Nichts als Auto gegen Kuh?
von Antônio Inácio Andrioli*
Durch das Freihandelsabkommen der EU mit dem Mercosur ist vorgesehen, mehr billiges Fleisch und Soja aus Lateinamerika zu importieren – ausgerechnet Produkte, die vor Ort mit Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen verbunden sind.
Die Entwaldung des Amazonasbeckens und des Cerrado – der Savanne im Inland Südostbrasiliens – hat größtenteils mit der zunehmenden Ausweitung der Rinderzucht und der Monokulturen zu tun – eine Form landwirtschaftlicher Produktion, die in den lateinamerikanischen Ländern unter schlimmsten Produktionsbedingungen stattfindet. Das Mercosur-Abkommen steht deshalb im Widerspruch zu den wichtigsten Veränderungen, die in den letzten Jahrzehnten zugunsten des Klimaschutzes in Europa erreicht wurden.
Billige Futtermittel, die in Europa die Massentierhaltung fördern, werden meist aus gentechnisch veränderten Pflanzen mit hoher Pestizidbelastung hergestellt, was aber den Wünschen der Verbraucher in Europa widerspricht. Es hat also wenig Sinn, hier in Europa den Einsatz von Gentechnik und Pestiziden beim Anbau zu verhindern, wenn diese Produkte zunehmend durch die Hintertür hereinkommen, sei es über die Futtermittel oder sogar als billiges Fleisch, das aus der Massentierhaltung Südamerikas hier ankommt. Die sozialen und ökologischen Folgen dieser Importe müssen unbedingt berücksichtigt werden.
Ebenso müssen die Energiekosten, z.B. durch den Transport, berücksichtigt werden, denn Produkte, die nach langer Reise auf die lokalen Märkte kommen, sind zweifellos mit einer riesigen Menge fossiler Energie verbunden.
Mehr Autos nach Lateinamerika zu exportieren, steht ebenfalls im Widerspruch zum Anspruch der Länder, die sich dem Pariser Klimaschutzabkommen und damit einer erheblichen Reduzierung der CO2-Emissionen verpflichtet haben.
Die Hoffnung, durch ein Handelsabkommen autoritäre Regierungen wie in Brasilien an die Einhaltung internationaler Verpflichtungen zu binden, ist sehr naiv. Der derzeitige brasilianische Präsident hält sich nicht einmal an die eigene nationale Verfassung, geschweige denn an Umweltstandards oder Menschenrechte, die er öffentlich als Hindernis für wirtschaftliches Wachstum bezeichnet.
Außerdem führt die Einfuhr von Industriegütern aus Europa zur Zerstörung der Industrie in den Ländern des Südens, die nicht in der Lage sind, mit den europäischen Produkten zu konkurrieren. Die absehbaren Folgen sind mehr Arbeitslosigkeit, weniger Steuereinnahmen, mehr Verschuldung und die Reduzierung der Sozialleistungen des Staates.
Damit kann kein gerechter und umweltverträglicher Handel zwischen Nord und Süd stattfinden, was nur zu noch mehr sozialen und politischen Konflikten in und zwischen den Ländern führt. Ähnlich wie bei CETA und TTIP eröffnen sie keine Chancen für eine sozial und ökologisch gerechte Partnerschaft. Die einzigen wenigen Gewinner werden die internationalen Konzerne und die Großgrundbesitzer sein, während Natur, Konsumenten und besonders Kleinbauern auf beiden Seiten erheblich belastet werden.
Worum geht es bei dem Abkommen? Man nennt es Freihandel, aber es ist eigentlich die Fortsetzung eines ungerechten Welthandels zwischen zwei sehr ungleichen Kontinenten. Im Grunde sollen die Importe von Bodenschätzen und Agrarprodukten aus Lateinamerika in die EU und der Export von Industriegütern, insbesondere Autos, Autoteile, Textilien und Pharmaprodukte nach Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay erleichtert werden. In maximal 15 Jahren sollen die sog. komparativen Vorteile der beiden Wirtschaftsblöcke so ausgebaut werden, dass sich beide auf diejenigen Produkte konzentrieren, die sie mit den geringsten Kosten herstellen können.
Historisch ist daran gar nichts neu, denn die natürlichen Ressourcen Lateinamerikas werden seit Jahrhunderten von Europa geplündert. Neu daran ist, dass Regierungen es anscheinend zunehmend akzeptieren, noch mehr von großen internationalen Konzernen abzuhängen und deren Wachstumszielen zu folgen, die noch existierenden Naturressourcen möglichst effektiv in Profit umzusetzen und dazu beizutragen, dass die Ungleichheit zwischen den Kontinenten weiter zunimmt.
Regierungen in Europa scheinen in Kauf zu nehmen, dass für den Preis des Absatzes ihrer Industriegüter eine regionale, umweltschonende und sozial verträgliche Landwirtschaft aufgegeben wird, die jedoch von den meisten Konsumenten in Europa gewünscht wird.
Verheerende Auswirkungen
Welche negativen Auswirkungen hätte das Mercosur-Abkommen für die bäuerliche Landwirtschaft bzw. was würde das Abkommen in Verbindung mit Pestizideinsatz für Gen-Soja für das Klima, den Regenwald im Amazonasbecken und die Tierhaltung bedeuten?
Das Mercosur-Abkommen setzt auf die Fortsetzung der industriellen Landwirtschaft, die längst als gescheitert gilt und nicht mehr zukunftsfähig ist. Den Bauern wird es auf beiden Kontinenten schaden und sicherlich das weltweite Höfesterben vorantreiben. Somit ist auch die Ernährungssouveränität der Länder erheblich gefährdet. Billiges Fleisch aus Lateinamerika wird in Europa die lokale Produktion und die Einhaltung bisher eingeführter Standards, etwa die artgerechte Tierhaltung, erschweren, denn die Preise werden durch ein massives Überangebot weiter gedrückt.
Es werden noch mehr Futtermittel importiert, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen wie Soja und Mais bestehen, die auch stark mit Pestiziden belastet sind, von denen viele in Europa längst verboten sind. Der zunehmende Export von Futtermitteln führt zur Ausweitung von Monokulturen in Ländern wie Brasilien, wodurch immer weniger Nahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung angebaut werden und die Entwaldung zunimmt. Für die Bauern in Lateinamerika wird der Druck auf ihr Land immer größer, Natur- und Indigenen-Reservate werden bedroht und die zunehmende Landkonzentration führt zu mehr Armut und Hunger im Land.
Das Amazonasbecken und den Cerrado für die billige Fleischproduktion zu opfern, hat auch direkte Auswirkungen auf die weltweite Klimakatastrophe. In Brasilien gehören die Rinderherden und die intensive Landwirtschaft zu den wichtigsten Treibern der Entwaldung des Regenwalds.
Brasilien ist Weltmeister beim Einsatz von Pestiziden. Noch nie in der Geschichte des Landes wurden so viele Pestizide neu zugelassen wie unter der aktuellen Regierung. Wenn die deutsche Regierung tatsächlich eine Agrarwende in Deutschland anpacken will, darf sie nicht gleichzeitig die brasilianische Landwirtschaftsministerin, die in Brasilien als «Giftkönigin» bekannt ist, mit Geldern des BMZ unterstützen.
Im November hat die deutsche Regierung nämlich bei einem Treffen in Bonn einer Regierung, die sich weder den Menschenrechten noch dem Umweltschutz verpflichtet fühlt, 40 Millionen Euro als Hilfe für den Umbau zu einer nachhaltigen Landwirtschaft versprochen. Es ist ein riesiger Widerspruch, dass die deutsche Regierung, die dadurch Druck auf die brasilianische Regierung ausüben will, damit die Umweltzerstörung in Brasilien mitfinanziert.
Das Mercosur-Abkommen, das die bäuerliche Landwirtschaft sowohl in Europa als auch in Lateinamerika zerstört, muss unbedingt gestoppt werden.
Weg von der Agrarglobalisierung!
Was kann Deutschland neben einem Veto zum Mercosur-Abkommen sonst noch für die Landwirtschaft in Brasilien tun? Wie würde sich eine Agrarwende positiv auf die Landwirtschaft in Brasilien und Südamerika auswirken?
Das derzeit geplante Mercosur-Abkommen zu verhindern gehört zu den wichtigsten Maßnahmen unserer Zeit, um den Naturschutz und die Menschenrechte auf beiden Seiten des Atlantiks zu fördern. Denn Autos und Industriegüter aus Deutschland gegen billiges Fleisch und Soja aus Brasilien zu tauschen, schadet den Bauern sowohl hier als auch dort. Eine Änderung der internationalen Agrarpolitik zugunsten einer regionalen Landwirtschaft, also eine Abkehr von der Agrarglobalisierung, könnte eine Lösung sein.
Konkrete Ansätze wie die Reduzierung von Fleischkonsum, Massentierhaltung und Sojaimporten, wenn sie mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung verbunden sind, können erheblich dazu beitragen, dass die Bauern sowohl in Brasilien als auch in Europa bessere Chancen haben.
In Europa müssen Tierprodukte immer noch nicht gekennzeichnet werden, wenn den Tieren gentechnisch verändertes Futtermittel verfüttert wurde. Das ist ein Schlupfloch, das gestopft werden muss, denn dadurch werden die Verbraucher getäuscht und betrogen. Eine Kennzeichnung von genmanipulierten Tierprodukten hätte auch positive Auswirkungen auf die Landwirtschaft in Brasilien – dazu kann Deutschland entscheidend beitragen.
Auch die finanzielle Unterstützung der Bauern in Deutschland beim Übergang zum Ökolandbau wäre eine wichtige Maßnahme, denn solche Veränderungen in Europa wirken vorbildlich positiv auf die Erhaltung einer kleinstrukturierten bäuerlichen Landwirtschaft in Lateinamerika, die letzendlich für die Produktion der meisten Lebensmittel in den Ländern zuständig ist.
Das Wissen über den Ökolandbau kann auch den lateinamerikanischen Bauern dabei helfen, nachhaltiger zu produzieren, sich besser und gesünder zu ernähren und ein gerechteres Einkommen zu erzielen.
Die Einrichtung eines Kompetenzentrums für Kleinbauern mit dem Ziel, agrarökologische Produktionsmethoden zu entwickeln, wäre in Lateinamerika sehr wichtig. Bei dessen Ausbau könnte das BMZ vielleicht einen wichtigen Beitrag für eine solidarische Welt in den Ländern des Südens leisten.
Die Erhaltung der bäuerlichen Landwirtschaft weltweit, die mit gesunden Böden das Klima schützt, ist die beste Maßnahme für eine zukunftsfähige Lebenmittelproduktion und gleichzeitig für den Umweltschutz und einen gerechten Welthandel. Eine sozial gerechte und ökologische EU-Agrarreform sollte darauf basieren, kleine Bauernhöfe zu fördern, Insekten zu schützen und das Klima zu retten.
Alternativen sind vorhanden, aber Regierungen müssen stärker die Initiative ergreifen, denn sie verfügen über die Steuerungsinstrumente. Schulen und alle staatlichen Einrichtungen könnten z.B. die Lebensmittel für Kantinen und Mensen direkt von den Bauern oder deren Kooperationen kaufen, statt von Konzernen. Eine gute Erfahrung haben wir in Brasilien mit dem Schulspeisungsgesetz gemacht, wir könnten sicherlich vieles voneinander lernen. Daher sollten die Entscheidungen nicht den Konzernen und deren Lobbyisten überlassen werden, denn sie folgen ganz anderen Interessen, als sie der gesamten Gesellschaft entsprechen.
Deshab ist ein Veto zum Mercosur-Abkommen auch ein Zeichen für mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit!
* Der Autor lebt in Brasilien, ist Agrartechniker und setzt sich mit den Auswirkungen der Gentechnik auf Mensch und Umwelt auseinander.