Polnische Regierung will unbequeme Richter loswerden
von Artur Nowak*
Im vergangenen Jahr hat das Oberste Gericht in Polen in zwei Urteilen einen Spruch des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg umgesetzt, der die seit 2015 von der mit absoluter Mehrheit regierenden Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (PiS) angestrengten Justizreform betrifft.
Der EuGH hatte im Herbst 2018 befunden, dass die Justizreform in Teilen mit EU-Recht nicht kompatibel sei, weil sie die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stelle. Ein Urteil betraf die Zusammensetzung des Nationalen Justizrats; ein zweites, das am 5.Dezember 2019 gesprochen wurde, betraf die neu geschaffene Disziplinarkammer. Das Oberste Gericht befand, die neu geschaffene Disziplinarkammer dürfe Richter nicht maßregeln und nicht absetzen. Daraufhin beschloss das polnische Parlament noch Mitte Dezember das sog. Maulkorbgesetz.
Die polnische national-katholische Rechte, die seit über fünf Jahren regiert, hat sich in ihrer zweiten Amtszeit die Gerichte vorgenommen. Justiz und freie Medien sind die letzten Bastionen der Demokratie östlich der Oder. Der Führer des herrschenden Lagers, Jaroslaw Kaczynski, hat entschieden, dass «die Reform der Gerichte für Polen so notwendig ist wie die Luft zum Atmen». Dieser Abgeordnete, der sonst keine offizielle Funktion innehat, wird nicht ruhen, bis er die totale Kontrolle über jeden Bereich des öffentlichen Lebens erlangt hat.
Als der Oppositionsabgeordnete Borys Budka im Juli 2017 ihn daran erinnerte, solange sein Bruder, der ehemalige Präsident und Rechtsprofessor Lech Kaczynski, gelebt hätte, habe niemand gewagt, die Hand gegen die Gerichtsbarkeit zu erheben, reagierte Jaroslaw wie eine Furie: «Bringt eure verräterischen Morde nicht in Verbindung mit dem Namen meines Bruders seligen Gedenkens, ihr habt ihn zerstört, ihr habt ihn ermordet, ihr seid Schurken.»
Seit mehreren Jahren führen die von Kaczynskis Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (PiS) übernommenen öffentlichen Medien eine beispiellose Kampagne zur Herabwürdigung der Autorität der Richter. Einzelne Richter, die in Ladendiebstahl verwickelt waren, wurden in den Medien als repräsentatives Beispiel für die moralische Verkommenheit dieser Berufsgruppe vorgeführt. Sie werden auch als Erben des Repressionsapparats des alten Regimes bezeichnet. Interessanterweise war es aber Kaczynski, der nach der Auflösung des Verfassungsgerichts im Jahr 2015 ein ehemaliges Mitglied des Exekutivorgans der früheren Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, den Provinz- und Bezirksstaatsanwalt in Krosno, Stanislaw Piotrowicz, zum Vorsitzenden der Kommission für Justiz und Menschenrechte und vor einigen Wochen zum Richter am Verfassungsgericht machte. Piotrowicz hatte in den 80er Jahren die demokratische Opposition aktiv bekämpft.
Jeder Vorwand ist gut, um Richter zu attackieren. Als die Gerichte eine Entscheidung der öffentlichen Verwaltung, Kundgebungen für die Gleichstellung der Geschlechter in vielen polnischen Städten zu verbieten, aufhoben, meinte Kaczynski, die Gerichte seien von LGBT-Ideologie beeinflusst. Mit solchen Behauptungen will er die katholische Kirche in Polen stärken – mit Privilegien für die Kirche und mit der Untätigkeit des Staates gegenüber der Pädophilie des Klerus erkauft er sich dessen Schweigen zum Abbau der Demokratie.
Die neuen Organe
Mit dem Gesetz vom 15.Juli bzw. (novelliert) vom 8.Dezember 2017 wurde der Nationale Justizrat neu bestimmt, die Disziplinarkammer als dritte Kammer des Obersten Gerichts eingeführt und die Altersgrenze für Richter auf 65 bzw. 60 Jahre herabgesetzt.
Der neue Nationale Justizrat ist von der Regierung abhängig. Er ersetzt den vorhergehenden Rat, dessen Amtszeit verkürzt wurde. 15 seiner Mitglieder werden nun von der Legislative und der Exekutive ernannt. Die Liste der Personen, die für den Rat vorgeschlagen wurden, wurde geheim gehalten. Auch der Mechanismus ihrer Nominierung ist umstritten, künftig sollen die Richter von ihren Untergebenen und von Mitarbeitern des Justizministeriums nominiert werden. Das Ergebnis ist, dass der Nationale Justizrat vom Europäischen Netz der Justizräte ausgeschlossen wurde.
Die Disziplinarkammer soll Disziplinarmaßnahmen gegen Richterinnen und Richter überwachen. Das Gremium kann jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen. Ernannt werden ihre Mitglieder vom Präsidenten der Republik, ausgewählt werden sie vom Nationalen Justizrat. Im neuen Gesetz ist ausschließlich die Disziplinarkammer für die Ernennung der Richter des Obersten Gerichts und des Obersten Verwaltungsgerichts zuständig. Dies war zuvor Aufgabe des Obersten Gerichtshofs gewesen. Die Disziplinarkammer wurde mit neuen Richtern besetzt, keiner der früheren Richter des Obersten Gerichtshofs wurde in der Kammer Mitglied.
Die große Mehrheit der Justiz ist gegen die sog. Justizreform. Die Regierungspartei hingegen hat Angst vor den Richtern, die die Entscheidungen des Nationalen Justizrats und der Disziplinarkammer nicht anerkennen und weiter ihres Amtes walten.
Das Disziplinargesetz
Ungeachtet der ablehnenden Urteile des Obersten Gerichtshofs sowie des Europäischen Gerichtshofs brachte die Regierung Mitte Dezember 2019 innerhalb nur eines Tages das sog. Maulkorbgesetz durchs Parlament. Das Gesetz sieht vor, dass Richter für Handlungen oder Unterlassungen, die das Justizwesen behindern oder beeinträchtigen, disziplinarisch belangt werden können, ebenso, wenn sie die Ernennung eines Richters in Frage stellen oder für «öffentlichen Tätigkeiten» nachgehen, «die mit den Grundsätzen der Unabhängigkeit der Gerichte unvereinbar sind».
Wird der Status eines Richters oder seine Befugnis zur Rechtsausübung in Frage gestellt, entscheidet künftig die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts über seine Weiterbeschäftigung. Richtern, die sich auflehnen, wird mit einer Versetzung oder der Entfernung aus dem Beruf gedroht. Handelt es sich um ein Richter des Obersten Gerichtshofs, muss er seines Amtes enthoben werden. Die Befugnis, Anträge auf Aufhebung der Immunität von Richtern und Staatsanwälten zu prüfen, wurde der Disziplinarkammer übertragen.
Darüber hinaus ändern die neuen Regeln auch die Grundsätze für die Wahl des Ersten Präsidenten am Obersten Gerichtshof in einer Weise, dass ein dem Regierungslager genehmer Kandidat mit dem Amt betraut werden kann. Das Gesetz verbietet, dass der Oberste Gerichtshof oder eine andere Justizbehörde die Rechtmäßigkeit von Gerichten und Tribunalen oder die Rechtmäßigkeit der Ernennung eines Richters und seiner Befugnisse in Frage stellen kann.
Das Gesetz wurde im Sejm ohne jede öffentliche Konsultation innerhalb von 24 Stunden verabschiedet. Um den Konsultationsprozess zu umgehen, wurde es als ein Entwurf von Abgeordneten vorgestellt, obwohl es im Justizministerium verfasst wurde. Derzeit befasst sich der Senat, er hat dafür drei Monate Zeit.
Trotz der Einschüchterung des Justizkorps stellen einige Richter die Legitimität des Nationalen Justizrats und damit auch den Status der Richter, die dieser Rat ernannt hat, offen in Frage. Gegen sie werden Disziplinarverfahren eingeleitet. Viele Richter, die vor die Disziplinarkammer geladen werden, bestreiten ihnen das Recht dazu. Sie sagen eindeutig: «Ihr seid kein Gericht.» Das Land befindet sich im Chaos.
Aber Kaczynski will noch mehr. Vor nicht allzu langer Zeit kündigte der ihm blind ergebene Justizminister Zbigniew Ziobro an, zu einem späteren Zeitpunkt sei eine Änderung der Gerichtsstruktur zu erwarten. Das wird eine Gelegenheit sein, alle Richter in Polen einer Prüfung zu unterziehen und diejenigen, die rebellisch sind, zu entfernen. Damit wird die Unabhängigkeit der Justiz sterben.
All dies geschieht in Ermangelung einer wirklichen Kontrolle über die Verfassungsmäßigkeit des geplanten Gesetzes. Die derzeitige parlamentarische Mehrheit hat unrechtmäßig die Kontrolle über das Verfassungsgericht übernommen. Das vorherige Verfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass die neuen Gesetze mangelhaft zustande gekommen und deshalb verfassungswidrig sind. Seit Monaten sagt Kaczynski offen, dass er freundschaftliche Beziehungen zur neuen Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, Julia Przylebska, unterhält, die als großartige Köchin gilt und Kaczynski gastlich in ihrem Haus bewirtet.
Am 11.Januar 2020 demonstrierten auf dem «1000-Roben-Marsch» Zehntausende von Anwälten und Bürgern auf den Straßen Warschaus gegen das Gesetz zur Disziplinierung von Richtern. In Roben gekleidet, versicherten sie, dass niemand ihnen den Mund verbieten könne. Pawel Juszczyszyn, eine Ikone der rebellischen Richter, sagte klar: «Die Obrigkeit kommt und geht, also lohnt es sich, anständig zu bleiben.»
* Der Autor ist Rechtsanwalt, Schriftsteller und Publizist.
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