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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2020

Risiken und Nebenwirkungen heutiger Medikamentenproduktion
von Klaus Engert

Die rasend schnelle Verbreitung von Infektionskrankheiten rund um den Globus gehört zu den negativen Folgen der kapitalistischen Globalisierung. Multiresistente Erreger, die zuhauf z.B. in Indien produziert werden, begleiten die globalen Handelsreisenden in den Rest der Welt.


Die internationale Vermarktung von Medikamenten einschließlich der Werbung bei gleichzeitig zentralisierter Produktion ist kein neues Phänomen. Eine der ersten weltweiten Werbekampganen in den frühen Jahren des letzten Jahrhunderts stammt von der deutschen Firma Bayer, kurz nachdem sie von einer Farbenfabrik zum Pharmaproduzenten erweitert worden war.
In zwölf Sprachen wurde damals international für Diamorphin als Husten- und Schmerzmittel geworben, außerdem als Entzugsmittel bei Opium- und Morphinsucht. Besser bekannt wurde der Markenname, den sich Bayer 1898 schützen ließ: Heroin. Seitdem die Wahrheit über die verheerenden Folgen dieses Medikaments ruchbar wurden, wechselte es später sozusagen die Seite und ist nur noch im illegalen Handel, allerdings immer noch international, erhältlich…
In den letzten Jahrzehnten hat nun nicht nur der Konzentrationsprozess in der pharmazeutischen Industrie weiter rasant zugenommen (Kartelle wie die IG Farben gab es allerdings schon vor hundert Jahren), auch die Produktion ist schrittweise globalisiert worden. Die Pharmafirmen selbst versuchen das, so weit es geht, zu verschleiern, denn es soll nicht ruchbar werden, dass die Inhaltsstoffe einer hübschen, deutsch beschrifteten Pillenpackung unter Umständen aus einer indischen Billigfabrik stammen.
Die jüngste Krise der Medikamentenversorgung, insbesondere bei Mitteln gegen Bluthochdruck, Schmerzmitteln, Allergiemitteln, Antidepressiva, Blutzuckermedikamente – also Arzneien, die von vielen Patienten zwingend dauerhaft eingenommen werden müssen –, ist die logische Folge dieser globalisierten Form von Produktion und Distribution. Das Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) aktualisiert auf seiner Webseite regelmäßig eine Liste der Medikamente mit Lieferschwierigkeiten, diese enthält derzeit 286 Positionen (Stand 13.3.2020). Bei neun Medikamenten soll der Engpass erst im Jahr 2021 enden, bei einem sogar erst im Mai 2022.
Nicht enthalten sind dabei übrigens eine Reihe von Humanimpfstoffen, die heute zum großen Teil in Indien hergestellt werden (rund die Hälfte aller geimpften Kinder bekommt Impfstoffe aus Indien), und bei denen es ebenfalls massive Engpässe gibt.

Massenproduktion und Keime
Für diese Situation gibt es zwei Hauptgründe:
– Zum einen, dass es in der ach so ehrenwerten Pharmaindustrie auch nicht anders zugeht als bei jedem beliebigen Billigheimer in der Textilindustrie: Produziert wird da, wo es am billigsten geht. Demzufolge wird die Grundstoffproduktion in Länder mit entsprechend günstigeren Kosten verlagert – an vorderster Stelle nach Indien und China. Dass die Kosten dort niedriger sind, liegt nicht nur an den dortigen Hungerlöhnen, sondern auch daran, dass die sekundären Kosten, etwa die für den Arbeits- und Umweltschutz, geringer sind.
Das geht im übrigen nicht nur zulasten der lokalen Bevölkerung: Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung im Jahr 2017 im Zentrum der indischen Pharmaproduktion, Hyderabad in Zentralindien, deckten verheerende Zustände auf. Hyderabad selbst gibt damit an, die «Pharmahauptstadt Indiens» mit mehr als 200 Produzenten zu sein und warb in einem Video für sich mit dem Slogan: «Minimum Inspection, Maximum Facilitation» (minimale Überprüfung, maximale Unterstützung).
Das stimmt offensichtlich. Die Rechercheure gingen dem Verdacht nach, dass Pharmafabriken große Mengen an Antibiotika illegal in den umliegenden Gewässern verklappen. Gewässerproben wurden genommen und vom Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Nürnberg auf Rückstände von 25 verschiedenen Medikamenten überprüft. Ergebnis: die Wissenschaftler fanden Antibiotika in den Gewässern, und die gemessenen Konzentrationen lagen teils hundertfach oder gar mehrtausendfach über den für die jeweiligen Substanzen vorgeschlagenen Grenzwerten.
Der schwedische Umweltpharmakologe Joakim Larsson kommentierte trocken, viele der gemessenen Werte seien so hoch, dass es keine andere vernünftige Erklärung dafür gebe als Industrieabwässer.
Die Wissenschaftler haben das Wasser aber nicht nur auf Drogen untersucht, sondern auch auf Bakterien. Und da fanden sie in allen Proben gefährliche, multiresistente Erreger, also Keime, gegen die mehrere oder alle Antibiotika nicht mehr wirkten. Und die bleiben mitnichten «zuhause» – sie breiten sich weltweit aus. Nachweislich bringt eine zunehmende Zahl von Reisenden derartige Keime aus anderen Teilen der Welt mit, die WHO bezeichnet inzwischen multiresistente Erreger als eine der größten globalen Gefahren, weltweit sterben heute bereits etwa 700000 Menschen jährlich an Infektionen, bei denen die vorhandenen Mittel versagen.

Das Zeug selber herstellen
– Der zweite Grund ist die Konzentration der Produktion auf wenige, große Fabriken. Kommt es da zu einem Produktionsstopp, sei es wegen Qualitätsmängeln, Maschinenausfall oder auch derzeit wegen der Sars/Covid-19-Epidemie, stockt schlagartig ein großer Teil des Nachschubs und kann auch nicht ausreichend über andere Standorte kompensiert werden. Paradebeispiel hierfür war das Blutdruckmedikament Valsartan, das zuerst knapp wurde, weil beim Hauptproduzenten in Wuhan/China Verunreinigungen mit krebserregendem Nitrosamin festgestellt wurden. Derzeit wird erneut mit Engpässen gerechnet, weil die Produktion wegen der Epidemie stockt.
Langsam dämmert es auch deutschen Politikern, dass diese Form der Globalisierung eventuell unzumutbare Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringt, die nicht im Beipackzettel stehen. Und so wird die Forderung nach Repatriierung der Pharmaproduktion laut. Die Firmen sind dazu bereit – zu ihren Bedingungen. Der Herstellerverband Pro Generika hat 2018 bei der Unternehmensberatung Roland Berger ein Gutachten bestellt, in dem vorgeschlagen wird, die Politik solle höhere Endpreise festlegen oder besser gleich die Pharmaindustrie subventionieren. Alternativ könne der Staat ja auch direkte Zahlungen für die Bereithaltung von Reserveproduktionskapazitäten leisten.
Es gäbe natürlich eine viel einfachere Lösung, und die hat es früher in Frankreich auch gegeben. Da durften die Krankenkassen die Generika selbst produzieren und zum Selbstkostenpreis abgeben. Aber mich fragt ja wieder keiner…

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