landen. Merke: wenn der bürgerliche Staat «antiextremistisch» handelt, zielt er damit stets (auch) auf Linke.
Mittelfristig geht es aber nicht nur um die VVN-BdA. Finanzminister Olaf Scholz bastelt derzeit an einer Gesetzesänderung, die den Leitspruch des Bundesfinanzhofs im Attac-Urteil bestätigen soll: Ein gemeinnütziger Verein darf nur in geringem Umfang und nur insoweit zu politischen Fragen Stellung nehmen, wie sie unmittelbar vom Vereinszweck gedeckt sind. Wer darüber hinaus Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen will, ist nicht gemeinnützig. Selbst die politische Bildung hat immer «in geistiger Offenheit» zu erfolgen. Auch hier sieht Rechtssicherheit anders aus: Darf ein Sportverein das Verbot eines Naziaufmarschs fordern oder den Ausschluss von Nazis aus seinem Trainingsgelände? Und in der Bildungsarbeit «geistig offen» gegenüber faschistischen Standpunkten aufzutreten, wäre doch wohl das Gegenteil von Gemeinnutz. Allerdings herrscht in der BRD schon längst viel zu viel «Offenheit» gegenüber extrem rechten Forderungen. In der Flüchtlings- oder Sicherheitspolitik ist die AfD ja nur der Verstärker dessen, was Union und andere Parteien von sich geben.
Scholz wirbt zudem dafür, Vereinen, die nur Männer aufnehmen, die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Auch das kann schnell zum zweischneidigen Schwert werden, wenn nicht nur einem Männerchor oder einem christlichen Herrenbund, sondern auch einer feministischen Vereinigung die Gemeinnützigkeit mit dem Argument entzogen wird, sie würde ja das andere Geschlecht ausschließen.
Die angestrebte Trennung von Politik und Gemeinnutz deutet zudem auf ein grundlegendes Misstrauen der «etablierten» Politik gegenüber einer aktiven Zivilgesellschaft. Politische Meinungsbildung soll von Parteien oder von finanzkräftigen Lobbyvereinen der Wirtschaft ausgehen, aber bitte nicht von frei assoziierten Bürgern. (Notabene: Die Gesellschaft für Wehrtechnik, die recht einseitig fordert, die «ausgelaugte» Bundeswehr «auf einen modernen und leistungsfähigen Stand zu bringen», ist selbstverständlich gemeinnützig.)
Mehr Demokratie wagen wäre hier eine sinnvolle Parole. Der Inlandsgeheimdienst darf nicht darüber entscheiden, was der Gesellschaft nützt. Der beste Schutz gegen eine Faschisierung ist eine politisch aktive Zivilgesellschaft mit einer entschlossenen, einseitig antifaschistischen Haltung.
Hingegen ist die finanzielle Schädigung eines Vereins, der sich für ein aktives Erinnern an die NS-Verbrechen einsetzt, zumal in Zeiten, in denen Neonazis aufrüsten und Geschichtsrevisionismus wieder salonfähig wird, ein Geschenk an die Naziszene.

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