Guido Grüner berät Arbeitsmigranten in der Schlachthofregion Niedersachsen*
Interview mit Guido Grüner
Corona hat die Zustände in der Fleischindustrie erneut in ein grelles Licht gerückt. Bei früheren Epidemien wie der Schweinegrippe oder dem Rinderwahnsinn waren die Tiere befallen; sie mussten millionenfach gekeult werden. Jetzt aber sind die Beschäftigten befallen und viele Fleischbetriebe mussten vorübergehend schließen. Wie sieht die Lage derzeit aus?
Was wir von den Beschäftigten in den Zerlege- und Schlachtbetrieben wissen, ist, dass sich in deren Alltag nichts geändert hat: Die Bullis, mit denen sie zu den Ställen fahren, sind genauso voll wie vorher, die Abstände an den Bändern sind auch nicht größer geworden, da gibt es keine Plexiglasscheiben, auch keine Masken, mit denen man sowieso kaum arbeiten kann… Solange so ein Putenschlachthof ausgelastet ist, wird weiter 10–13 Stunden gearbeitet.
Die Vorgaben des Arbeitsministeriums sind ein Witz: Die Beschäftigten sollen Masken tragen, wenn der Abstand von 1,50 Meter nicht eingehalten werden kann, dabei weiß jeder, dass die Masken nichts helfen, wenn man stundenlang auf engem Raum zusammensteht. Für die Öffnung von Theatern hat die Landesregierung die Auflage gemacht, dass die Veranstaltungen kurz sind und die Räume gut gelüftet. Wo gilt das für Schlachtbetriebe?
Gibt es in den Belegschaften Druck, dagegen vorzugehen?
Bei unseren Beratungen für die Beschäftigten begegnen uns zwei Reaktionen: Die einen sagen, was bleibt mir anderes übrig, ich muss da arbeiten, wenn ich den Mund aufmache, fliege ich raus. Die anderen sagen, ich habe Angst, wenn ich mir das Virus einfange, dann hab ich das in meiner ganzen Familie oder bei den 10, 12 Leuten, mit denen ich mir eineinhalb Wohnungen teile, deshalb lasse ich mich krankschreiben. In aller Regel werden die Leute dann gekündigt. Das passiert auch schon, dagegen gab es Proteste rumänischer Arbeiter, denen hat der Arbeitgeber dann die Ausweise abgenommen. Viele Leute wissen, dass sie verheizt werden, es erschreckt sie, dass es bei Westcrown in Dissen 146 Beschäftigte erwischt hat. Da herrscht jetzt nicht mehr Gleichgültigkeit gegenüber den Zuständen, nur noch die Sorge: Was bleibt mir anderes übrig?
Man muss auch ein stückweit verstehen, wie sich das Virus verhält, damit der Einzelne danach handeln kann. Die vielen Hinweise und Regeln, die es gibt, sind aber keine Erklärungen, sondern Kommandos, sie sind nicht geeignet, die Leute aufzuklären. Das wäre aber eine Voraussetzung, damit die Leute sich organisieren können, um geeignete Schutzmaßnahmen durchzusetzen.
Es ist inzwischen sonnenklar, dass die Massentierhaltung wesentlich mit dafür verantwortlich ist, dass immer häufiger Epidemien ausbrechen. Um diese einzudämmen, wäre diese Art von Tierhaltung sofort zu stoppen, d.h. diese Betriebe zu schließen. Das klingt radikal, aber ich glaube dass die Akzeptanz dafür wächst. Siehst du das auch so?
Ja. Nur ein Beispiel dazu: Ich war bei einer rumänischen Familie eingeladen, die haben mir Fleisch vorgesetzt und dazu gesagt: Das ist gutes Fleisch, das haben mir meine Großeltern geschickt, die haben einen kleinen Hof zu Hause. Es ist nicht das, was ich in der Fabrik schneide. Das Fleisch stammt allerdings aus einer Subsistenzwirtschaft, von der man auch in jenem Land nicht leben kann.
Was könnte hier und heute die Alternative sein?
Darüber diskutieren Organisationen wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Tierschutzorganisationen, BUND, Bauernhöfe statt Tierfabriken u.a. schon seit vielen Jahren. Da geht es um Stallgrößen, Haltungsbedingungen, den Einsatz von Pestiziden oder Antibiotika.
In Niedersachsen hat eine solche Gruppe mit dem Agrarministerium zusammen Vorgaben für Emissionen, Gülle u.a. entwickelt, über die man Tierhaltung steuern kann. Darin sind auch Leute einbezogen, die neben solchen Fabriken leben müssen, die stellen Fragen wie: Was bedeutet es, mit solchen Keimen zu leben? Was bedeuten diese Fabriken für das Trinkwasser?… Die Projekte mögen im einzelnen sehr begrenzt erscheinen, aber solche Initiativen gibt es sehr viele.
Auf der anderen Seite muss man sehen: Die Beschäftigten arbeiten hier nicht aus Jux und Dollerei. Wenn man sich die Verhältnisse in Polen, Rumänien oder Litauen anschaut, dann sagen viele: Ich will auch aus politischen Gründen nicht dahin zurück, sie sind dankbar, dass sie erst einmal hier sein können.
Es gibt auch solche die sagen: Ich mach das hier ein paar Jahre, dann will ich zurück und mir ein kleines Geschäft aufbauen. Das ist in aller Regel eine Illusion. Damit will ich nur sagen: Diese Beschäftigten richten ihr Trachten nicht danach aus, hier eine andere Ökonomie aufzubauen, sondern sie betrachten ihre jetzige Arbeit als ein notwendiges Durchgangsstadium für ein besseres Leben.
Was macht die Gewerkschaft, NGG oder IG BAU? Wie steht sie zur Massentierhaltung?
Die IG BAU ist auf den Bauernhöfen und in den Mastställen, ansonsten ist die NGG zuständig.
Die NGG sagt: Warum wird über das Tierleid gejammert, wenn das Menschenleid nicht zum Thema gemacht wird? Meines Erachtens macht sie da einen richtigen Punkt. Die NGG ist hier in der Region in etlichen Schlachthöfen bei den fest Angestellten gut verankert, sie hat da erhebliche Mitgliederzahlen, bei Wiesenhof etwa. Die NGG hat auch mit der IG BAU zusammen das Projekt «Faire Mobilität» entwickelt, das ist eine Arbeitsrechtsberatung in verschiedenen Sprachen.
Die Fragen des Rechtsschutzes bringen die Gewerkschaften wieder näher an die Menschen heran. Der Betriebsrat bei Wiesenhof z.B. hat lange Zeit eine Kampagne um die Forderung geführt, dass jeder Beschäftigte, gleich wie prekär er angestellt ist, eine Arbeitseinweisung bekommen muss, damit es die vielen Unfälle nicht mehr gibt. Doch die NGG hat nur wenige Hauptamtliche, die sich um diese Fragen kümmern können, bei einem riesigen Bereich von Beschäftigten. Allein bei uns in der Region arbeiten um die zehntausend Leute in den Schlachthöfen; in der Geschäftsstelle der NGG sitzen dreieinhalb Mitarbeiter. Sehr positiv ist auch, dass sie offen für Kooperationen mit anderen Kräften ist, auch mit uns.
Spürt man eine positive Auswirkung dieser Arbeit?
Ja. Die Durchsetzung eines Mindestlohns etwa hat ihren Ausgang in den Aktionen gegen die Fleischindustrie genommen. Und in den letzten Wochen hat es sehr viele Aufrufe und Initiativen aus der Region wegen der Arbeitsbedingungen gegeben. Ohne die hätten die Corona-Ausbrüche in den Schlachthöfen nicht die Aufmerksamkeit erreicht, die ihnen jetzt zuteil wird. Dass es jetzt eine so breite Kritik an der Nahrungsmittelindustrie, am Verschleiß von Tieren und Menschen und an unserer Ernährungsweise gibt und die Politik darauf eingehen muss, hat diesen langen Vorlauf. Zum Verbot der Werkverträge hat es bislang nie etwas gegeben, aber allein die Tatsache, dass es dazu jetzt so schnell einen Kabinettsbeschluss gibt, zeigt, dass die jahrelange Arbeit Spuren hinterlassen hat.
Wenn die Schlachthöfe und was darum herum ist alle Beschäftigten direkt anstellen müssten, hätte das massive Auswirkungen. Dann würde plötzlich deutlich werden, wer bislang den Preis für das billige Fleisch und die unmenschlichen Arbeitsbedingungen bezahlt.
*Guido Grüner ist aktiv in der Arbeitslosenorganisation ALSO, Oldenburg, und gibt deren Online-Zeitung quer heraus (www.also-zentrum.de).
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