Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2020

Eine kleine Geschichte der Unterschätzung
von Albrecht Kieser*

Da schießt kurz vor Silvester 2019/2020, am 30.12., ein älterer Herr einen jungen Mann nach einem Streit in die Schulter und geht dann zurück in sein Haus am Rheinufer in Köln-Porz.

Der junge Mann, 20 Jahre, hatte mit drei anderen Musik gehört, vielleicht lauter als üblich, vielleicht nur zu laut für den Schützen. Der ältere Herr ist 72 und Mandatsträger im Bezirksparlament des Kölner Stadtteils. Ein ruhiger und höflicher Mann, nie aufbrausend, attestieren ihm seine Kollegen aus CDU und SPD. Nach ein paar Tagen stellt sich heraus: Er ist Mitglied der CDU und sitzt für sie im Bezirksparlament, ist aktiv im ortsansässigen Schützenverein und hat vier angemeldete und eine illegale Waffe im Haus. Aber er bleibt ein netter älterer Herr. Mehr ist über ihn vorerst nicht zu sagen. Gut zehn Tage lang.
Über das Opfer ist viel mehr zu sagen. Jedenfalls meint das der Kölner Stadtanzeiger. Das Opfer «ist polizeibekannt» und «soll osteuropäische Wurzeln haben und einen deutschen Pass besitzen», berichtet das Blatt am 4.Januar 2020. Aha.
Sehr freundlich äußert sich die Staatsanwaltschaft Köln in einem ersten Statement. Man werde weder wegen Mordes noch wegen versuchten Totschlags ermitteln, sondern nur wegen schwerer Körperverletzung. Der Schütze sei ja «von seiner Tötungsabsicht zurückgetreten». Aha. Weil er nicht ein zweites Mal abgedrückt hat, 30 Zentimeter mehr in die Mitte, Richtung Herz oder Kopf.
Der Täter schweigt.
Was allerdings von der Antifa sehr schnell ermittelt und auch der Presse mitgeteilt wird: Der Täter hat zumindest bis 2017 jede Menge rassistischer Kommentare auf Facebook eingestellt, gerne gegen die «zu lasche» Flüchtlingspolitik, überhaupt gegen Flüchtlinge, gerne auch Likes für AfD-Aktivitäten.
Diese Erkenntnisse finden erst einmal keinen Eingang in die Kölner Lokalpresse. Hier wird acht Tage nach der Tat, am 7.1., nur folgende neue Information mitgeteilt: «Der Tatverdächtige hat den renommierten Medienanwalt Ralf Höcker eingeschaltet.» «Renommiert», aha.
Ralf Höcker ist Medienanwalt in Köln. Wenn Medienanwälte gute Arbeit machen, dann treten sie Bettkantenjournalisten auf die Füße. Manche Medienanwälte aber machen einen anderen Job: sie behindern kritischen Journalismus.
«Ralf Höcker hält es für seinen Job, Journalisten zu beeinflussen, indem er sie bedroht», schrieb die Stiftung Warentest über das Verfahren, das der Anwalt gegen sie anstrengte. Höcker verteidigte in diesem Verfahren einen Finanzmakler. Höcker verteidigt auch AfDler. In wachsender Zahl. Die Stuttgarter Wochenzeitung Kontext, die der Taz beiliegt, hat enthüllt, dass der Nazi Marcel Grauf für zwei AfD-Abgeordnete im Landtag von Baden-Württemberg arbeitet. Grauf postet gerne Nazisprüche in den sozialen Medien. Zum Beispiel meint er (Zitat): «Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde.» Grauf reichert seine Ergüsse gern mit Hitlergruß-Emojis an.
Höcker verteidigt den Nazi Grauf. Er setzt den Streitwert des Verfahrens gegen die Wochenzeitung Kontext, die die Sprüche von Graf veröffentlicht hat, auf 260000 Euro an. Das treibt die Redaktion von Kontext fast in den Ruin.
Höcker erklärt in einem Interview, wie er seinen Job sieht: «Natürlich ist es meine Aufgabe, Journalisten zu drohen. Ich drohe mit einstweiligen Verfügungen, Gegendarstellungen, Schmerzensgeld, Schadenersatz, was auch immer.»
Höcker hielt am 11.Mai 2019 auf einer Konferenz der AfD-Fraktion im Bundestag eine Rede. Die Konferenz hieß absurderweise «1.Konferenz der freien Medien». Noch absurder der Vortrag von Höcker: «Für journalistische Ethik und gegen Fake-News.»
Höcker ist CDU-Mitglied und Pressesprecher der Werte-Union der Partei. Hans-Georg Maaßen, der Ex-Präsident des Verfassungsschutzes hockt ebenfalls in diesem Verein. Maaßen hockt auch im Büro von Höcker, seit Oktober 2019.
All das hätte der Kölner Stadtanzeiger auch wissen können, es ist kein Geheimnis und erfordert keine wochenlangen investigativen Recherchen. Von den rassistischen Sprüchen des Porzer CDU-Manns hätte sie ebenfalls wissen können, das Netz war voll davon.
Aber genau hier liegt das Problem. Der erste Reflex auf eine solche Tat scheint bei vielen Wohlanständigen immer noch zu sein: den Täter in Schutz nehmen, das Opfer diffamieren. Die NSU-Berichterstattung lässt grüßen. Es mag daran liegen, dass man das Offensichtliche nicht glauben möchte, dass man nicht wahrhaben will, wie weit ins bürgerliche Lager rassistisches Gedankengut und rassistische Gewaltbereitschaft eingedrungen sind.
Beim Opfer hat sich der Stadtanzeiger bis heute nicht entschuldigt, die Informationen über die rassistischen Sprüche des Täters wurden immerhin nachgereicht. Aber Ralf Höcker bleibt weiterhin «renommiert».
Am 14.Januar hat die Kölner Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft den Fall übernommen und prüft, ob der Täter aus rassistischen Motiven geschossen hat. Das Opfer hatte im WDR darüber berichtet, der CDU-Mann habe ihn als «Scheißkanaken» und als «Dreckpack» bezeichnet.
Auch der Kölner Stadtanzeiger meldet diese Wende. Was den Verfasser der kleinen Meldung geritten haben mag, dem Opfer erneut eine «polnische Staatsangehörigkeit» anzukleben, mag er selber wissen. Die Information ist in diesem Kontext ohne Wert. Sie wirkt zumindest auf mich wie eine erneute rassistische Ausgrenzung des Opfers.

* Der Autor ist Journalist in Köln.

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