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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2020

Neuer «Sanierungstarifvertrag» für Karstadt/Kaufhof
von Helmut Born

Kurz vor Weihnachten gab es eine «schöne Bescherung» für die Beschäftigten der Warenhäuser von Kaufhof und Karstadt.

Die Verhandlungskommissionen von Ver.di und der Unternehmensleitung des neuen Warenhauskonzerns einigten sich auf einen neuen «Sanierungstarifvertag» mit fünfjähriger Laufzeit, der jetzt «Überleitungs- und Integrationstarifvertrag» genannt wird. So konnte erreicht werden, dass zum 1.Januar 2020, dem Datum der endgültigen Fusion, für die Beschäftigten beider Unternehmen gleich schlechte Einkommensverhältnisse bestehen. Der bisherige Sanierungstarifvertrag für die Karstadt-Beschäftigten, der erst 2021 auslaufen sollte, trat damit außer Kraft. Dafür gilt nun der neue Tarifvertrag bis Ende 2024.
Da Benko die Tarifbindung gekündigt hat, wurden die Beschäftigten von Kaufhof noch nach den Tarifverträgen des Einzelhandels, Stand Anfang 2019, bezahlt, d.h. dass sie momentan «lediglich» auf die dreiprozentige Tariferhöhung aus 2019 verzichten mussten.
Die Regelungen im einzelnen (nach Mitteilung von Ver.di):
Standortsicherung für alle Filialen bis Ende 2024.
Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen ebenfalls bis 2024.
Investitionszusage von insgesamt 700 Mio. Euro bis September 2020.
Leitende Angestellte leisten einen Beitrag zur Sanierung in Höhe von durchschnittlich rund 11 Prozent ihres Einkommens.
Für die Jahre 2020–2024 verzichten die Beschäftigten auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Ab dem 1.1.2020 werden die Entgelte der Beschäftigten von Kaufhof und Karstadt auf 97 Prozent des Flächentarifvertrags angehoben, d.h. für Kaufhof-Beschäftigte gibt es keine monatlichen Entgeltkürzungen; Beschäftigte von Karstadt erhalten eine Entgeltsteigerung von durchschnittlich 12,65 Prozent.
Verbindliche und vollständige Rückkehr in die Flächentarifverträge des Einzelhandels ab dem 1.1.2025.
In den Jahren 2021–2024 werden die in der Fläche jeweils ausgehandelten Tarifsteigerungen vollständig und ohne zeitliche Verzögerung ausbezahlt; die Tarifsteigerung von 1,8 Prozent für das Jahr 2020 wird zeitverzögert (2021 in drei Schritten) weitergegeben.
Zusätzlich werden ab 2021, nach wirtschaftlicher Lage, weitere Tarifsteigerungen sowie Anhebungen der Sonderzahlungen von einer paritätisch besetzten Kommission vereinbart.
Alle Auszubildenden erhalten 100 Prozent des Flächentarifvertrags.
Beschäftigte und gewerkschaftliche Interessenvertreter werden umfangreich an der strategischen Unternehmensentwicklung beteiligt.
Die Fremdvergabe von Flächen unterliegt der Mitbestimmung.
Der Arbeitgeber verpflichtet sich zu einer Mindestbesetzung in den Filialen.
Der Arbeitgeber verpflichtet sich verbindlich zum Abschluss eines Tarifvertrags «Gute und gesunde Arbeit».
Ver.di-Mitglieder erhalten eine Vorteilsregelung in Form eines jährlichen Einkaufgutscheins in Höhe von jeweils 270 Euro.

Das ist eine ganze Palette von Vereinbarungen, die so auch nirgendwo in Flächentarifverträgen festgeschrieben sind. Dabei bleibt abzuwarten, ob und wie die Vereinbarungen im einzelnen umgesetzt werden. Dies gilt vor allem für die Regelungen zur Beteiligung an der strategischen Unternehmensentwicklung sowie zu den möglichen Steigerungen der Einkommen nach wirtschaftlicher Lage. Die Zusage einer Investitionssumme über 700 Mio. Euro bis September dieses Jahres kann schon jetzt als erledigt gelten. Offensichtlich sind in diese Berechnung auch die Kosten für den Personalabbau und Umstrukturierungen bei Kaufhof aus 2019 mit eingeflossen. Außerdem grassiert bei Kaufhof momentan ein rigoroses Kosteneinsparungsprogramm, das manchmal sogar den regulären Betrieb der Warenhäuser gefährdet.

Ein Erfolg der Sozialpartnerschaft?
In großen Teilen der Presse wird diese Vereinbarung als Sieg für die Sozialpartnerschaft gewertet. Die Tarifparteien hätten es mal wieder verstanden, in einer schwierigen Situation eine Regelung zu finden, mit der beide Seiten leben könnten.
Da bleibt erst einmal festzuhalten, dass zuallerst die Beschäftigten die Zeche bezahlen müssen. Nicht nur, dass im Kaufhof 2019 ein radikaler Personalabbau durchgesetzt wurde, jetzt sind die Beschäftigten auch noch mit schmerzhaften Einkommenskürzungen für die Dauer von fünf Jahren konfrontiert. Und das in einer Branche, in der die Einkommen nach wie vor im unteren Bereich der Einkommensskala angesiedelt sind und in der hauptsächlich Frauen arbeiten. Die Kürzungen der Einkommen sind das einzige, was verlässlich in diesem Tarifvertrag vereinbart wurde.
Die ganzen Regelungen zur Unternehmensstrategie und Mitbestimmung bei der Gestaltung der Filialen können getrost als Trostpflästerchen bezeichnet werden. Was ist denn, wenn ein Betriebsrat fordert, dass eine Filiale modernisiert werden soll und die Unternehmensleitung stellt kein Geld zur Verfügung? Dann ist die Mitbestimmung schon am Ende.
Interessant ist auch, dass über die Höhe der Miete, die Benko mit seiner Immobilien GmbH kassiert, kein einziges Wort in der Vereinbarung steht. Darüber wird Benko auch in Zukunft, wie bisher bei Karstadt, seinen Hauptgewinn realisieren und kann damit auch die Ergebnisse des Handelsgeschäfts bestimmen.
Benko wollte noch mehr – und Ver.di keinen Kampf für Tarifbindung.
Dass das Ergebnis nicht noch schlimmer ausgefallen ist, ist dem hinhaltenden Widerstand der ehrenamtlichen KollegInnen in den Tarifkommissionen zu verdanken. Hatten sie doch bis kurz vor Verhandlungsschluss darauf bestanden, dass in beiden Unternehmen ab dem 1.1.2020 wieder die Flächentarifverträge des Einzelhandels gelten sollen. Dafür hätte Ver.di allerdings bereit sein müssen, einen wirklich harten Kampf zu führen. Dazu war die Ver.di-Führung nicht bereit – das mussten die KollegInnen Mitte Dezember erfahren, als ihnen von der Ver.di-Führung untersagt wurde, länger als einen Tag zu streiken. Ver.di hatte sich entschieden und wollte den Tarifvertrag mit Benko abschließen.

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