An den Rand notiert
von Rolf Euler
Das Ende der strengen Corona-Maßnahmen zeigt merkwürdige Widersprüche auf.
Da sind die allmählich sich füllenden Strände. Die Seen in Mecklenburg und Schleswig-Holstein «erwachen» aus touristenfehlendem Zustand. Die Hotels und Gaststätten – unter Berücksichtigung des Abstands- und Maskengebots – bekommen wieder Gäste. Wenige Infizierte im ländlichen Raum lassen die Ansteckungsgefahr dort tatsächlich gering werden.
Wer wie wir die Tage ein paar Meter von den Hauptstraßen weg fährt oder Stellen aufsucht, die nur mit dem Fahrrad erreichbar sind, findet einen guten Badeplatz. Zwei Familien mit Kindern und zwei ältere Ehepaare teilen sich die kleine Wiese am See und die Badestelle. Das nahe Naturschutzgebiet tönt voller Vogelstimmen und Froschquaken, Rehe zeigen sich, Graureiher stehen im Uferbereich und warten auf Beute. Das «Idyll» könnte darüber hinwegtäuschen, dass ein weiterer heißer Sommer das Aus für viele Bäume, zusätzliche Gesundheitsgefahren für viele Menschen und einen weiteren Schritt zur Klimakatastrophe bedeuten würde.
Einige Kilometer weiter das Gegenbeispiel: voller Strand, weil es einen Parkplatz ein paar Meter vom Ufer weg gibt. Soll das Leben für viele so weiter gehen wie vor der Pandemie? Soll wieder da angeknüpft werden, wo man im letzten Jahr stand? Die Töne aus der Industrie lassen das vermuten, einige Stimmen am Nebentisch unseres Abendlokals ebenfalls: es gibt Pläne für die nächste Kreuzfahrt…
Ein Kontrastprogramm wie am Badesee in Schleswig-Holstein dann auch auf den Autobahnen, etwa der A1 zwischen Kamener Kreuz und Hamburg. Endlose Lkw-Schlangen erobern, wie schon seit Jahren, den rechten, oft auch den mittleren Fahrstreifen. Die Parkplätze sind voll von stehenden Lkw, die die Ruhezeiten einhalten müssen. Sie reichen in der Regel abends gar nicht aus, die Fahrzeuge stehen in Ein- und Ausfahrtbereichen. Neben der Autobahn dann die Autohöfe als zusätzliche Rastplätze, sowie die Lkw-Verleihunternehmen, deren Höfe vollstehen – plan- oder auch unplanmäßige Stilllegung je nach Konjunktur und bei Just-in-time.
Der Verkehr nimmt wieder fast den alten Umfang an und füllt die der Landschaft abgetrotzten Flächen. Baustellen für Brückensanierung, neue Parkplätze und Erweiterungen sind – nach einigen Wochen fast ohne Staumeldungen im Verkehrsfunk – der erneute Beweis, dass die Verkehrswende überhaupt nicht abzusehen ist. Verkehrter Verkehr nimmt wieder zu, die krisenbedingten CO2-Minderungen werden wohl bald wieder ausgeglichen sein.
Fantasie: Statt des sechsspurigen Ausbaus eine parallel führende Eisenbahnlinie, die in Hamburg oder Dortmund die Container oder die Lkw aufnimmt und staufrei fährt. Wie in der Schweiz zu beobachten. Aber der Zug scheint abgefahren – Autobahnen müssen Geld bringen, vor allem für das private Konsortium, das die A1 zwischen Hamburg und Bremen erweitert hatte.
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