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Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2020

Soziale Arbeit und Initiativen von unten
von Rolf Euler

Es klingelt – ein Lastenfahrrad (mit E-Motor) hält vor der Tür – das bestellte Buch wird vom Händler gebracht. Musik tönt aus der Nachbarschaft: ein Gesangsduo unterhält die Hochhauskulisse vom Gemeinschaftsgrün aus, später die Bewohner des Altenheims.

Hornklang vom Balkon: eine Musikschülerin spielt für die zu Hause gebliebenen. Eine Frauengruppe, die sonst Kleidung mit Geflüchteten sortiert und eine Nähstube organisiert hat, näht Stoffmasken für die Beschäftigten in den Unterkünften und Seniorenheimen – wenige Beispiele aus einer Stadt am Rande der Krise, die zu Hunderten überall, auch in Deutschland, stattfanden.
Der Pflegedienst, die Fürsorge für Familien, die Sozialarbeit mit gehandikapten Menschen – alles wurde während der Corona-Zeit auf minimale Kontakte umgestellt und viele machen sich neue Gedanken, wie sie Abstand halten und trotzdem helfen können. Das Jugend- und Spielezentrum bringt Pakete mit Gesellschaftsspielen in Familien, die wenig Platz haben. Menschen mit Gebärdensprache melden sich freiwillig und werden zu den Videokonferenzen zugeschaltet. Eine – viele! – Schnapsbrennereien stellen um auf Desinfektionsmittel, oft werden sie hektoliterweise an Krankenhäuser oder Pflegeheime gespendet. KünstlerInnen und Theater bieten ihre Stücke auf Youtube an und hoffen, die Menschen damit zu erreichen.
Bereits fast zu Anfang riefen Fachleute zu einer «Makerfair» auf, um möglichst einfache Methoden zu finden, mit 3-D-Druckern Ersatzteile für Beatmungsgeräte bzw. Bauanleitungen für einfache Beatmungsmaschinen zu entwickeln und zu verbreiten.
Es gibt ein Programm, das man unter foldingathome.org herunterladen kann, das auf dem heimischen Computer – während man anderes erledigt – im Hintergrund an einer massenhaften Simulation von Covid-19-Eiweißen rechnet; parallel können so in kurzer Zeit Tausende Berechnungen durchgeführt werden, die helfen sollen, das Virus zu bekämpfen.
Das ist nur ein kleiner Auszug aus den Bemühungen der Zivilgesellschaft, mit der Krise klarzukommen und anderen zu helfen – bei weitem nicht vollständig. Entscheidend ist auch, dass in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen, in Pflegeheimen und Gesundheitsbehörden inzwischen sehr viele Freiwillige – Medizinstudenten, verrentete Ärzte oder Pflegerinnen, auf Kurzarbeit gesetzte Menschen anderer Berufe, SchülerInnen – die für Intensivpflege beanspruchten Kräfte ergänzen, und sich dort in die Arbeit begeben, wo aufgrund von Sparmaßnahmen oder unzureichender Versorgung mit Sicherheits- und Schutzmaterial Bedarf an zusätzlichen Kräften besteht.
Es scheint so, dass die Bewegung von 2015 unter dem entlehnten Motto «Wir schaffen das» ähnlich in diesem Jahr neu auflebt. Während zu Anfang das Horten von bestimmten Produkten landauf, landab karikiert wurde, gingen diese solidarischen Gegenbewegungen oft unter. Deren Taten berechtigen zu ein bisschen Hoffnung, dass Solidarität keine Eintagsfliege bleibt, und dass hinterher nicht so einfach zur alten Tagesordnung zurückgekehrt werden kann.
Denn viele, die sich jetzt engagieren, sehen genau, welche gesellschaftlichen Tätigkeiten nützlich, nötig und eher unterbezahlt, vor allem von Frauen geleistet werden, und dass sich hier im Hinblick auf die Wertschätzung ihrer Arbeit dringend etwas ändern muss – jenseits von Beifall und Musik von den Balkons.

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