Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2020

Im Flug- und Bahnverkehr dauerhaft umsteuern
von David Stein

Fluggesellschaften befinden sich weltweit durch die Corona-Pandemie in schweren Turbulenzen. Betroffen ist die ganze Branche einschließlich der Betreiber von Flughäfen, die Touristik, Flugzeughersteller, deren Zulieferer und die Flugzeugleasingunternehmen.

Der Kurs der Lufthansaaktien hat sich seit Jahresanfang halbiert. Die Fluggesellschaft verliert 1 Million Euro – pro Stunde. Sie ist bei angespannter Liquidität ein Sanierungsfall. 23 Jahre nach dem Verkauf der letzten Aktien des früheren Staatsbetriebs durch den Bund zwingt die Corona-Krise den Dax-Konzern, beim Staat um eine Milliardenhilfe zu bitten. Die Lufthansa wird diese Hilfe auch bekommen, weil sie als systemrelevant gilt. In den Nachbarländern (Air France, British Airways) und in den USA ist diese Staatsrettung bereits angelaufen. Umstritten ist im Fall der Lufthansa weniger die Höhe der nötigen Staatshilfe (zwischen 9 und 10 Mrd. Euro) als die Frage, wie und unter welchen Bedingungen sie gewährt wird.

Nur ein paar Auflagen?
In der Bundesregierung und bei der Opposition gibt es hierzu unterschiedliche Positionen, die allerdings nicht so weit auseinander sind, wie es scheinen mag. Mit Ausnahme der LINKEN herrscht die irreale Einschätzung vor, dass nur befristete Hilfen erforderlich seien und Fluggesellschaften «nach Corona» so weitermachen könnten wie «vor Corona». Der SPD kommt es, anders als der CSU und Teilen der CDU, auf ein «Mitspracherecht» bei unternehmerischen Entscheidungen an. Die CDU/CSU-Position, die ausschließlich eine stille Beteiligung durch einen verzinsten Kredit ohne Mitspracherechte will, ist eher als Fensterrede für die eigene Klientel bestimmt.
Egal wie das Paket im Detail aussehen wird: eine Rettung ist nur dann möglich, wenn sich diese aus verschiedenen Finanzquellen speist. Neben staatlich verbürgten KfW-Krediten, stillen Einlagen und Geldern aus den Töpfen einzelner Bundesländer wird ein Großteil der Hilfen aus dem milliardenschweren, im März 2020 aufgelegten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) stammen, die immer mit substantiellen Verpflichtungen für das gerettete Unternehmen, etwa mit dem Verzicht auf Bonuszahlungen für Vorstandsmitglieder, verbunden sind. Die eigenverantwortliche Leitung des Vorstands, wie sie im Aktiengesetz vorgesehen ist, ist damit eingeschränkt – und zwar unabhängig davon, ob der Staat, wie es der Finanzminister plant, eine Beteiligung durch eine Kapitalerhöhung vom 25,1 Prozent des Kapitals anstrebt und damit als Mehrheitsaktionär über den Aufsichtsrat im Prinzip das Sagen in der Lufthansa hat.
Die Grünen wollen eine Rettung nach dem Modell der aktuellen Rettung von Air France, die bereits von der EU-Wettbewerbskommissarin durchgewunken wurde: Staatliche Hilfen zur Rettung von Fluggesellschaften und Flughäfen sollen an konkrete Bedingungen geknüpft werden (Kappung der Managergehälter und -boni, Streichung von Dividenden der Aktionäre, Verbot von Aktienrückkäufen – zur Kurssteigerung – während des Bezugs von Staatshilfe). Sie sollen ebenfalls an ökologische Bedingungen ge­knüpft werden.
Ebenso wie Air France solle die Lufthansa die Auflage bekommen, ihren CO2-Ausstoß auf Mittel- und Langstrecken bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren, auf innerdeutschen Flügen bis 2024. Darüber hinaus sollen Ziele, die mit der Bahn innerhalb von vier Stunden zu erreichen sind, aufgegeben werden. Im Gegenzug solle die Bahn, die ebenfalls milliardenschwere Unterstützung erhält, auf zusätzlichen Strecken Sprinterzüge ohne Halt anbieten. Grünen-Chef Habeck spricht sich allerdings nur für einen zeitweisen Einstieg des Staates bei der Lufthansa aus.
Der LINKEN-Vorsitzenden Kipping geht es ebenfalls nicht um eine bloße Wiederherstellung von Liquidität, sondern um die Steuerung der Staatshilfe im Sinne der Beschäftigten, der Mitbestimmung und des sozialökologischen Umbaus. Jeder Euro Staatshilfe für Lufthansa müsse an Mindestbedingungen geknüpft werden: Sicherung der Arbeitsplätze – nicht nur beim Mutterkonzern, keine Ausschüttung von Dividenden, Gewährleistung und Ausweitung der Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten. Zusätzlich müsse ein ökologisches Umsteuern des Konzerns im Sinne der Klimaziele erfolgen.

Oder nicht doch Verstaatlichung?
Der Frankfurter Oberbürgermeister Feldmann (SPD) will mehr. Er fordert die Verstaatlichung der Lufthansa, allerdings «befristet bis zum Ende der Coronakrise». Lufthansa sei essenziell für den Wirtschaftsstandort Frankfurt und der Flughafen ein Drehkreuz für die deutsche Wirtschaft. Nicht nur die Verstaatlichung der Lufthansa, sondern auch die Enteignung ihrer Aktionäre wäre durchaus rechtlich möglich. Die Blockaden der Bundesregierung sind politischer Art.
Der Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate (HRE) war 2009 im Zuge der Finanzkrise in eine Schieflage geraten, dem Bund blieb damals nur die Verstaatlichung, um die ansonsten sichere Pleite zu verhindern. Nachdem der Bund durch eine Kapitalerhöhung so zum Mehrheitseigentümer geworden war, wurden die letzten widerstrebenden Aktionäre mit einer Zwangsabfindung herausgedrängt, was gesellschaftsrechtlich möglich ist (Squeeze Out).
Damals wurde das Rettungsübernahmegesetz vom 7.April 2009 geschaffen, um notfalls alle Anteile an der HRE auf den Bund übertragen zu können. Da dies auf anderem Wege geschah, kam das Gesetz nie zur Anwendung. Das Gesetz könnte jedoch als Blaupause für die Verstaatlichung der Lufthansa dienen. Betroffen wäre, neben Aktien im Streubesitz und von Finanzinvestoren, ihr Mehrheitsaktionär, der Milliardär Heinz Hermann Thiele (auch Hauptaktionär von Aktiengesellschaften, die Bahn­infrastruktur anbieten), der im März 2020 im Vertrauen auf die Staatshilfe 10 Prozent der Aktien gekauft hatte, allerdings zu einem Vielfachen des jetzigen Preises.

Negativbeispiel Commerzbank
Verstaatlichung hieße aber auch, neben der bloßen Änderung der Eigentumsverhältnisse eine soziale und umweltfreundliche Unternehmenspolitik und eine transparente Kontrolle des Unternehmens durchzusetzen.
Der Bund hatte die Commerzbank in der Finanzkrise 2009 mit Milliarden Steuergeldern vor dem Kollaps bewahrt und war als Aktionär «auf Zeit» eingestiegen, ohne sie zu verstaatlichen oder wenigstens auf eine Änderung ihres verkorksten Geschäftsmodells ohne Zukunft zu pochen. Der Bund ist nach wie vor größter Einzelaktionär der Bank. Ein Verkauf von Anteilen wäre für ihn angesichts des deutlich gesunkenen Aktienkurses derzeit ein Verlustgeschäft.
Es ist deshalb bloße Symbolik, wenn die SPD bei der Lufthansa auf Mitentscheidungsbefugnisse bei unternehmerischen Entscheidungen drängt. Diese hatte der Bund schon – bei der Commerzbank, bei der Deutschen Bahn und anderen Unternehmen, in denen der Bund durch Staatssekretäre des Finanz- oder Wirtschaftsministeriums in den Aufsichtsorganen vertreten ist. Seine Steuerungs- und Kontrollbefugnisse hat er jedoch in keinem Falle selbstbewusst genutzt, sondern die Unternehmenspolitik der Geschäftsführung abgenickt. Bei der Lufthansa dürfte dies nicht anders sein.

Wie es anders geht
Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds bietet die einmalige Chance, den gesamten Bahn- und Flugverkehr im Verbund mit einer neuen Steuerpolitik («gestaffelte Vielfliegerabgabe») aus einer Hand umweltpolitisch und sozialverträglich neu zu ordnen und zu managen. Dies beinhaltet, zugunsten der Bahn den Flugverkehr der verstaatlichten Lufthansa umzustrukturieren und ein zukunftsfähiges Konzept für die Zeit nach dem Ende der Pandemie umzusetzen.
Solange jedoch die Staatsakteure ihre politische Verzwergung verinnerlicht haben und sich zum Aushilfskellner von Unternehmen im Krisenfall degradieren («Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer», so das Credo von Altmaier und des grünen hessischen Wirt­schaftsministers Al-Wazir zur Lufthansa) wird sich die Krise im Flugverkehr «nach Corona» weiter verschärfen.
Der bereits vor dem Shutdown bestehende Konkurrenzdruck unter den Fluggesellschaften wird bei einer deutlichen Schrumpfung des Markts noch mörderischer sein – auf Kosten der Beschäftigten und der Umwelt. Und dabei wird weiterhin unter den Tisch fallen, dass bereits in den «normalen Zeiten» Staatshilfen und -beteiligungen eine Schlüsselrolle im Kampf um Marktanteile spielen – nicht nur in China und den Golfstaaten (Emirates, Etihad und Qatar Airways).
Auch in Europa waren etwa die Staaten Frankreich und Niederlande schon vor der Krise an Air France/ KLM beteiligt. Und in Italien hält die Regierung Alitalia seit Jahren am Leben.
Hinzu kommen indirekte Subventionen wie die generelle Befreiung des gewerblichen Luftverkehrs von der Mineralölsteuer und des grenzüberschreitenden Luftverkehrs von der Mehrwertsteuer. Der Kauf von Flugzeugen würde viel stärker zu Buche schlagen, wenn nicht staatliche Subventionen in den Flugzeugbau fließen würden.
Ohne Umsteuern wird der Flugverkehr weiter Milliarden Steuergelder verbrennen. Auch ohne Corona.

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