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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2020

Kapitalismus geht vor Klimaschutz
von Gerhard Klas

Kathrin Hartmann: Grüner wird’s nicht. Warum wir mit der ökologischen Krise völlig falsch umgehen. München: Blessing, 2020. 174 Seiten, 14 Euro

«Das Paradox der Apokalypse» nennt die Autorin Kathrin Hartmann die Haltung, eher den Kapitalismus retten zu wollen als das Klima. In Zeiten von Corona könnten die Karten allerdings neu gemischt werden und eine Zeitenwende einläuten.
Wie es nach der Corona-Krise weitergehen könnte, skizziert die profilierte Kritikerin des grünen Kapitalismus in ihrem neuen Buch Grüner wird’s nicht. Warum wir mit der ökologischen Krise völlig falsch umgehen. Naiv sind diejenigen, die glauben, alles könne so bleiben wie es ist – und nicht diejenigen, die grundlegende, strukturelle Veränderungen unserer Gesellschaft wollen, meint Kathrin Hartmann.
Als die Bundesregierung vergangenen September das Klimapaket öffnete, stiegen die Aktienkurse des Energieriesen RWE gleich um 2 Prozent. Lobende Worte kamen vom Verband der Deutschen Automobilindustrie und dem Mineralölwirtschaftsverband. Der Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung nannte es hingegen ein «Dokument politischer Mutlosigkeit».
Kathrin Hartmann greift in ihrem neuen Buch solche Widersprüche auf. Sie erklärt, warum eindeutige Forschungsergebnisse in der Klimadebatte von der Politik immer wieder überhört und harmlose Forderungen nach einem Tempolimit auf Autobahnen abgeschmettert werden. Ganz anders als etwa bei der Bedrohung durch das Coronavirus, wo sich die Bundesregierung dazu genötigt sah, auf Empfehlung von Virologen sogar eine tiefe Rezession in Kauf zu nehmen.
An vielen Stellen ihres Buches insistiert Hartmann auf dem Zusammenhang zwischen der sozialen Frage und der Umwelt – einem Zusammenhang, der sich in politischen Beschlüssen nicht widerspiegelt. Die profilierte Kritikerin des grünen Kapitalismus outet sich als Gegnerin der CO2-Steuer und des Emissionshandels, denn damit würde es einfach nur zu einer Frage des Geldes, wer sich die Verschmutzung des Planeten noch leisten könne.
Wer vom Klimawandel spricht, darf vom Kapitalismus nicht schweigen, lautet ihr Motto. Denn die Klimaerhitzung ist eine Frage der Klassenzugehörigkeit: Die reichsten 10 Prozent der Weltbürger sind allein für knapp die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Derzeit steuern wir auf eine Erwärmung von mindestens 3 Grad in diesem Jahrhundert zu. Was das bedeutet, ist im Buch knapp aber drastisch geschildert: Das Eis der Antarktis wird geschmolzen und alle Küstenstädte von der Weltkarte verschwunden sein. 5 Grad bedeuten ein Ende der Zivilisation, bei 8 Grad wird kein menschliches Leben mehr möglich sein. Die Bedrohung ist also weitaus existenzieller als die durch die derzeitige Coronakrise. Dennoch dürfen Energiekonzerne mit der Kohleverstromung die Atmosphäre noch bis 2038 verschmutzen, während spielende Jugendliche in Coronazeiten mit drakonischen Geldstrafen drangsaliert werden.
Dass die Münchner Autorin das rheinische Braunkohlerevier kurzerhand ins Ruhrgebiet verlegt, ist vielleicht der geografischen Distanz geschuldet. Immerhin fehlen da noch mehr als 50 Kilometer. Das Buch ist ansonsten hervorragend recherchiert, vor allem das Kapitel zu den SUVs, die unsere viel zu engen Straßen verstopfen und tödliche Unfälle verursachen. Detailliert beschreibt sie die Taschenspielertricks, mit denen die Automobil­industrie diese Ungetüme als «energieeffizient» deklariert hat: Die rührige Autolobby hat in Berlin und Brüssel dafür gesorgt, dass der CO2-Verbrauch an das Gewicht der Autos gekoppelt wird. So kam es dazu, dass einige Kleinwagen offiziell eine schlechtere Energieeffizienz haben als die tonnenschweren SUVs, die ein Vielfaches an Treibhausgasen in die Luft blasen. Süffisant erwähnt Hartmann nebenbei, dass übrigens der Anteil der AfD-Wähler bei SUV-Fahrern besonders hoch sei.
«Verbotsgesellschaft», «Umerziehungskultur» und «Ökodiktatur» sind die Vorwürfe, die sie regelmäßig erheben, um Klimaschützer zu diskreditieren. Hartmann bezeichnet das als «Täter-Opfer-Umkehr». Sie dürfte allerdings nach der Corona-Krise kaum noch verfangen. Man wird sich wohl der Lächerlichkeit preisgeben, etwa ein Fahrverbot in Innenstädten dann noch als fundamentalen Eingriff in die Freiheitsrechte zu bezeichnen. Die Marktwirtschaft wird die Welt nicht retten, wir brauchen mehr staatliche Eingriffe, so ein Fazit der Autorin.
Grüner wird’s nicht hat das Potenzial zur Standardlektüre der Klimabewegung zu werden: Ohne erhobenen Zeigefinger, sondern mit gut erzählten Geschichten aus vielen Teilen der Welt, aufwändigen Hintergrundrecherchen, beides gewürzt mit einer gehörigen Portion Polemik.

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