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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2020

Weltkonferenz der Coca-Cola-Beschäftigten
Interview mit Jürgen Hinzer

Am 27. und 28.November fand in Paris die Weltkonferenz der Coca-Cola-Beschäftigten statt. Violetta Bock sprach mit JÜRGEN HINZER von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und Konferenzdelegierter für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Wie war‘s?

Für mich war das wirklich eine historische Konferenz. 100 Teilnehmende, überwiegend BetriebsaktivistInnen und NGOs aus aller Welt, VertreterInnen aus 24 Nationen führten eine sehr solidarische Diskussion. Keiner hat da die Weisheit mit Löffeln gefressen. Uns eint, gemeinsam Strategien gegen Coca-Cola zu entwickeln und uns gegenseitig zu unterstützen.
Neu war jetzt, dass auch Gewerkschaften, die nicht in der Internationalen Lebensmittel-Union (ILU) sind, dabei waren. Neu war auch eine Vertreterin aus Uruguay, sie berichtete, wie sie dort gegen die Privatisierung und für das Recht auf Wasser kämpfen. Ähnliches berichtete auch der Kollege aus Chile. Die Kollegen aus Thessaloniki erzählten von ihrem siebenjährigen Kampf, der weitergeht, obwohl Coca-Cola dort ein Werk geschlossen hat.
Die spanischen Kollegen berichteten von einem fünfjährigen Kampf: Der Standort in Lolambarda konnte nach fünf Jahren Kampf nicht länger gehalten werden, aber die Kollegen wurden nicht gekündigt, sondern konnten Lohnfortzahlungen durchsetzen, zum Teil für zehn Jahre, bis sie in Rente gehen. Sie erzählten auch, wie wichtig es war, dass KollegInnen aus Deutschland und Frankreich zu ihnen gekommen sind. Diese fuhren damals im Rahmen eines Warnstreiks nach Spanien, im Anschluss an den fünften Jahrestag des Streiks bei Amazon, um ihre Solidarität über Coca-Cola hinaus zu zeigen.
Jetzt auf der Konferenz war auch der Generalsekretär des gewerkschaftlichen Dachverbands CGT anwesend und forderte uns auf, internationale Solidarität mit den Auseinandersetzungen in Frankreich zu üben, weil dieser Kampf im Fall einer Niederlage Auswirkungen auf die Rente auch in anderen Ländern haben wird.

Das heißt, viele trafen sich zum ersten Mal?

Die wenigsten kannten sich vorher. Vorbereitet wurde die Konferenz sieben Jahre lang von einem kleinen Kreis, zwei von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, je zwei von der NGG und der französischen Gewerkschaft FNAF-CGT. Daher gilt auch ein besonderer Dank der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel, die die immensen Kosten fürs Dolmetschen in vier Sprachen getragen hat.
Die Konferenz hat eine Erklärung – «Coca-Cola en lutte» – verabschiedet. Es wurde ein Koordinierungskreis gegründet, der sich mit je einem Vertreter pro Kontinent einmal im Jahr trifft.

Wie sind die Arbeitsbedingungen, etwa in Deutschland?

In Deutschland arbeiten 8500 Beschäftigte, weltweit an die 200000 für Coca-Cola. Wir haben viele kleine Produktionseinheiten, und je kleiner der Betrieb, desto schwerer ist es, Solidarität herzustellen. Wenn man bei Coca-Cola beschäftigt ist, muss man fairerweise sagen, hat man relativ gute Löhne. In Deutschland ist das Problem die steigende Produktivität und Rationalisierung, das führt zu Personalabbau und Entlassungen. Aber der Kollege aus dem Kongo zum Beispiel berichtete, dass sie dort keine Festangestellten haben, keine Versicherungen, Fahrer werden nur nach verkauften Kisten bezahlt – was hier alltäglich ist, dafür muss in anderen Ländern massiv gekämpft werden.

Wie soll die praktische Solidarität aussehen?

Wir wollen intensivieren, was wir bereits begonnen haben. Als in Spanien gekämpft wurde, verteilte die NGG in Deutschland Flugblätter, in Frankfurt wurde zu einer Veranstaltung mit ihnen eingeladen, ebenso in Frankreich. Die Sekretärin der ILU stellte unsere Kampagne «Menschenrechtsverstöße bei Coca-Cola – gegen Verhinderung von Gewerkschaftsarbeit in Haiti, Indonesien, den USA» vor. Wir werden in diesem Rahmen mit dem DGB Hessen Ende April auch eine internationale Veranstaltung organisieren. Das haben wir schon letztes Jahr in Berlin mit dem Gesamtbetriebsrat gemacht, der eine vorantreibende Rolle spielt. Unser langfristiges Ziel ist, was der serbische Kollege forderte: dieselben Löhne und dieselben Arbeitsbedingungen bei Coca-Cola auf der ganzen Welt.

Das Thema Klima und Umwelt scheint sehr prominent gewesen zu sein?

Das wird von den Kollegen vorangetrieben. Schuld sind die Produktionsverhältnisse, von da muss auch der Widerstand kommen. In Deutschland etwa treten die KollegInnen für Glasflaschen ein, das schafft erstens Arbeitsplätze und ist zweitens besser für die Umwelt, bringt aber auch weniger Profit für den Konzern. Coca-Cola ist weltweit einer der größten Produzenten von Plastikflaschen, die im Endeffekt im Meer und in der Nahrung landen.

Gibt es guten Kontakt zwischen der NGG und Fridays for Future?

Wir gehen zu den Demos und sind offen für Gespräche. Es war schon immer unsere Position, dass wir eine saubere Umwelt brauchen und saubere Produkte herstellen wollen. Wenn wir das nicht in die Betriebe getragen bekommen, können Tausende um die Erde marschieren.
Wir müssen auch Antworten geben, was mit den Leuten passieren soll, die arbeitslos werden. Ich komme aus dem Braunkohlerevier im Rheinland, da hatte man früher mit Rechten nichts am Hut, heute gibt es eine Offenheit für die AfD. Umwelt- und Arbeiterbewegung gehören zusammen. Es kann nicht sein, dass man sagt, wir wollen eine saubere Umwelt, aber was mit den Leuten passiert, interessiert uns nicht.

Darf man jetzt Coca-Cola trinken oder nicht?

Ich wundere mich immer, wenn Menschen in Deutschland alternative Cola, wie Pepsi oder Fritz Cola, trinken. Bei denen gibt es oft weder Tarifverträge noch Betriebsräte. Die gehören auch zu den Menschenrechten. Bei Coca-Cola haben wir mit die besten Strukturen.
Ich bin seit über 50 Jahren bei der NGG aktiv, habe auch viel internationale Arbeit gemacht, aber so etwas wie diese Weltkonferenz habe ich zum erstenmal erlebt. Welcher Geist dort herrschte, hat man zum Abschluss gemerkt, als einer von der NGG sprach und sagte: Wir in den bestorganisierten Ländern, denen es am besten geht, haben uns um die Länder zu kümmern, in denen es am schlechtesten ist. Das war richtig emotional, «El-pueblo-unido-jamás-será-vencido»-Rufe, und dann stimmten sie alle die «Internationale» an.

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