Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2020

Für die Menschen in Polen, die über den Tellerrand hinaus sehen, ist die Präsidentschaftswahl eine entscheidende Wahl.
von Norbert Kollenda

Wenn der jetzige Präsident Andrzej Duda – von seinen Gegnern „Kugelschreiber Kaczynskis“ genannt – gewinnt, wird er wieder alles unterschreiben, was im Auftrag von letzterem der Premier und die Minister an Gesetzen einbringen und ihm vorlegen. Das heißt der autoritäre Staat wird verfestigt. Präses Kaczynski steht jetzt schon über der Verfassung und baut seine Macht aus.

Rafal Trzaskowski von der Bürger Plattform ist der Gegenkandidat. In ihm sehen viele Menschen die Chance, die absolute Macht der PiS zu brechen. Denn er als Präsident braucht nicht deren Gesetze zu unterschreiben. Zudem hat der Präsident die Aufgabe, zwischen den einzelnen Parteien und Gruppierungen den Ausgleich zu suchen, zu moderieren. Das würde das Ende der Ära Kaczynski einläuten. Und sie erhoffen sich davon, dass das Ansehen Polens wiederhergestellt wird.

Dass jetzt die staatlichen Medien und herausragende Kirchenvertreter eine Hetzjagd gegen Trzaskowski lostreten, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Trzaskowski hat nach seiner Wahl zum Bürgermeister der Stadt Warschau diese für LGBT-freundlich erklärt und sich gegen die Hetze gegen Minderheiten ausgesprochen. Für PiS & Kirche heißt dies, dass durch die Politik der „Gender Ideologie“ des Trzaskowski die Tradition der guten polnischen Familien untergraben wird, schon 4Jährige zur Masturbation angehalten werden und ein Erziehungsprogramm zur Homosexualität gefördert wird. Es droht nicht der Coronavirus, viel schlimmer ist die Pest, die mit einer Regenbogenfahne daherkommt! Die Unterdrückung der eigenen Sexualität bei der Priesterkaste führt allerdings zu Aggressionen, mit denen sie offensichtlich nicht umgehen können. PiSler übernehmen diese und verstärken sie zudem.

Eines hat Trzaskowski aber gleich nach der Wahl verkündet, dass er – wie die PiS ihm unterstellt – die sozialen Leistungen nicht zurücknehmen wird. Die PiS-Regierung hatte ja mit dem Programm 500+ erstmalig Kindergeld eingeführt, zunächst ab dem 2. Kind und dann auch für das 1. Kind, was vielen Familien das Leben erleichtert hat.

Allerdings wird es wichtig sein, dass er sich als Präsidentschaftskandidat von der PO (Bürger Plattform) absetzt. In der Bevölkerung ist diese in schlechter Erinnerung. Sie hat während der acht Jahre ihrer Regierung viel für sich, aber nichts für das Volk getan, ihre Reprivatisierungen haben vor allen Dingen Mieter in Bedrängnis gebracht. Gerichte haben Klagen von Arbeitnehmern und Gewerkschaftern verschleppt.

Die demokratischen Parteien haben in der ersten Wahlrunde 49,2 Prozent der Stimmen errungen. Nun wird es wichtig sein, ob und wie Trzaskowski deren Kandidaten einbezieht. Wenn ihre Teilhabe gewährleistet wird, so könnte dies die Wähler aus dem demokratischen Lager an die Urnen bringen. Er darf nicht den Fehler machen, wie er es als Bürgermeister von Warschau getan hat, dass er sich vom Parteivorsitzenden gängeln lässt, den Themenkatalog seines Gegners zu überbieten versucht und dabei seine Visionen aus dem Auge verliert.

Polen braucht nach Ansicht eines Aufrufs von Wissenschaftlern einen Präsidenten, der im Gegensatz zum amtierenden Präsidenten:
– die natürlichen Sehnsüchte der Jugend versteht, die die Welt kennenlernen und sich sowohl in polnischen Städten und Dörfern als auch außerhalb ihres Heimatlandes wohlfühlen möchten;
– die Rolle der Wissenschaft in der modernen Welt versteht und respektiert;
– der keine Meinungen äußert, die dem modernen medizinischen oder sozialen Wissen widersprechen;
– der Menschen nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung trennt oder sie mit dem Todesmal des Virus vergleicht;
– der sich für eine Bildung einsetzt, die den Herausforderungen der modernen Welt gerecht wird, für Schulen und Universitäten sorgt.

Wird die Mehrheit der Wähler erkennen, dass es sich um eine entscheidende Wahl handelt? Dass es auf Dauer nichts nützt, etwas Geld in der Tasche zu haben, wenn ein Diktator das Land übernimmt? Oder werden sie sich nur nach ihrem Portemonnaie richten und nach den täglichen 19.30-Nachrichten des regierungstreuen TVP und dem Medienimperium von Radio Maryja?

Für mich als Beobachter stellt sich die Frage, ob der hoffentlich neue Präsident und die demokratischen Parteien dann in der Lage sein werden, neben der Befriedung der beiden Lager und der Respektierung von Minderheitsrechten, auch die Rechte der arbeitenden Menschen und sozial Schwachen zu sehen und in den Griff zu bekommen.

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