Das Konjunkturprogramm treibt die Treibhausgasemissionen hoch
und hat für Soziales nur Peanuts übrig
von Wolfgang Pomrehn
Wir haben noch ein halbes Jahr. Entweder gelingt es uns jetzt, die Trendwende zu verfestigen oder die im Pariser Klimaabkommen verabredeten Ziele werden nicht mehr einzuhalten sein.
Diese drastische Warnung kommt nicht von Ende Gelände oder Fridays for Future, auch nicht von den vielen Klimawissenschaftlern, die Jahr für Jahr eindringlicher mahnen. Sie kommt von einer Institution, die bisher nicht für Kritik an der Öl- und Kohleindustrie bekannt war, von einem Mann, der in seinem Leben sicher noch nie auf die Straße gegangen ist, um für Umweltschutz zu demonstrieren. Fatih Birol, einst Chef-Volkswirt der Internationalen Energie-Agentur (IEA) und inzwischen deren Geschäftsführender Direktor hat diese Ermahnung kürzlich ausgesprochen.
Neun Billionen US-Dollar (Billionen Euro) würden in den nächsten Monaten als Konjunkturprogramme in den diversen Ländern von den Regierungen in die Wirtschaft gepumpt werden und entsprechende Weichen stellen. Und zwar langfristig: «Die nächsten drei Jahre werden über den Kurs für die nächsten 30 Jahre und darüber hinaus entscheiden», wird Birol von der britischen Zeitung Guardian zitiert. «Wenn wir nichts unternehmen, wird es einen Wiederanstieg der [Treibhausgas-]Emissionen geben. Und wenn dies geschieht, wird es in der Zukunft sehr schwer sein, sie wieder zu senken. Das ist der Grund, weshalb wir die Regierungen drängen, nachhaltige Konjunkturprogramme aufzulegen.»
Metallunternehmer geben den Ton an
Ganz anders da die Ansage von Gesamtmetall, dem Verband der Metall- und Elektroindustrie, an die Bundesregierung: «Klimaschutz ist für die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie ein wichtiges Anliegen. Dennoch ist es nötig, dass auf eine weitere Verschärfung der Klimaschutzziele, insbesondere durch die EU-Kommission, verzichtet wird. Denn kein Unternehmen kann in der jetzigen Phase die Belastungen der Krise und schärfere Klimaschutzvorgaben gleichzeitig schultern. Um die Liquidität der krisengeschüttelten Unternehmen zu sichern, muss der Staat auf die Erhöhung von Steuern und Abgaben verzichten.»
Mit anderen Worten: Der deutschen Industrie sind die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Ziele egal und sie möchte schon mal klarstellen, dass sie auf keinen Fall einen Beitrag zu den Krisenlasten leisten wird. Die staatlichen Mehrausgaben und die Einnahmeverluste sollen gefälligst woanders kompensiert werden, z.B. durch Rentenkürzungen und ähnliches.
In drei Jahren ist Schluss
Schauen wir uns kurz an, worum es im Klimaschutz geht und weshalb die deutschen und EU-Klimaschutzziele eigentlich dringend verschärft werden müssten.
Die Pariser Ziele: Beschränkung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 °Celsius und nach Möglichkeit auf nicht mehr als 1,5 °Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau laufen darauf hinaus, dass nur noch eine bestimmte Menge an Treibhausgasen emittiert werden darf. Andernfalls würde die globale Erwärmung über das genannte Maß hinausgehen. Mit den bekannten katastrophalen Folgen für Umwelt, Ernährung und Weltfrieden. Je nachdem, welches Ziel angestrebt wird, wären das 340–720 Milliarden Tonnen CO2. Beim gegenwärtigen Niveau, ist diese Menge in 8–18 Jahren aufgebraucht.
Eine Möglichkeit, diese Emissionen auf die Weltbevölkerung zu verteilen, besteht darin, ab dem Inkrafttreten der Vereinbarung 2016 jedem Menschen die gleiche Menge zuzuteilen. Für Deutschland ist das schon sehr großzügig, denn hierzulande haben wir, wie in den anderen Industriestaaten auch, viele Jahrzehnte über unsere Verhältnisse gelebt Dennoch müsste sofort die Notbremse gezogen werden, denn beim gegenwärtigen Niveau deutscher Emissionen ist unser Anteil für das 1,5-Grad-Ziel bereits in drei Jahren aufgebraucht. Soll die Erwärmung bei 1,75 °Celsius gestoppt werden, könnte noch acht Jahre so weiter gewirtschaftet werden wie bisher.
Konjunkturpaket ohne Klima
Da sollte man meinen, dass sich das auch irgendwie im deutschen Konjunkturpaket widerspiegelt, auf das sich die Berliner Koalitionsparteien Anfang Mai verständigt haben. Doch weit gefehlt. Seitenweise geht es dort nur darum, wie den Unternehmen unter die Arme gegriffen werden kann, um Steuergeschenke und -erleichterung, um Wettbewerbsfähigkeit und das Ankurbeln der Produktion.
Klimaschutz wird nur am Rande gestreift, die Bedürfnisse der Menschen, die Probleme in den Krankenhäusern, die enorme Arbeitsüberlastung des Pflegepersonals – nicht einmal das wird berücksichtigt. Für die Koalitionsparteien – zwei davon tragen das Adjektiv «sozial» im Namen – ist das kein Thema. Bestenfalls gibt es bei insgesamt 150 Mrd. Euro Volumen auch ein paar Brosamen: einen einmaligen Bonus je Kind von 300 Euro sowohl für die Millionärs- als auch für die Hartz-IV-Familie, 1 Mrd. Euro für Kitas, 2 Mrd. Euro für Ganztagsschulen.
Mogelpackung E-Auto
Immerhin: Auf den ersten Blick könnte man optimistisch anmerken, dass ausnahmsweise Proteste einmal etwas genutzt haben. Nachdem wochenlang über eine Neuauflage der Abwrackprämie diskutiert worden war und dies wütenden Widerspruch nicht nur bei den Fridays-for-Future und anderen Umweltschützern hervorrief, sondern bis in die Reihen der Union hinein auf Unverständnis stieß, wurde sie fallengelassen.
Fast. Zwar wird es für konventionelle Pkw mit Verbrennungsmotoren keine Förderung geben. Der Kauf von Elektrofahrzeugen soll aber verstärkt gefördert werden, und als Ziel wird ausgegeben, die Verbrenner auszutauschen. Das ressourcenfressende, auf dem Individualverkehr beruhende Mobilitätssystem soll also fortgeführt werden. Und natürlich stellt die Förderung von E-Autos vor allem ein Zuckerl für die ohnehin Wohlhabenden da. Wer sich einen Elektro-Pkw leisten kann, wird künftig bis zu 6000 Euro geschenkt bekommen. Oben drauf wird er zudem noch für zehn Jahre von der Kfz-Steuer befreit.
Unter Umweltgesichtspunkten ist das in mehrfacher Hinsicht besorgniserregend. Das E-Auto ändert nichts an grundlegenden Problemen des Individualverkehrs wie Unfallzahlen, Platzmangel in den Städten, hoher Energieverbrauch für die Herstellung, überdimensionierte Fahrzeuge, die für die Nichtmotorisierten eine besondere Gefahr darstellen, oder einen hohen Aufwand an Rohstoffen, deren Abbau erhebliche Umwelt- und oft auch Menschenrechtsprobleme bedingt.
Die Förderung von Elektroautos ist aber auch eine Mogelpackung, weil sie bislang hauptsächlich für sog. Plug-in-Modelle genutzt wird. Diese haben sowohl einen Verbrennungs- als auch einen Elektromotor. Da die meisten dieser Fahrzeuge ohnehin – wegen der steuerlichen Privilegierung – als Firmenwagen von Fahrern genutzt werden, die den Kraftstoff nicht aus eigener Tasche zahlen, werden sie in der Praxis fast ausschließlich mit Benzin oder Diesel gefahren. Mit einem überdurchschnittlichen Verbrauch pro Kilometer, denn der Elektromotor und die Batterie müssen schließlich auch mit bewegt werden.
Doch das E-Auto lässt sich die Regierung etwas kosten. 2,5 Mrd. Euro sollen in den Ausbau der Ladeinfrastruktur und in die Förderung der Entwicklung fließen. Natürlich hätte man den Konzernen auch sagen können: Behaltet mal die Dividenden in euren Unternehmen und steckt sie in Forschung und Entwicklung – 1,6 Mrd. Euro hat kürzlich allein BMW ausgeschüttet. Aber derlei traut sich die SPD offensichtlich nicht einmal zu träumen, und die Union sowieso nicht.
Weitere 2,2 Milliarden werden für die oben erwähnten Kaufprämien bereitgestellt, soziale Organisationen sollen mit 200 Millionen Euro und das Handwerk mit einer ungenannten Summe unterstützt werden, wenn sie ihren Fuhrpark auf Elektro umstellen.
Gebäudesanierung? Peanuts
Wenn es um Klimaschutz geht, sind noch vor dem Verkehr die Stromversorgung und der Energiebedarf in den Gebäuden die großen Treibhausgasquellen. Seit langem ist eine massive Gebäudesanierung überfällig, die den Bedarf an Heizenergie deutlich senkt. Natürlich nur, wenn sie richtig ausgeführt wird und nicht, wie in deutschen Großstädten inzwischen eher die Regel als die Ausnahme, allein zum Vorwand dient, die Mieten in immer neue Höhen zu treiben.
Doch auch hier hat das Konjunkturprogramm herzlich wenig zu bieten. Zwar wurde eine Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms beschlossen, aber nur für das laufende und das nächste Jahr. Insgesamt sollen 2 Mrd. Euro mehr vergeben werden. Das wäre für die beiden Jahre ein Zuwachs von jeweils 66 Prozent. Viel zu wenig, findet Barbara Metz von der Deutschen Umwelthilfe: «Um das Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands bis 2050 zu erreichen, wäre eine Förderung von bis zu 25 Mrd. Euro im Jahr notwendig. Dies würde auch zahlreiche neue und sichere Jobs im ganzen Land bedeuten.» Die gültigen Effizienzstandards für Gebäude seien seit langem veraltet und müssten hochgesetzt werden.
Rüstung statt Windkraft auf Land
Jobs ließen sich auch spielend schaffen, wenn die Bundesregierung endlich beim Ausbau der erneuerbaren Energieträger den Fuß von der Bremse nehmen würde. Dies geschieht jedoch nur zum Teil.
Der Ausbau der Windenergie auf See, eine kapitalintensive Domäne der großen Energiekonzerne und Fonds, soll verstärkt werden. Auch die Solarbranche kann vorerst aufatmen. Der Förderstop bei Erreichen einer definierten Höchstmenge an Solaranlagen, der sog. Solardeckel, wurde abgeschafft. Allerdings kann es beim derzeitigen Zuschnitt der Förderung sein, dass die Förderung neuer Anlagen schon im nächsten oder übernächsten Jahr so stark sinkt, dass der Bau neuer Solaranlagen zum Zusatzgeschäft wird.
Ganz bitter sieht es aber für die Windenergie an Land aus, bisher das Zugpferd der Energiewende und eine Jobmaschine für die Küstenregionen. Hier können die Bundesländer künftig zusätzlich zu den sonstigen Genehmigungen fordern, dass Windkraftanlagen mindestens 1000 Meter Abstand zum nächsten Wohngebäude haben müssen, ein Kriterium, das die verfügbaren Standorte drastisch einschränkt. (Zum Vergleich: Das AKW Brokdorf wurde 300 Meter vom nächsten Bauernhof entfernt errichtet.)
Schon in den vergangenen beiden Jahren sind an Land kaum noch neue Windkraftanlagen entstanden. Ein neues Ausschreibungsverfahren hat entsprechende Projekte insbesondere für kleine Genossenschaften und ähnliche erheblich erschwert. Mehrere tausend Arbeitsplätze bei den Herstellern sind bereits verschwunden, Zehntausende könnten bald folgen. Meist in sog. strukturschwachen Regionen und mitten in der vermutlich tiefsten Krise seit den späten 1920er Jahren. Doch die große Koalition errichtet weitere Hürden und kümmert sich weder um das Auskommen der Betroffenen noch um die drohende Klimakrise und die Interessen der jungen Generation.
Da passt es wie die Faust aufs Auge, dass die Koalition als Konjunkturmaßnahme auch noch beschließt, Rüstungsaufträge vorzuziehen. Mehrere Milliarden Euro stehen dafür bereit. Bezahlt wird mit zusätzlicher Staatsverschuldung, die später mit Kürzungen bei der Bildung abgebaut oder aber künftigen Generationen überlassen werden.