Zum Tod der Godard Muse und Schauspielerin
von Paul Kleiser
Am 14.Dezember 2019 starb in Paris die Schauspielerin Anna Karina im Alter von 79 Jahren.
Eigentlich hieß sie Hanne Karin Bayer und stammte aus Dänemark, aber die Firma Palmolive, für die sie in Paris in jungen Jahren Werbefilme drehte, verpasste ihr den Namen, unter dem sie vor allem durch sieben Filme international bekannt wurde, die Jean-Luc Godard mit ihr gedreht hat. Diese Filme reflektieren wie wenig andere die soziale und kulturelle Situation Frankreichs zur Zeit des Gaullismus vor dem Aufstand der Studierenden 1968. Fast alle Filme, in denen sie mitspielte, wurden von früheren Filmkritikern gedreht, deren Arbeiten man später unter dem Begriff der «Nouvelle Vague» zusammenfasste.
Godard hatte Anna Karina in einem Werbespot gesehen, in dem sie in einer Badewanne sitzt und über und über mit Schaum bedeckt ist. Er wollte sie schon für seinen Erstling Außer Atem mit Jean-Paul Belmondo engagieren, doch sie lehnte ab. Ein Jahr später, 1960, trat sie dann in seinem zweiten Film Der kleine Soldat auf, der in Genf vor dem Hintergrund des Algerienkriegs spielt; in ihm bekämpfen sich zwei Geheimdienste. Der französische Deserteur Bruno gerät zwischen die Fronten; er verliebt sich in die Dänin Veronika (eben gespielt von Anna Karina). Wiewohl der Film mehr eine Reflexion übers Filmemachen ist («Kino ist Wahrheit, 24mal pro Sekunde», sagt Bruno) als ein politischer Film, wurde er wegen der kritischen Darstellung der französischen Politik von der Zensur verboten und erst nach Endes des Krieges zugelassen.
Auch im nächsten Film von Godard, Eine Frau ist eine Frau, spielte Anna Karina die Hauptrolle. Hier geht es um eine Frau, die unbedingt ein Kind haben möchte; doch eigentlich stellt der Film eine kritische französische Adaption eines US-amerikanischen Musicals dar. Karina gewann damit den Berliner Silbernen Löwen als beste Schauspielerin. Danach drehte sie mit Godard Die Geschichte der Nana S., sodann die Außenseiterbande, eine Art ironischer Antwort auf Truffauts Jules und Jim, und die Parodie auf einen Agentenfilm, Lemmy Caution gegen Alpha 60 mit Eddie Constantine. Den Höhepunkt bildete 1965 Pierrot le fou (deutscher Titel: Elf Uhr nachts), die Geschichte einer verrückten Liebe mit Jean-Paul Belmondo in der männlichen Hauptrolle. Dieser Film stellt – in den Farben Rot und Blau – eine Art Bildungsreise durch Frankreich von Paris an die Côte d’Azur dar; gleichzeitig ist er eine Analyse von Literatur, Malerei und Kino Mitte der 60er Jahre. Man findet unzählige Zitate und Anspielungen. Ähnlich wie Ingrid Bergmann bei Roberto Rossellini war Anna Karina Godards Ehefrau und Muse – bis sich durch 1968 die Godardschen Filmkonzepte grundlegend veränderten. Ihr letzter Film mit Godard war 1967 Made in USA, ein Jahr zuvor hatte sie mit Rivette die Hauptrolle in der Verfilmung von Diderots Klassiker Die Nonne übernommen; auch dieser Film wurde von der Zensur verboten.
Mit Luchino Visconti drehte sie 1967 Der Fremde, eine Verfilmung von Albert Camus› gleichnamigem Roman. 1969 arbeitete sie mit Volker Schlöndorff bei seiner Adaptation der Kleist-Novelle Michael Kohlhaas zusammen, und 1976 sehen wir sie in Rainer Werner Fassbinders Chinesisches Roulette.
Ab 1966 trat sie auch als Sängerin auf und hatte ein Jahr später großen Erfolg mit dem Lied «Sous le soleil exactement», es stammte aus einem Musical, das der Schriftsteller Serge Gainsbourg verfasst hatte. Sie schrieb mehrere Drehbücher und führte bei Vivre ensemble (1973) auch selbst Regie. Bis Ende der 90er Jahre veröffentlichte sie zudem vier Romane.
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