Schließen

Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2020

Eine Broschüre zur Repression gegen Linke in der DDR sorgt für Wirbel
von Anna Ernst

Die linke Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Gesellschafts- und Herrschaftssystem der DDR hat bekanntlich ihre Tücken und Fallstricke. So auch in diesem Fall.


Ende 2016 widmete sich die Mitgliederzeitschrift der Roten Hilfe dem Thema «Repression in der DDR» und geriet darüber in eine besondere Bedrängnis, weil in der Schwerpunktausgabe vor allem ehemalige Angehörige des DDR-Staatsapparats und seiner Staatssicherheit schrieben. Von der gesamtdeutschen Linken kaum wahrgenommen, protestierten daraufhin viele Ost-Linke, dass es doch wohl nicht angehen könne, sich dermaßen als Opfer der westdeutschen Siegerjustiz darzustellen, ohne dabei auch auf die eigene Täterrolle einzugehen.
Es brauchte einige Zeit, bis die Rote Hilfe in Heft 1/2019 einen Nachschlag gab und viele kritische Beiträge auch zu Fragen der offenen und versteckten DDR-Repression gegen links bot. Während nun aber namhafte ehemalige DDR-Oppositionelle darüber zu klagen hatten, dass ihre für die Ausgabe geschriebenen Beiträge mit fragwürdigen Begründungen (man wolle keine allgemeine Bewertung der DDR oder ihrer Politik) abgelehnt wurden, ergoss sich von anderen ein regelrechter Erregungssturm gegen diese neue Ausgabe.
Nicht nur führende Kreise der DKP und der jungen Welt distanzierten sich öffentlichkeitswirksam und klagten die Rote Hilfe des Antikommunismus und des DDR-Bashings an. Auch zahlreiche eher «unverdächtige» Linke und Linkspartei-Mitglieder empörten sich nachhaltig. Die junge Welt entließ gar den bekannten linksautonomen Journalisten Markus Mohr aus der langjährigen freien Mitarbeit: Er ist im Rote-Hilfe-Heft mit einem kritischen Beitrag zur Stasi-Vergangenheit des langjährigen junge-Welt-Chefredakteurs Arnold Schölzel vertreten.
Ende 2019 nun, zum Jahrestag des Berliner Mauerfalls, veröffentlichte die Rosa-Luxemburg-Stiftung in ihrer «Materialien»-Reihe eine Broschüre, die herausgegeben wird von den bekannten linken HistorikerInnen (und ehemaligen DDR-Oppositionellen) Thomas Klein, Renate Hürtgen und Bernd Gehrke. Sie legen damit, in überarbeiteter Form, ihre damals der Zeitschrift angebotenen Beiträge vor und ergänzen diese um weitere Beiträge.

Immer noch die alten Muster
Herausgekommen ist eine kleine Publikation, die einen wirklich bemerkenswerten Überblick über mehr als 40 Jahre DDR-Geschichte bietet. Wer wissen möchte, wie und warum linke Opposition und linker Nonkonformismus in der ehemaligen DDR mit nachhaltiger Repression behandelt wurden, der sollte diese Texte unbedingt lesen, die man umsonst bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung bestellen oder als PDF-Datei herunterladen kann.
Die DDR sei ein Land gewesen, so die HerausgeberInnen in ihrem Vorwort, «aus dem das kreative und innovative Potenzial in Nischen gedrängt oder vertrieben wurde, weil eigenständige Bestrebungen dem Obrigkeitsstaat widersprachen». Und solange dieser repressive Charakter der DDR von links ignoriert oder beschönigt werde, biete man den vorherrschenden antikommunistischen Geschichtsdeutungen eine offene Flanke und könne diesen nur mit beschränkter Wirkung begegnen.
Ohne die zum Teil erheblichen Unterschiede des DDR-Systems zum System der UdSSR zu verschweigen, zeigen die Beiträge vor allem von Klein (der einen repressionsgeschichtlichen Gesamtabriss gibt und in einem zweiten Beitrag die spezifische Rationalität des DDR-Terrors gegen links aufzeigt), Gehrke (der die Unterdrückung linker Opposition von den 50er bis zu den 70er Jahren nachzeichnet) und Hürtgen (deren Beitrag den Anteil staatlicher Repression am Niedergang der bis in die 50er Jahre noch recht kämpferischen ostdeutschen Arbeiterbewegung behandelt) den systematisch antidemokratischen und antiemanzipativen Charakter des DDR-Systems auf.
Konstantin Behrends, Markus Mohr und Anne Seeck ergänzen das Tableau mit spannenden Fallbeispielen aus den 50er, 70er und 80er Jahren. Ihre Beiträge verdeutlichen den erheblichen Anteil der aus Herrschaftsgründen ausgeübten Repression. Der Terror als ein Mittel realsozialistischer Zwangsvergesellschaftung war, wie Klein schreibt, «eine herrschaftsgeleitete Reaktion auf die Wahrnehmung massiver (Loyalitäts-)Defizite»: «Der wirkliche Sinn damaliger Säuberungen war die nachhaltige Immunisierung der Kader- und Massenpartei gegen jede Form der Dissidenz im Prozess ihrer Verwandlung in ein Instrument der Bürokratie.»
Abgerundet werden die Broschürenbeiträge, die als wirksames Gegengift gegen linke Apologien dieser politbürokratischen Diktatur dienen können, durch ein Gespräch mit dem linken Historiker Christoph Jünke, der seine Thesen vom anhaltend langen Schatten des Stalinismus rekapituliert und dabei von seinen vielfältigen Erfahrungen mit Stalinisten, Philostalinisten und Antistalinisten berichtet. Stalinistisches und philostalinistisches Denken und Reden (deren Überschneidungen und Unterschiede er verdeutlicht) sieht er zu einer Form altlinker Identitätspolitik auf der einen und einer Form der jugendlich-linken «Kraft der Negation» auf der anderen Seite mutiert. Auf jeden Fall überwiege noch immer «das Relativieren, das Beschönigen und Lobpreisen» stalinistischer Praktiken und die «Denunziation antistalinistischer Kritik».
Als ob es einer Bestätigung solch harter Worte bedurfte, holte das angesprochene Milieu, im Vorfeld einer Broschürenvorstellung Ende Februar zum Gegenschlag aus. Der in der jW, im ND und anderen linken Organen gern gedruckte Journalist Markus Bernhardt griff die Berliner Veranstaltung in der DKP-Zeitung Unsere Zeit in geradezu altstalinistischer Manier massiv an. Er sprach von einer «antikommunistischen Schmutzkampagne gegen die DDR», von einer «personalisierten Verleumdungskampagne» gegen die junge Welt und ihren ehemaligen Chefredakteur. Ohne sich mit der Broschüre auseinanderzusetzen, blies er zum ebenso öffentlichen wie privaten Sturm gegen die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Rote Hilfe, während er die nicht namentlich genannten BroschürenautorInnen als «eine Reihe umstrittener Autorinnen und Autoren und selbsternannter Linker und Bürgerrechtler», als eine «Gesellschaft von antikommunistischen Hobbyhistorikern» auch persönlich denunzierte. «Feindlich-negative Elemente» eben, damals wie heute.

Bernd Gehrke, Renate Hürtgen, Thomas Klein (Hrsg.): «…feindlich-negative Elemente…» Repression gegen linke und emanzipatorische Bewegungen in der DDR. Berlin 2019 (Materialien Nr.29). Download und kostenlose Bestellung über www.rosalux.de/publikation/id/41173/feindlich-negative-elemente/.

Teile diesen Beitrag: