Guter Boden und Perspektiven auf dem Land statt Logistikzentrum
Gespräch mit AktivistInnen
Seit Mai 2019 besetzen AktivistInnen in Neu-Eichenberg südlich von Hannover einen 80 Hektar großen Acker, um zu verhindern, dass hier ein Logistikgebiet entsteht. Violetta Bock sprach Ende Februar mit vier AktivistInnen, nachfolgend A., B., C., D. genannt, über ihre Erfahrungen und Motivation.
Worum geht es?
B.: Es geht darum, den Bau eines Logistikgebiets zu verhindern und den fruchtbaren Ackerboden für eine langfristige und nachhaltige Landwirtschaft zu erhalten. Der Boden hat im Schnitt 75–80 Bodenpunkte auf einer Skala von 100 Punkten. Das heißt, das ist einer der besten Böden, die wir hier in Deutschland und in Europa haben. Es ist absurd ihn zu versiegeln. Und es geht darum, hier Nahrungsmittel produzieren zu können.
C.: Die Planungen für das Logistikgebiet hatten schon 2002 angefangen, damals war das noch ein anderer Investor. Sie sind im Sande verlaufen, weil der Investor abgesprungen ist. Da dachten alle, das wird nicht mehr auf den Tisch kommen. Als die Dietz AG als neuer Investor auftrat, wurde im September 2018 jedoch mit Zustimmung der Landesregierung der Weg erneut freigemacht, die Fläche zu privatisieren. Daraufhin hat sich die Bürgerinitiative für ein lebenswertes Neu-Eichenberg gegründet; nachdem deren Demos, Petitionen und Aktionen kaum Gehör fanden, folgte später die Besetzung.
B.: Inzwischen ist auch dieser Investor abgesprungen. Das ist bereits ein Erfolg des «intensiven Protests» – die Dietz AG hat das auch damit begründet. Damit ist das Vorhaben leider noch immer nicht ganz vom Tisch, doch man sieht, dass lokal verwurzelter Protest Wirkung zeigen kann.
Wie habt ihr das geschafft?
B.: Das hat vor allem die Bürgerinitiative geschafft, in enger Zusammenarbeit mit der Bevölkerung und natürlich auch mit den BesetzerInnen.
C.: Ich glaube, es ist durch die Vielfältigkeit gelungen. Im Dorf gibt es eine lange Geschichte und immer wieder finden sich neue Leute, die sich für das Anliegen begeistern und Leute dazu bringen, auf die Straße zu gehen. Im Dezember 2018 gab es, in Zusammenarbeit mit einer Konferenz zum Thema Bodenschutz, eine Menschenkette, an der knapp 1000 Leute und 30 Trecker teilnahmen. Das ist für eine Gemeinde mit 1500 BewohnerInnen einfach riesig. Es wurde noch gesteigert durch die Besetzung, zu der die Bürgerinitiative selbst nicht in der Lage gewesen wäre, doch die verschiedenen Aktionsformate haben sich gut ergänzt, sowohl innerhalb des Dorfes, als auch medial und in Richtung Investor. Die Hartnäckigkeit aller Beteiligten spielt dabei eine große Rolle.
Ist das Logistikgebiet nun endgültig verhindert?
B.: Der Bürgermeister und große Teile der Gemeindevertretung halten nach wie vor daran fest.
D.: Im Dorf gibt es Banner pro und contra Logistikgebiet. Das hat innerhalb der Gemeinde auch zu Spaltungen geführt.
C.: CDU und SPD sind die treibenden politischen Kräfte, die das ursprünglich angefangen haben. Sonst gibt es nur noch die Grünen. Anfang des Jahres ist einer aus der CDU ausgetreten, weil er das nicht weiter vertreten konnte, und es bröckelt so langsam auch innerhalb ihrer Strukturen. Aber noch weiß man nicht, wie sie in der nächsten Gemeinderatssitzung abstimmen werden. Es braucht da auch einen demokratischen Kulturwandel. Lange konnte die SPD alles unter sich ausmachen. Die BI hat vor kurzem den dritten Dorfdialog organisiert und öffnet damit auch Diskussionen.
Aber es ist erstmal auf Eis gelegt, oder?
A.: Ende Januar wurde im Gemeinderat abgestimmt, ob die Planungen nochmal offengelegt werden oder ob es zu einer Planungspause kommt. Der Gemeinderat hat sich mit 8 zu 7 Stimmen für ein sechsmonatiges Moratorium entschieden.
B.: Das ist der erste Erfolg, den wir in der Gemeindevertretung sehen. Viele sehen das deshalb als Einstieg in den Ausstieg. Jetzt ist Luft, um Alternativen zu diskutieren. Davon gibt es mehrere: Zum einen wird an einem Solarpark mit einem kleinen Gewerbegebiet gearbeitet. Auch dabei würde der gute Ackerboden allerdings nicht für die Produktion von Nahrungsmitteln genutzt. In der Gemeinde wird außerdem ein Projekt von «Land schafft Zukunft» diskutiert. Das ist eine Gruppe von Studierenden in Witzenhausen, die an einem regenerativen Landwirtschaftskonzept arbeiten. Das wäre mit unserer Forderung vereinbar.
Was passiert in der Zwischenzeit?
A.: Für die Zwischenzeit gibt es Pachtverträge mit fünf lokalen Landwirten, die bis Ende September die 80 Hektar bewirtschaften können. Die BesetzerInnen sind davon ausgenommen, hier werden wir selbst Gemüse anbauen. Offiziell befindet sich der Acker in Landeseigentum und wird von der Hessischen Landgesellschaft (HLG) verwaltet.
C.: Das Problem dabei ist, dass seitens der HLG nichts mit uns abgesprochen wurde. Stattdessen wurde versucht, mit Provokationen und Geheimverträgen einen Keil zwischen uns und die lokalen Landwirte zu treiben. Glücklicherweise haben wir jedoch nach einigen Turbulenzen und zahllosen Gesprächsangeboten endlich mit den Landwirten zusammenkommen können. Die befürchten, wenn sie die Anordnungen der HLG nicht befolgen, dann wird die Fläche an größere, nicht ortsansässige Landwirte abgegeben. Wir haben auch Differenzen in der Frage von Pestiziden und Bewirtschaftungsform, doch uns eint der Kampf gegen die Bodenversiegelung.
Habt ihr euch auch verändert?
C.: Ich komme aus Klimagerechtigkeitskreisen und für mich war neu, mit Leuten in Kontakt zu kommen, die aus einer anderen politischen Kultur kommen, wie etwa der BI, bei denen die erste Motivation ist, dass sie das Logistikgebiet nicht vor der Tür haben wollen. Spannend war dieser Austausch verschiedener Perspektiven. Das macht eine andere Qualität von Gesellschaftsgestaltung aus, als wenn man zwar schöne Aktionen, aber unter «seinesgleichen» macht. Ich habe auch den Eindruck, dass wir hier etwas hinterlassen.
B.: Wir konnten auf Strukturen zurückgreifen, die schon existierten. Gleichzeitig versuchen wir auch, Kämpfe zu verbinden – deswegen gab es auch Workshops mit anderen Gruppen, etwa zu Arbeitskämpfen von Bauern und LandarbeiterInnen in Südspanien oder «Make Rojava green again».
D.: Es ist auch politisierend, in einer besetzten Umgebung zu wohnen, möglichst hierarchiefrei. Man lernt viel darüber, mit Konsens und Konflikt umzugehen.
C.: Ja, man lernt viel über Gruppenprozesse. System Change passiert eben nicht nur da draußen.
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