Mit Laptops durch die Krise
von Larissa Peiffer-Rüssmann
Mehr als sechs Wochen waren bei uns die Schulen geschlossen, um die Verbreitung des COVID-19-Virus zu verlangsamen. Das sind bundesweit rd. 10 Millionen SchülerInnen, für die ein Homeschooling begann – oder auch nicht.
Es geht um die digitale Vernetzung zwischen Schule und Elternhaus; bei einigen klappt sie gut, bei einem Großteil nur sehr eingeschränkt und einem nicht unerheblichen Teil gar nicht.
Durch das Homeschooling im Rahmen der Digitalisierung vertieft sich die soziale Spaltung weiter. Rund eine Million Kinder im schulpflichtigen Alter haben zu Hause weder Computer noch Drucker zur Verfügung, in Zeiten von Homeschooling sind sie also ohne Zugang zu einem Computer und haben damit praktisch keinen Unterricht. Wenn Eltern, die Grundsicherung beziehen, beim Jobcenter einen Computer beantragen, wird ihnen gesagt, ein Handy sei ausreichend. Aber PDF-Dateien lassen sich mit den Billigsmartphones gar nicht bearbeiten, und Arbeitsblätter ausdrucken geht auch nicht. Da gibt es bspw. eine alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, wo alle ein einziges Handy benutzen. Hinzu kommt, dass viele Haushalte nicht über einen Internetanschluss verfügen oder der Empfang ist häufig gestört. So kann kein erfolgreiches Lernen stattfinden.
Ein weiteres von der Politik kaum beachtetes Problem sind die Bedingungen in den Förderschulen. Da häufen sich die Probleme, weil in den Familien die Betreuung fehlt – ganz besonders, wenn gleichzeitig Geschwisterkinder im Homeschooling sind. Vor allem für Kinder mit schweren Behinderungen ist das fatal. Und es sind in erster Linie die Mütter, die hier an die Grenze ihrer Belastbarkeit kommen.
Bei dieser Problemlage wundert es schon, wenn so oft und emotional über Fußball berichtet wird und ob die Bundesliga wieder spielen darf. Auch die Nöte der Großindustrie (Automobilindustrie, Adidas etc.) werden von der Politik mehr angesprochen als die Probleme der Bildungseinrichtungen.
Holpriger Schulbeginn
Seit dem 11.Mai findet in NRW wieder Unterricht statt, d.h. das einzelne Kind besucht einmal in der Woche die Schule mit den entsprechenden Abstands- und Hygienevorschriften. Das Lehrerkollegium hatte mit viel Einsatz und dem Zollstock in der Hand die Klassenräume vorbereitet. Dann hat die Schulbehörde sehr kurzfristig die Auswahl der Jahrgänge geändert und die Planung begann wieder von vorne.
Der Unterricht findet in kleinen Gruppen statt, pro Kind ein Vormittag. Ein Lehrer bringt es auf den Punkt: «Mit hohem Aufwand erreichen wir wenig.» Gleichzeitig werden laufend Schulmails zur Instruktion verschickt, aber es kann sein, dass Aussagen aus Mail Nr.14 in Mail Nr.18 widerrufen und neue Instruktionen ausgegeben werden, oder die Aussage in Mail Nr.16 modifiziert wird und ab sofort gilt. Es lebe die Bürokratie! Und manchmal informiert das Schulministerium zuerst die Presse und danach die Schulen.
Angesichts der Pandemie mutet es schon grotesk an, wenn in einigen Schulen die Handwaschbecken als Relikt aus der Kreidezeit sukzessiv aus den Klassenzimmern entfernt werden, weil Whiteboards die klassische Tafel ablösen. Selbst in den geplanten Schulneubauten sind sie nicht eingeplant, stattdessen müssen sich drei bis vier Klassen eine WC-Einheit und Waschbecken teilen. Was für ein herrliches Gedränge! Aber die städtische Gebäudewirtschaft und die Schulverwaltung bleiben stur.
Trotz allem stellt die NRW Schulministerin Yvonne Gebauer fest, dass in den Schulen alles gut läuft! Und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet tritt in einer Fertigungshalle der Autoindustrie auf, um seine Verbundenheit mit ihr zu demonstrieren.
Digitalisierungswahn
Einigen kommt die Krise um die Corona-Pandemie wie gerufen: Jetzt gibt es endlich den angeblichen Sachzwang zur Digitalisierung im Bildungsbereich! Der derzeitige Ausnahmezustand spielt der IT-Wirtschaft in die Hände. Die Krise wird benutzt, um diesen Prozess zu beschleunigen: Lernen wird standardisiert, alles muss messbar sein. Zurecht sieht der Medienwissenschaftler Ralf Lankau die Corona-Krise als Einfallstor für die IT-Industrie, Privatisierer und Bildungsökonomen, die in den Schutzraum Schule drängen. Er sieht in der Entwicklung eine «systematische und vorsätzliche Entmündigung von Menschen durch das maschinelle und automatisierte Beschulen».
Begriffe wie Output-Orientierung, Evaluation, Prozessoptimierung, Qualitätsmanagement, Potenzialanalyse werden eingesetzt, um auch Schulen zu «vermessen». Da kommt der vermeintliche Zwang zur Digitalierung wie gerufen. Aber Bildungseinrichtungen sind keine Wirtschaftsunternehmen, die Schule ist kein Betrieb.
Natürlich kann ein moderater Einsatz digitaler Technik im Unterricht durchaus sinnvoll sein, aber er sollte nicht dazu führen, dass im Sinne der IT-Industrie aus Lernen Messen wird und alle Lernenden «erfasst» werden. Vor allem eine Frühdigitalisierung ist abzulehnen.
Ralf Lankau mahnt: «Wir sollten erkennen, wie mit Mobile Devices und Apps die permanente Vermessung und Selbstvermessung der Nutzer möglich wird. Social-Media-Kanäle und Lernplattformen … liefern rund um die Uhr Nutzerdaten an die Plattformen. Wir sind nur Datenlieferanten. Damit werden Geschäftsmodelle der Datenökonomie bedient.» Die US-amerikanische Ökonomin Shoshana Zuboff spricht treffend vom «Zeitalter des Überwachungskapitalismus».
Trotz Schulbesuch einmal in der Woche wird das Homeschooling mindestens bis zu den Sommerferien andauern. Umso wichtiger ist es, das Augenmerk auf einen verantwortungsvollen Einsatz digitaler Medien zu richten, z.B. durch Open-Source-Programme, die transparenter sind als kommerzielle Angebote; bei letzteren ist eine Kontrolle, ob die Datenschutzbestimmungen auch eingehalten werden, kaum möglich.
Spätestens jetzt wird klar, wie sehr Kinder und Jugendliche den zwischenmenschlichen Kontakt und die Gemeinschaft brauchen. Investiert werden muss vor allem in mehr Lehrpersonal, Sozialarbeiter, kleine Klassen und eine Lernumgebung, wo Lernen Spaß macht und Kunst, Musik und Sport wieder einen höheren Stellenwert erhalten.