Gesundheit darf keine Ware sein!
von Larissa Peiffer-Rüssmann
Im April lief in den Medien eine makabre Diskussion um die Frage, was passiert, wenn Betten mit Beatmungsgeräten für Corona-Patienten knapp werden.
Involviert in die Diskussion war einerseits der Ethikrat, ein 2001 eingerichtetes staatliches Beratungsgremium aus Naturwissenschaftlern, Theologen und Juristen, und andererseits die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).
Der Ethikrat stellt fest: «Jedes Leben ist gleichviel wert.» Im Verlauf seiner Ausführungen gewinne ich aber den Eindruck, dass einige «gleicher» sind. So werden bestimmte Bevölkerungsgruppen im Rahmen der überlebenswichtigen Behandlung als «nicht beatmungsfähig» eingestuft. Die Auswahl soll anhand der «Erfolgsaussicht» durch die Intensivmediziner erfolgen. Zwar soll das Alter der Patienten keine Rolle spielen, gleichzeitig ist aber von «Gebrechlichkeit» und «Begleiterkrankungen» die Rede. Gegen solche Kriterien hat der Ethikrat keine Bedenken. Der Zynismus geht sogar so weit, dass sich der Ethikrat auch vorstellen kann, dass ein bereits künstlich beatmeter Patient auf das Gerät zugunsten eines anderen verzichten muss. Für die DIVI wäre ein solcher Auswahlprozess rechtmäßig.
Vor meinem inneren Auge sehe ich mich im Rahmen einer Erkrankung durch den Corona-Virus auf einer Intensivstation, angeschlossen an ein Beamtmungsgerät. Um mein Bett stehen die für mich zuständigen Intensivmediziner. Ich habe keinerlei Vorerkrankungen, aber… ich bin über 80 Jahre. Ich schaue in besorgte Gesichter, einer schüttelt den Kopf, ihm sind die Erfolgsaussichten zu gering. Es warten bereits weitere Patienten auf die lebensrettende Beatmung. Die Entscheidung fällt gegen mich aus: keine gesicherten Erfolgsaussichten! Obwohl sich in den Vorschlägen der DIVI folgender Passus findet: «Eine Priorisierung ist aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes … nicht zulässig allein aufgrund des kalendarischen Alters oder aufgrund sozialer Kriterien.»
Doch wenn die lebenswichtigen Ressourcen knapp sind, müssen Entscheidungen getroffen werden, es kommt zur Corona-Triage. Es werden die Patienten vorrangig behandelt, die die größte Aussicht auf einen Behandlungserfolg haben.
In dieser ganzen unsäglichen Diskussion vermisse ich die Aufklärung über die wahren Gründe dieses Entscheidungsdilemmas. Jahrelang wurde das Gesundheitswesen nach betriebswirtschaftlichen Kriterien marktgerecht saniert. Es kam zu einem massiven Zuwachs an Privatkliniken, die sich nur privat Versicherte und Reiche leisten können. Gleichzeitig erleben wir bis heute die Schließung unzähliger kommunaler Krankenhäuser und eine Erhöhung des Drucks auf die verbliebenen öffentlichen Kliniken, nach betriebswirtschaftlicher Effizienz zu kalkulieren. All das führte zu einer Überlastung des Pflegepersonals durch Verdichtung der Arbeit bei gleichzeitig schlechter, nicht angemessener Bezahlung.
Bis Mitte der 80er Jahre war es gesetzlich verboten, in Kliniken Gewinne zu machen. Dahin müssen wir zurück: Gesundheit darf keine Ware sein! Wir brauchen eine angemessene und kostenlose Krankenversorgung für alle, unabhängig von Alter und sozialem Status.
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