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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2020

Pflegekräfte stellen Krankenhäusern ein Ultimatum
von Violetta Bock

Die Pflegekräfte führen vielleicht den zentralen Kampf in dieser Krise: den um unsere Gesundheit. Sie können dabei auf die Entlastungsbewegung der vergangenen Jahre aufbauen und mit diesem festen Fundament, das sie in den vergangenen Kämpfen aufgebaut haben, die Wirkung vervielfachen.

Das ist dringend nötig, denn obwohl sie eine der meistgenannten Berufsgruppen sind, haben sie selbst in der Krise, begraben unter viel Applaus, die herbesten Schläge abbekommen – etwa die pauschale Aussetzung der Pflegepersonaluntergrenzen oder die Verordnung zur möglichen Ausweitung der Arbeitszeit auf 12 Stunden.
In Berlin könnte den Beschäftigten der Charité und von Vivantes nun mit einer exzellenten Kampagne ein Durchbruch gelingen. Im April hatten sie eine Mehrheitspetition gestartet, das heißt sie haben so lange Unterschriften unter konkrete Forderungen gesammelt, bis sie zeigen konnten, dass die Mehrheit der Beschäftigten hinter ihnen steht. Über 4500 Unterschriften kamen innerhalb kurzer Zeit zusammen. In einer Videokonferenz wurde diese Petition an etwa 20 Berliner Landtagsabgeordnete übergeben. Fast 300 Krankenhausbeschäftigte konnten live dabei sein und damit signalisieren, dass sie nicht nur hinter den Forderungen stehen, sondern auch für sie aktiv werden.
Sie fordern nicht nur ausreichend Schutzmaterial, sondern auch eine monatliche Prämie von 500 Euro und ein grundsätzliches Umsteuern in der Gesundheitspolitik – weg von den Fallpauschalen. In Zusammenhang mit der Pandemie hat sich inzwischen auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft dafür ausgesprochen, das DRG-System bis zum Jahresende auszusetzen. Ver.di will dies im «Berliner Corona-Krankenhauspakt» festschreiben.
Neben dem 500 Euro «Pandemie-Risikozuschlag» ist das dritte zentrale Anliegen, dass in allen Tochterunternehmen der staatlichen Klinikkonzerne Charité und Vivantes nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bezahlt wird. Dies betrifft etwa die Beschäftigten in der Reinigung, der Küche, dem Sicherheitsdienst, dem Krankentransport oder der Technik. Es ist ermutigend, wie offensiv die Stärke genutzt wird, um statusübergreifend Verbesserungen durchzusetzen statt, wie in anderen Bereichen leider zu oft, einer exklusiven Solidarität für Stammbelegschaften zu folgen.
Anfang Mai wurde ein Ultimatum für die Verhandlungen gestellt. In der Zwischenzeit gab es zahlreiche Aktionen: Botschaften in der ganzen Stadt, kollektive Sprechgedichte, vieles ist online dokumentiert. Am 20.Mai haben über 134 Teams Mehrheitsbriefe an Abgeordnete übergeben. So konnten nachhaltige Strukturen geschaffen worden. Jeden Mittwoch findet ein sogenanntes Aufbautreffen statt. All dies kann von der Gegenseite nicht ignoriert werden. Ende Mai ist ein Verhandlungstermin mit dem Senat angesetzt.
Pflegekräfte verschaffen sich Gehör, überall. Beim Tag der Pflege am 12.Mai trafen Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens bei einem digitalen Townhall-Treffen auf Politik und Arbeitgeber, und forderten dauerhafte Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Mehrere hundert Teilnehmende sind der Einladung gefolgt.
All dies war harte Arbeit und es liegt noch ein langer Weg vor uns, bis das Gesundheitssystem wieder der Gesundheit dient. Doch was diese Bewegung auch auszeichnet ist, dass sie systematisch und strategisch vorgeht, dass die KollegInnen selbst für sich sprechen und dabei unterstützt werden, Methoden weiter entwickeln und an die nächsten weitergeben.

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