Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2020

Rassistische Verwertung von Seuchen
von Zhang Lijia*

Eine Schlagzeile, die China als «kranken Mann Asiens» bezeichnet, eine Karikatur mit einer chinesischen Flagge, auf der die Sterne durch Symbole des Coronavirus ersetzt sind, eine Zu­nahme fremdenfeindlicher Vorfälle gegen Chinesen: Die Epidemie scheint die hässlichere Seite im Menschen zum Vorschein ge­bracht zu haben.


Mit der globalen Verbreitung des neuen Coronavirus ist anscheinend die Furcht vor der «gelben Gefahr» zurückgekehrt. Der Ausbruch hat die unterschwellig vorhandenen Vorurteile gegenüber Asiaten, insbesondere Chinesen, wieder entfacht.
Immer wieder konnte ich auf meinen Social-Media-Mailinggruppen Berichte darüber lesen, dass Chinesen in Großbritannien verbalen und sogar physischen Angriffen ausgesetzt sind, allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Manche wurden aufgefordert, nach Hause zu gehen. Ein Student in Sheffield wurde schikaniert, weil er eine Gesichtsmaske trug. Das Praxisschild eines chinesischen Arztes wurde mit dem Symbol des Coronavirus beschmiert.
Auf der ganzen Welt kommen antichinesische Stimmungen auf. Einige Restaurants in Vietnam, Japan und Italien verweigern Chinesen den Zutritt. Eine dänische Zeitung, Jyllands-Posten, fachte die Stimmung weiter an, als sie eine Karikatur der chinesischen Flagge mit Viren anstelle der fünf Sterne veröffentlichte.
Am 3.Februar brachte das Wall Street Journal einen Leitartikel von Walter Russell Mead, der überschrieben war mit: «China ist der wahre kranke Mann Asiens. Seine Finanzmärkte sind womöglich noch gefährlicher als seine Viehmärkte.»
Es ist schockierend, dass eine große Tageszeitung eine solche Überschrift verwendet, die nicht nur die chinesische Regierung, sondern auch gewöhnliche chinesische Menschen beleidigt. Ich frage mich, ob ihr Urheber sich wirklich über den historischen Kontext des Ausdrucks «kranker Mann Asiens» im klaren ist. Er bezieht sich ursprünglich auf den schlechten Zustand Chinas im späten 19. und frühen 20.Jahrhundert, als das Land von westlichen Mächten bedrängt und von internen Spaltungen geplagt wurde.
Der Begriff ist besonders mit Ereignissen verbunden, die als nationale Demütigung gelten: der Opiumkrieg; eine Reihe von unfairen Verträgen, die die Qing-Regierung unter dem Druck und der Waffenüberlegenheit westlicher Nationen abschloss; der Brand des Alten Sommerpalasts in Peking. Bis heute empfindet das chinesische Volk die Demütigung dieser Wunden. Die Bezeichnung «kranker Mann Asiens» löst schmerzhafte Erinnerungen an die dunkelsten Tage des Landes aus. Damals bezog sich der Ausdruck auch auf die schlechte Gesundheit der chinesischen Bevölkerung, infolge extremer Armut und eines erschreckenden Mangels an Hygiene.
So wie China als der kranke Mann Asiens galt, so wurden die Chinesen als «gelbe Gefahr» bezeichnet. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts soll der deutsche Kaiser Wilhelm II. diesen Be­griff geprägt haben, als er in einem Traum sah, wie Buddha, auf einem Drachen reitend, drohte, in Europa einzufallen. Selbst wenn er den Be­griff nicht geprägt hat, hat Wilhelm II. doch die psychokulturelle Wahrnehmung der sog. zivilisierten Welt – d.h. der angelsächsischen Empires – auf den Punkt gebracht, die sich in Gefahr sah, von gelbhäutigen Ostasiaten (Chinesen und Japanern) überrannt zu werden. Er ermutigte damals die europäischen Mächte, China zu er­obern und zu kolonisieren. 1898 zwang Deutschland China, ihm für 99 Jahre 553 km² im Nordosten des Landes, darunter Qingdao, zu verpachten. Das war eine weitere nationale Demütigung.
Noch vor dem aggressiven deutschen Kaiser hatte sich jedoch in den USA die Theorie von der «asiatischen Bedrohung» ausgebreitet, verbunden mit der Forderung, die Regierung solle die Einwanderung «schmutziger gelber Horden» von Chinesen unterbinden. Weiße Gewerkschaften forderten die Ausgrenzung von Chinesen und behaupteten, chinesische Krankheiten wären ansteckender als weiße. Dies führte 1882 zum China Exclusion Act, einem Gesetz, das chinesische Arbeitskräfte von den USA fernhielt. Es trat 1943 außer Kraft, aber die alten Vorurteile bestehen weiter. Ein Leitartikel in der einflussreichen New York Tribune beschrieb bspw. 1954 die Chinesen als «unvorstellbar unzivilisiert, schmutzig und lüstern; jede Frau ist eine Prostituierte…»
In einer Besprechung des Buchs Perceptions of the East. Yellow Peril: An Archive of Anti-Asian Fear erklärt der Sinologe Leung Wing-fai: «Der Ausdruck ‹gelbe Gefahr› (manchmal ‹gelber Terror› oder ‹gelbes Gespenst›) … vermischt westliche Ängste um Sex, rassistische Furcht vor dem fremden Anderen mit dem Spenglerschen Glauben, dass der Westen dem Osten zahlenmäßig unterliegt und von ihm versklavt wird.»
Einige Experten haben darauf hingewiesen, dass nur manche Krankheitsausbrüche rassistisch verwertet werden. Das gilt für die, die ihren Ur­sprung in China hatten, wie Sars und nun das Coronavirus sowie für Ebola aus Afrika. Dies geschah jedoch nicht bei der aus Nordamerika stammenden Pandemie der Schweinegrippe oder beim «Rinderwahn» aus Großbritannien.
Wenn Millionen Chinesen leiden, sind rassistische Schlagzeilen und Kommentare doppelt unpassend und unsensibel. Sie perpetuieren nur das Stereotyp, wonach Asiaten Krankheitsträger sind. Ängste und Rassismus nähren sich gegenseitig, und beide behindern unseren Kampf gegen das Virus.

* Der Autor arbeitet in einer Raketenfabrik, ist politischer Kommentator und Autor eines Romans (Lotus). Zuerst erschienen in South China Morning Post, 16.2.2020.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.