Kaczynski lädt zu den Urnen
von Norbert Kollenda
Es geht verdammt nochmal um unser Leben, erhebt euch aus den bequemen Sesseln des Parlaments!» Mit diesen Worten wendet sich ein Kommentator an die Abgeordneten der Opposition und vor allem an ihre Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen.
Denn sie machen keine Anstalten, die Wahlen zu verhindern, indem sie ihre Kandidatur zurückziehen. Dabei wird ständig am Termin und an den Modalitäten der Wahl herumgebastelt. Schon morgen kann ein Anruf aus der Nowogrodzka die Parlamentspräsidentin Elzbieta Witek erreichen und ein neuer Termin ist angesagt.
Die «Nowogrodzka» ist für Polen ein Synonym für die Parteizentrale der PiS, von wo aus die Weisungen des Parteivorsitzenden an die entsprechenden Verantwortungslosen wie den Staatspräsidenten, die Parlamentsvorsitzende, den Premier oder auch an Minister ergehen, telefonisch oder auch, indem sie in die Nowogrodzka zitiert werden, zumeist in den frühen Nachtstunden.
Der Premier spricht derzeit davon, der Höhepunkt der Pandemie sei in Polen für Mai zu erwarten, gleichzeitig spricht er davon, von seinem Recht Gebrauch zu machen und einen zusätzlichen arbeitsfreien Tag auszurufen, um genügend Zeit für die Briefwahl zu gewinnen.
Dabei haben die Kandidaten keine Chance sich zu profilieren. Mit der Einführung des Katastrophenzustands wurden alle Wahlveranstaltungen eingestellt. Die Kandidatin der größten Opposition, der Bürgerplattform, ruft zwar die Wähler auf, aus Rücksicht auf Leben und Gesundheit nicht zur Wahl zu gehen, zieht aber ihre Kandidatur nicht zurück, ebenso die anderen.
Dabei war schon vor Einführung des Katastrophenzustands die Berichterstattung in den «öffentlich-rechtlichen» Medien ungleich verteilt: Andrzej Duda – 17 Std. und 21 Minuten; Krzysztof Bosak – 37 Minuten; Malgorzata Kidawa-Blonska (die Kandidatin der stärksten Opposition) – 31 Minuten; den folgenden Kandidaten 15 Minuten, 5 Minuten und dann dem Linken Robert Biedron – 44 Sekunden!
Duda führt im Grunde genommen den Wahlkampf alleine fort, er reist als treusorgender Landesvater durch die Lande. Zum Beispiel wird gezeigt, wie er in einer Art Pfadfinderuniform in der Ortschaft Garwolin von einem Rettungssanitäter in einer orange Jacke begrüßt wird. Später kommt heraus, dass dies der Direktor der Klinik war, der zugleich Ratsmitglied der PiS ist.
Hindernisse
Kaczynski besteht auf den Präsidentschaftswahlen. Er weiß, dass seine Tage der absoluten Herrschaft sonst gezählt wären, denn eine schwere wirtschaftliche Krise steht bevor. In «seiner» Regierung und den staatlichen Institutionen werden die Posten von hörigen Karrieristen ohne Fachwissen bekleidet. Die Aussichten, die Krise in den Griff zu bekommen, sind gering, außerdem werden die Auswirkungen für die Menschen zunehmend spürbar, sodass die PiS ihr «soziales» Image zu verlieren droht.
Ganz nach dem Willen des Parteivorsitzenden wurde der Ausnahmezustand nicht ausgerufen. Er hätte u.a. bedeutet, dass die vorgesehenen Wahlen ausgesetzt werden und erst 90 Tage nach seiner Aufhebung stattfinden können. Es gibt jetzt den «Katastrophenzustand», der ganz nach Gutdünken des Parlaments, in dem die PiS die Mehrheit hat, verlängert werden kann.
Im Land gibt es heftige Debatten, die Durchführung der Wahlen wird abgelehnt, es wurde sogar zum Boykott der Wahlen aufgerufen. Jetzt soll es Briefwahl geben. Die beiden Gewerkschaften, die die Briefträger vertreten, die OPZZ und das Forum der Gewerkschaften, haben dagegen protestiert (die PiS-treue Solidarnosc natürlich nicht). Es gehe nicht an, dass die Postboten von Tür zu Tür gehen, die Päckchen mit den Wahlunterlagen verteilen und dann wieder einsammeln. Dies stellt nach Ansicht der Gewerkschaftsvorsitzenden Dorota Gardias eine zu große Gefahr für Leben und Gesundheit der Briefzusteller dar.
Also soll die Armee diese Aufgabe übernehmen. Nach Aussagen von Verfassungsrechtlern und hohen Militärs, die zu PiS-Zeiten aus dem Amt geschieden sind oder wurden, würde das bedeuten, dass die Soldaten ihren Eid brechen, weil sie gegen die Verfassung handeln.
Ein weiteres Problem gibt es. Viele Gemeindevorsteher, Bürgermeister u.ä. haben erklärt, dass sie keine Räume für Wahllokale zur Verfügung stellen werden. Also hat Kaczynski verfügt, dass die Woiwoden, die alle der PiS angehören, die Wahllokale bestimmen.
Ach so, und da ist da noch das Wahlgeheimnis. Was tun, wenn jeder Wähler seine persönlichen Daten dem «Wahlpäckchen» beifügen muss?
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.