Erste Abkehr von der neoliberalen Politik
von Kalle Kunkel
Dieser Vortrag wurde auf der Ökosozialistischen Konferenz der ISO am 10.Mai gehalten.
Ich will nicht über das Gesundheitswesen reden, sondern über die Krankenhäuser. Schon allein deswegen, weil wir wieder Allgemeinplätze ausbreiten würden, wenn wir jetzt übers Gesundheitswesen im allgemeinen reden. Denn die Möglichkeiten, die sich grade auftun, sind sehr spezifisch. Und da sind wir im Krankenhausbereich in einer völlig anderen Situation als im ambulanten Bereich, und in einer wiederum anderen Situation als im Altenpflegebereich.
Die Krankenhäuser stehen in dieser Corona-Krise ziemlich im Mittelpunkt der Diskussion. Schon gleich am Anfang der Krise hat es sehr starke Diskussionen um die Fragen gegeben: Gibt es genügend Krankenhausbetten, gibt es genügend Kapazitäten, wie ist das eigentlich im europäischen Vergleich, wie steht man gegenüber Italien da, wo die Kapazitäten ganz offensichtlich nicht ausgereicht haben, zumindest in Norditalien…?
Damit hat sich eine Entwicklung verschärft, die schon in den Jahren davor angefangen hat. Mindestens in den letzten zehn Jahren war, wenn über Krankenhäuser geredet wurde, immer vor allen Dingen von der Arbeitssituation dort die Rede, das haben wir aus gewerkschaftlicher Perspektive auch stark vorangetrieben, auch über die Kämpfe und die Streiks um Personalbemessung, die dort stattgefunden haben.
In den letzten ein bis zwei Jahren standen aber zunehmend nicht mehr nur die Arbeitsbedingungen auf der Agenda, sondern die Krankenhausstrukturen selbst. Die Bertelsmann-Stiftung und die Leopoldina-Stiftung haben Papiere in Umlauf gebracht, in denen es hieß, eigentlich kann man, je nach Rechnung, 30-50 Prozent der Krankenhausstandorte schließen, es gibt viel zu viele Betten. Im Grundsatz sind das alte Debatten, die gibt es schon seit den späten 70er Jahren. Sie haben aber nochmal neue Fahrt aufgenommen, weil die neoliberalen Gesundheitspolitiker versuchen, den Personalmangel als eine Chance zu begreifen für eine Strukturbereinigung im Krankenhausbereich, indem sie sagen: Naja, wenn wir die Überkapazitäten, die wir im europäischen Vergleich haben, abbauen würden, hätten wir auch genügend Personal. Wir haben also nicht das Problem, dass wir zu wenig Personal haben, sondern es gibt zu viele Krankenhäuser bzw. Krankenhausbetten.
Mit dieser Argumentation sind sie natürlich durch Corona erst einmal ein bißchen in die Defensive geraten, haben sich aber in den letzten Wochen schon wieder ganz gut sortiert, so dass die Situation jetzt offen ist.
Geld macht man mit Kranken
Was durch Corona in den Mittelpunkt gerückt ist, ist, dass die Krankenhäuser Teil einer gesellschaftlichen Infrastruktur sind. Diese gesellschaftliche Infrastruktur ist durch einen Grundwiderspruch geprägt: zum einen leisten wir sie uns, aber eigentlich hätten wir am liebsten, dass wir da nie hin müssen. Das Fallpauschalensystem, also die Finanzierung der Krankenhäuser, dreht diese Logik jedoch um, indem sie nämlich nach sog. Leistung bezahlt. Man kann darüber streiten, was diese Leistung genau ist, aber nach Leistung bezahlen heißt eben, dass es für die Krankenhäuser ein Problem ist, wenn es keine Kranken gibt. Denn sie haben nur Einkünfte, wenn sie behandeln können und dafür Erlöse generieren.
Das Problem bei der Krankenhaussteuerung fängt also nicht erst mit den Gewinnen an, es fängt schon mit der Erlösorientierung an, dass die Krankenhäuser darauf angewiesen sind, Fälle abrechnen zu können, mit denen sie Geld verdienen. Das führt im nächsten Schritt dazu, dass sich Krankenhäuser spezialisieren und Private auf den Markt gekommen sind, um in diesem System Profite machen zu können. Aber das erste Problem ist bereits die Erlösorientierung.
Diese Erlösorientierung ist in der Coronakrise massiv in die Krise geraten. Die Ansage von Gesundheitsminister Spahn war: Liebe Krankenhäuser, macht jetzt mal alle Betten frei, die ihr frei machen könnt, damit wir Platz haben für die Corona-Fälle, die kommen. Das ist in diesem Finanzierungssystem aber nicht abbildbar. Es war eine sehr spannende Auseinandersetzung, die da Mitte März stattgefunden hat, als den Krankenhäusern gesagt wurde, macht eure Betten frei. Denn die Krankenhäuser haben daraufhin gesagt, wenn wir die frei machen, können wir das wirtschaftlich nicht tragen. Deshalb wurde es im zweiten Schritt notwendig, das Fallpauschalensystem in seinen Wirkungen zu suspendieren. Um diese Suspendierung hat es massive Konflikte gegeben, weil es zum ersten Mal von Seiten der Krankenhäuser, und zwar in der ganzen Breite, also von seiten der Krankenhausgesellschaft die Forderung gab, das Fallpauschalensystem auszusetzen.
Die Krankenhäuser waren immer radikale Verfechter des Fallpauschalensystems und sie wurden darin zum Teil sogar von der AOK unterstützt. Nun aber wurden sie ziemlich massiv von den anderen Krankenkassen zurückgepfiffen, man hat gesehen, dass es da einen Konflikt im hegemonialen Block der Krankenhauspolitik gibt. In diesem Konflikt hat sich das Gesundheitsministerium durchlaviert, indem es einen Mechanismus etabliert hat, der die Erlösorientierung suspendiert, aber gleichzeitig das Fallpauschalensystem aufrechterhält.
Wie alle solche Halbheiten hat das zur Konsequenz, dass ein extrem komplexes System entsteht, von dem unklar ist, wer davon profitiert und wer darunter leiden wird. Es hängt sehr stark davon ab, mit wieviel Gewinn man das gemacht hat, ob man Fälle mit hohen Kosten hatte usw. usf. Deswegen wird sich dieser Konflikt auch weiter hinziehen.
Konflikte im hegemonialen Block
Wir haben jetzt die Situation, dass die neoliberale Ideologie des Lean Management einerseits in die Defensive geraten ist, zum andern aber Akteure wie die Krankenhausgesellschaft auftreten, die nicht auf unserer Seite stehen, die aber ein eigenes Interesse daran haben, dass dieses System unterhöhlt oder im besten Fall sogar ausgesetzt wird. Die fordern ja tatsächlich die Aussetzung des Fallpauschalensystems bis Ende des Jahres, und es ist davon auszugehen, dass das Gesundheitsministerium das deswegen nicht gemacht hat, weil sie Angst haben, wenn sie das System einmal aussetzen, kriegen sie es danach nie wieder in Gang.
Es gibt also massive Kämpfe, auch im herrschenden Block. Gleichzeitig gibt es unsere Auseinandersetzung von unten, die ja weiter geht. Da treffen diese Konflikte auf eine Situation, wo wir durch unsere Kämpfe schon angefangen hatten, das System zu unterhöhlen. Seit Anfang des Jahres wird z.B. die Pflege in den Krankenhäusern, auch wegen unserer Streiks, nicht mehr nach Fallpauschalen bezahlt, sondern wieder nach dem Selbstkostendeckungsprinzip; das heißt mit der Pflegefinanzierung können keine Gewinne mehr gemacht werden. Die Pflege ist der zweitgrößte Kostenfaktor in einem Krankenhaussystem, und die ist aus den Fallpauschalen rausgenommen worden. Ungefähr 20 Prozent des Budgets sind somit wieder in einem bedarfsorientierten System.
Der Obertheoretiker der gesetzlichen Krankenkassen, die massive Verfechter der Vermarktlichungsstrategie sind, hat das als Meteoriteneinschlag in das Fallpauschalensystem bezeichnet, und damit trifft er einen Punkt. Das ist eines der wenigen Felder, auf denen wir mit unseren Kämpfen tatsächlich eine Paradigmenverschiebung geschafft haben. Hier haben wir nicht nur ein bisschen mehr vom Kuchen abgekriegt, sondern es gibt eine erste Abkehr von den letzten 20-30 Jahren neoliberale Krankenhauspolitik.
Vergesellschaftung oder ein anderes Finanzierungssystem?
Mit der jetzigen Diskussion um Corona drängt noch eine zweite Frage in den Mittelpunkt und das ist die der gesellschaftlichen Planung. Man kann das Gesundheitssystem nämlich nicht dem Markt überlassen, denn Markt bedeutet Konkurrenz und nicht Kooperation. Eine Folge davon ist z.B., dass es bis vor zwei, drei Wochen kein staatlich organisiertes Register gab über die Intensivkapazitäten in Deutschland. Es war eine Privatinitiative, die das erfasst hat. An die wurde jetzt angedockt und in einer Verordnung die Krankenhäuser verpflichtet, denen ihre Kapazitäten zu melden. Transparenz über Ressourcen, Kapazitäten usw. ist aus Unternehmensperspektive bereits ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit und in ihr Unternehmensgeheimnis.
Wir haben hier eins der wenigen Felder, in denen durch die Corona-Krise Spannungen im herrschenden Block aufgetreten sind, aber auch wir von unten bis zu einem gewissen Grad in der Offensive sind. Dies geschieht vor allen Dingen aus den Belegschaften heraus. Die Chance, die wir jetzt haben, ist, dass wir jetzt stärker die Debatte über Fragen der Struktur und der Bedarfsorientierung, also der demokratischen Planung des Krankenhauswesens vorantreiben können. Die Fallpauschalen waren ja ausdrücklich ein Projekt, um den demokratisch-planerischen Zugriff aufs Krankenhauswesen zurückzudrängen. Das Projekt wurde Mitte der 80er gestartet zur Entthronung der Politik in diesem Bereich – mit allen Argumenten, die dazugehören: die Politik sei unsachlich und treffe nur Entscheidungen, mit denen sie Wahlgeschenke machen wolle, usw. Das ist jetzt nicht mehr haltbar und es da weiter zu Auseinandersetzungen kommen, weil der Widerspruch ungelöst ist. Mitte des Jahres soll es eine Konferenz geben, wo sie gemeinsam begutachten wollen, ob die Finanzierung funktioniert. Die neoliberalen Wissenschaftler fangen schon an zu frohlocken und sagen, jetzt haben Länder und Kommunen bald kein Geld mehr, dann kann das Krankenhaussterben weiter vorangetrieben werden. Gleichzeitig haben wir eine Aufwertung der systemrelevanten Berufe, die eben auch klar macht, auf deren Rücken kann die Krise jetzt nicht so einfach abgewälzt werden.
Was die Vergesellschaftungsforderung in diesem Bereich betrifft, ist der Sachverhalt allerdings ein bisschen komplexer. Wir können nicht einfach sagen, wir werfen jetzt die Privaten vom Markt. Das Problem fängt ja bereits mit dem Modell der Finanzierung an. Deswegen diskutieren wir immer stärker einen anderen Ansatz: Wenn ich durch das Finanzierungssystem Gewinne unmöglich mache bzw. verbiete – wir hatten ja eine Zeit von 1975 bis '85, in der waren Gewinne im Krankenhaus verboten –, dann erledigt sich die Frage der privaten Krankenhausbetreiber von alleine, dann haben die nämlich kein Interesse mehr. Es gibt ja zunehmend Debatten über Enteignung, befördert durch die Kampagne Deutsche Wohnen &Co. enteignen aus Berlin, dass man stärker auf diese Karte setzt und sagt, wir müssen die Privaten rausdrängen, wir müssen unmittelbar rekommunalisieren. Das ist noch eine offene strategische Frage, in welchem Verhältnis die Enteignung privater Krankenhäuser zur Umgestaltung des Finanzierungssystems stehen soll, wenn die Privaten im besten Fall kein Interesse an den Häusern mehr haben und sie für einen Euro an die Kommunen zurückgeben.
Das sind die Kämpfe, die in den nächsten Monaten laufen werden, sie werden auch ohne uns laufen, weil der Konflikt im herrschenden Block groß ist. Aber wir haben natürlich die Möglichkeit, mit unseren Aktivitäten da reinzuintervenieren was unter Corona-Bedingungen nicht immer einfach ist, aber die Belegschaften kriegen es ganz gut hin, das Wort zu ergreifen.
Tatsächlich würde ich sagen, der Krankenhausbereich ist im Moment einer der wenigen Bereiche, in denen wir in der Offensive sind, wo wir neoliberale Paradigmen schon geknackt haben. Das ist viel wert, das gilt es in den nächsten Monaten zu vertiefen.
Kalle Kunkel ist aktiv im Bündnis Krankenhaus statt Fabrik, er war auch Gewerkschaftssekretär im Bereich Krankenhäuser. Krankenhaus statt Fabrik ist ein Bündnis, das sich vor vier Jahren gebildet hat und seine Aufgabe darin sieht, Aufklärungsarbeit über die Krankenhauspolitik zu leisten. Diese Aufklärungsarbeit soll Orientierung bieten, also zum einen kritisches Wissen zur Verfügung stellen, aber auch schauen, wo sind Ansatzpunkte, um im Sinne der Beschäftigten, im Sinne der Zurückdrängung von Marktstrukturen zu intervenieren.
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