Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2020

Familienleben in Corona-Zeiten
Interview mit einem Familienvater

Wie geht eine Familie mit den Einschränkungen durch Corona um? Das wollte Larissa-Peiffer-Rüssmann wissen und interviewte den Vater einer vierköpfigen Familie mit Zwillingen im Alter von elf Jahren.

Beide Elternteile sind berufstätig, der Vater in Vollzeit in einem Großbetrieb, die Mutter in Teilzeit in einem Kleinbetrieb. Beide Elternteile arbeiten z.Z. zu Hause. Die Familie lebt in Hamburg in einer Mietwohnung normalen Zuschnitts mit vier Zimmern, insgesamt 90 Quadratmeter. Zum Zeitpunkt des Interviews waren alle Hamburger SchülerInnen schon vier Wochen vom Schulbesuch ausgeschlossen. Über Home-Schooling werden die Kinder digital betreut.

Wie stellt sich eure derzeitige Berufstätigkeit dar?

Wir arbeiten z.Z. beide von zu Hause, sogenanntes mobiles Arbeiten. Das unterscheidet sich vom Home-Office dadurch, dass man beim echten Home-Office einen speziell vom Arbeitgeber eingerichteten Arbeitsplatz hat. Das haben wir nicht, d.h. wir müssen gucken, wie wir den provisorischen Arbeitsplatz in unserer normalen Wohnung unterbringen.
Das betrifft auch die Ausstattung. Meine Frau hat ihren PC und den Monitor aus dem Betrieb mit nach Hause genommen. Hier benutzt sie unseren Drucker. Bei mir ist das anders: Ich habe mein Arbeits-Notebook mit Kopfhörer, auch ein betriebliches Smartphone. Aber ich darf keine privaten Geräte an den Computer anschließen. Deshalb habe ich hier keinen zusätzlichen Monitor, keine große Tastatur und auch keinen Drucker zur Verfügung. Das erschwert natürlich die Arbeit etwas.
Ich habe Zugriff auf alle E-Mails und auf alle Dateien. Wir haben Meetings über den Computer, aber ohne Video. Was fehlt, ist der direkte Austausch mit den Kollegen. Wir versuchen als Team, einmal am Tag einen Gruppen-Call für 20 Minuten zu machen, um uns über Aktuelles auszutauschen. Da geht es um Meldungen, die vor allem die aktuelle Situation betreffen.
Wenn man zu Hause arbeitet, ist es manchmal schwerer, sich zu motivieren als im normalen Arbeitsumfeld, die gewohnte Arbeitsumgebung fehlt. Gleichzeitig ist zu Hause auch der Druck höher, Ergebnisse zu erreichen. Wenn man auf der Arbeit ist und mal einen Tag hat, der nicht so effektiv ist, z.B. weil man auf Ergebnisse von anderen wartet, um selber weiter arbeiten zu können, ist man trotzdem da und hat seine Arbeitsleistung erbracht. Wenn man zu Hause ist, muss man sich für die Ergebnisse gegebenenfalls rechtfertigen.
Hinzu kommt, dass jetzt im Hintergrund auch die wirtschaftliche Unsicherheit steht. Wie wird es weitergehen? Wird sich die Situation in drei/vier Wochen wieder normalisieren oder wird sich das länger hinziehen? Bei mir ist es inzwischen so, dass Kurzarbeit bereits angekündigt ist.

Wie gestaltet sich der Alltag der Kinder ohne Schulbesuch? Hat jedes Kind ein eigenes Gerät, um die Verbindung zur Schule herzustellen?

Die Kinder bekommen ihre Aufgaben von den LehrerInnen. Es gibt eine Webseite, wo die Aufgabe eingestellt werden. Die Eltern müssen gucken, was eingestellt wurde. Das muss heruntergeladen und ausgedruckt werden. Dann müssen wir gemeinsam überlegen, welche Aufgaben an welchem Tag bearbeitet werden und in welcher Reihenfolge, das ist ein hoher Organisationsaufwand. Wir haben festgestellt, dass es besser ist, wenn wir am Abend den nächsten Tag planen, das machen wir gemeinsam mit den Kindern.
Wir versuchen den Tag gemäß der Struktur des Schultags zu organisieren, d.h. die Kinder arbeiten in drei Lernblöcken mit jeweils einer Doppelstunde und den entsprechenden Pausen. Schwierig für uns Eltern ist dabei folgendes: Die Kinder haben natürlich auch mal Fragen und man kann Kindern nicht sagen, sammelt die Fragen und dann kommt ihr in anderthalb Stunden zu uns. Manchmal brauchen sie die Antwort sofort, um weiterarbeiten zu können. So kommt es, dass wir in unserer Arbeit auch gestört werden. Praktisch läuft es bei uns so, dass ich normal arbeiten kann, während meine Frau häufiger gestört wird und damit weniger zu ihrer eigenen Arbeit kommt.
Die Kinder selber empfinden das Arbeiten als anstrengender, weil wir auch nicht immer sofort Zeit haben. Sie sagen, dass die Lehrer das besser erklären können, was auch daran liegt, dass diese natürlich mit den Aufgaben besser vertraut und auf Fragen eingestellt sind. Gleichzeitig sagen sie: Die Lehrer können gar nicht einschätzen, was wir schaffen können, denn sie kriegen das ja gar nicht mit.
Ganz klar ist, dass die Kinder Unterstützung brauchen, ohne geht es gar nicht, nicht nur in der Organisation, auch inhaltlich, wenn sie an den Themen arbeiten. Die bearbeiteten Aufgaben müssen dann eingescannt und per E-Mail geschickt oder hochgeladen werden. Die Rückmeldung erfolgt persönlich oder sie ist an alle gerichtet.
Unsere Kinder kriegen auch mit, dass es für andere oft viel schwieriger ist – wenn es Einzelkinder sind oder die Geschwister ein ganz anderes Alter haben, oder die Kinder mit nur einem Elternteil leben. Obwohl unsere beiden Kinder sehr selbständig arbeiten, brauchen sie bei der Arbeit für die Schule auch immer wieder Betreuung zwischendurch, was uns das konzentrierte Arbeiten erschwert.
Unsere Situation ist dadurch etwas leichter, weil die Kinder gleich alt sind. Für Eltern mit unterschiedlich alten Kindern ist es sehr viel schwerer, denn diese Kinder arbeiten in verschiedenen Jahrgängen mit unterschiedlichen Inhalten. Den Arbeitsumfang schätzen die Kinder eher etwas niedriger ein, weil sie ja zusätzlich zur Schulzeit z.Z. keine Nachmittagsaufgaben haben. Aber manchmal schaffen sie die Aufgaben nicht in der Normalschulzeit, dann müssen sie doch am Nachmittag arbeiten. Insgesamt ist das Arbeitspensum etwas geringer, aber es ist anstrengender. Vorteilhaft ist, dass die Kinder sich die Pausen freier einteilen können, sie können auch mal eine Pause etwas länger machen, das ist kein Problem.
Unsere Kinder haben kein eigenes Gerät, sie müssen unseren PC benutzen. Auf diesem sind aber auch unsere Daten. Einen zusätzlichen PC bekommen wir z.Z. aber gar nicht, weil alles ausverkauft ist. Die Lieferzeiten sind lang und die Preise sehr hoch.

Die Familie ist den ganzen Tag zu Hause und alle müssen umfassend versorgt werden, weil Kantinen- und Mensaessen entfällt. Was bedeutet für euch dieser Mehraufwand neben der Berufstätigkeit?

Das ist sehr anstrengend, das muss ich auf jeden Fall feststellen. Erstens kann man die Kinder, während sie für die Schule arbeiten, nicht allein lassen. Wir müssen natürlich für alle kochen. Wir ernähren uns zwar gesünder als mit Kantinen- und Mensaessen, aber es ist täglich ein hoher Arbeitsaufwand. Es ist auch insgesamt mehr, denn wir müssen uns ja den ganzen Tag über zu Hause versorgen und folgerichtig auch mehr einkaufen.
Außerdem wird die Wohnung durch den Daueraufenthalt von vier Personen schneller schmutzig, die Küche muss häufiger aufgeräumt werden. Der Arbeitsaufwand für den Haushalt ist insgesamt viel höher als normalerweise.
Wir müssen jetzt auch häufiger online einkaufen und da haben sich die Bedingungen geändert. Manchmal bekommen wir die Nachricht, dass erst in einem Monat geliefert werden kann. Vieles ist jetzt auch teurer, vor allem alle Spiele für draußen, die sind dann oft um die Hälfte teurer als vorher.

Ihr seid im Gegensatz zum normalen Alltag tagsüber ständig zusammen. Wie empfindet ihr diese neue Situation?

Das hat Vor- und Nachteile. Auch die Kinder stellen fest, dass wir uns häufiger in die Quere kommen, da gibt es auch schon mal Streit. Gegenseitige Störungen gibt es nicht nur in bezug auf unsere Arbeit, wenn die Kinder Fragen haben. Auch die Kinder selbst fühlen sich gestört, wenn wir bspw. etwas im Haushalt machen, miteinander reden oder auch mal streiten.
Der Vorteil ist, dass wir mehr gemeinsame Familienzeit haben. Wir gehen täglich zusammen raus, zum Glück haben wir einen Park vor der Türe. Wir gehen jeden zweiten Tag zusammen joggen, das haben wir sonst nicht gemacht. Wir Erwachsenen können ja unsere normalen sportlichen Aktivitäten nicht machen, kein Fitnessstudio, die Sportkurse finden auch nicht statt. Für gemeinsame Unternehmungen sind wir etwas flexibler in der Zeiteinteilung.

Wie erleben die Kinder diesen veränderten Alltag ohne direkte Kontakte zu ihrem Freundeskreis?

Den Kindern fehlt der Kontakt zu ihren Freunden sehr. Manchmal machen sie Videokonferenzen, aber auch das ist nicht immer einfach. Dann gibt es Kinder, die zu Hause wenig Spielmöglichkeiten haben, die rufen häufiger an, und manchmal passt es dann gar nicht; auch das muss organisiert werden. Wann können die Kinder miteinander telefonieren, wann einen Video-Chat zusammen machen? Unsere Kinder haben den Vorteil, dass sie gleich alt sind und gemeinsame Interessen haben. Sie können zusammen spielen, aber jetzt eben nur zu zweit. Sie spielen Fußball, klettern oder gehen in den Park.
Trotz aller Einschränkungen sind sie immer noch gut gelaunt. Aber nicht alle Nachbarn sind verständnisvoll. Ein Beispiel: Die Kinder wollen vor dem Haus etwas Ball spielen. Unten wohnt eine Familie mit einem kleinen Kind. Wenn der Junge schläft, sagt die Nachbarin: «Geht bitte woanders hin!» Dann nehmen sie Rücksicht, gehen woanders hin, dann heißt es dort: «Spielt doch vor eurem Haus!» Noch hält sich ein solches Verhalten in Grenzen. Die Kinder nehmen es halt so hin.

Nimmt euer jeweiliger Betrieb Rücksicht auf die Familiensituation?

Organisatorisch gibt es keine Unterstützung, damit müssen wir selber klarkommen. Der Arbeitgeber ermöglicht es, dass wir von zu Hause arbeiten. Der Zeitrahmen dafür wurde erweitert.
Meine Frau hat ihre Arbeitszeit im Rahmen ihrer bereits geleisteten Überstunden reduziert, d.h. sie arbeitet nicht ihre normale Arbeitszeit. Ich mache von dieser Möglichkeit in geringerem Maße Gebrauch.
Früher oder später wird es wahrscheinlich Kurzarbeit geben. Das bedeutet natürlich auch weniger Geld. Wir haben keine große Wohnung, das macht die Arbeit schwierig, andererseits zahlen wir auch keinen Kredit ab und können so etwas entspannter auf das gucken, was noch auf uns zukommt. Wenn wir Kurzarbeit bekommen und 70 (oder 67) Prozent des Nettogehalts kriegen, kommen wir trotzdem noch über die Runden.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.