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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2020

An den Rand notiert
von Rolf Euler

Bei der in diesen Wochen vordringlichen Beschäftigung mit den Feuern in Australien fällt noch ein anderes Bild des Klimawandels auf: das der bedrohten Küsten.

Ende Oktober veröffentlichte die Homepage von Climate Central neue Untersuchungen, wonach wegen der Klimaentwicklung der erwartete Meeresanstieg höher ausfallen und schon in den kommenden 30 Jahren schlimmere Folgen für mehr Menschen haben wird als bisher angenommen (https://climatecentral.org/pdfs/2019CoastalDEMReport.pdf).
Wer sich die dazu gehörige Karte der deutschen Küsten ansieht, wird einen Schock bekommen: Rot gekennzeichnet, und damit tiefer gelegen als die erwartete Normalflut, sind große Teile des Norddeutschen Tieflands: Ostfriesland, die Wesermarsch bis Bremen, die Elbmarsch bis hinter Hamburg und die gesamte westliche schleswig-holsteinische Küste. Sämtliche Nordseeinseln. Wohn- und Wirtschaftsgebiet von Hunderttausenden Menschen würde überflutet.
Es bleiben in den betroffenen Gebieten schmale helle Streifen: die Geestrücken. Etwa von Cuxhaven-Altenwalde bis zur Lamstedter Börde. Oder die Wingst im Hadelner Land. Oder zwischen Oldenburg und Aurich. Diese Teile der norddeutschen Tiefebene, die die Eiszeiten hinterlassen haben, würden dann aus dem Meer wie bisher die Inseln vor der Küste ragen.
Schon seit vielen hundert Jahren haben Menschen dem Meer und den Sturmfluten Gelände abgerungen und teilweise auch wieder verloren. Die Wesermarsch nördlich von Bremerhaven heißt «Land Wursten», weil dort Häuser und Kirchen auf künstliche Erdhügel, die Wurften oder Warften, gebaut wurden. Mehrere Dörfer im östlichen Kreisgebiet Cuxhavens liegen im sogenannten «Sietland» – Land, das schon immer unter Normalnull lag und nur durch künstliche Entwässerung bei Flut halbwegs trocken blieb, der Landwirtschaft zugänglich. In Dorum in der Wesermarsch gibt es das Deichmuseum zu besichtigen, das die mühselige, dauernde Arbeit der Menschen beim Deichbau zeigt.
Alles das mahnt: Wenn der Klimawandel so weiter geht – und es gibt Anzeichen, dass selbst ein schneller Ausstieg aus den klimaschädlichen Produktionen nicht mehr das 1,5-Prozent-Ziel schaffen kann – bleibt den betroffenen Menschen entweder der Rückzug auf den Geestrücken, oder eine massive Erhöhung der Deiche. Denn es geht ja nicht nur darum, dass die normale Flut immer höher auflaufen wird, sondern dass die zu erwartenden Sturmfluten noch deutlich höher ausfallen als bisher.
Das ist sicher «gar nichts» gegen die Lage z.B. in Südasien, dort werden hunderte Millionen Menschen fliehen müssen. Die Rote Karte der Wissenschaftler von Climate Central kommt möglicherweise zu spät – die bisherigen politischen Maßnahmen in Deutschland heißen für die Betroffenen: zusammenrücken auf dem Geestrücken…

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