«Sag mir, wo du stehst» – oder: Coronadeutungsmanöver
dokumentiert
Ist die Krise eine Chance? Und für wen? Nicht wenige hoffen, dass sich nach den tiefen Einschnitten ins Alltagsleben nun neue Räume öffnen werden, um effektiv gegen die Missstände des Kapitalismus im 21.Jahrhundert vorzugehen: Klimaerhitzung, Umweltzerstörung, soziale Ungleichheit, Rassismus und Frauenunterdrückung.
Ob es so kommt, ist längst nicht ausgemacht. Denn auch die andere Seite interpretiert COVID-19 ganz in ihrem Sinne. Wer steht dort? Und wo soll die Reise hingehen? Wir haben uns in der wild wuchernden Landschaft der Krisendiagnosen und -lösungen umgeschaut und die schönsten Corona-(Stil-)Blüten gepflückt. Das letzte Wort ist dabei noch nicht gesprochen.
«Humans are biohazards, machines are not.»
Anuja Sonalker, CEO bei Steer Tech, einem Unternehmen aus Maryland, das Technologie für Einparkhilfen entwickelt, zitiert in einem Artikel von Naomi Klein vom 13.Mai im Guardian
«Vor allem aber müssen wir unsere Wirtschaft zurück auf den Wachstumspfad führen, den wir schon vor Corona verlassen hatten. Wer Arbeitsplätze, wer soziale Sicherheit und ökologische Sensibilität, wer staatliche Handlungsfähigkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein starkes Gesundheitssystem sichern will, der sollte sich nun dem widmen, um was wir bangen: Wachstum und Freiheit.»
FDP-Vorsitzender Christian Lindner am 10.April 2020 in einem Gastkommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
«Es ist klar, dass die Corona-Virus-Krise schwerwiegende wirtschaftliche Folgen haben wird, und zumindest kurzfristig wird es auch schwerwiegende Folgen nicht nur für die Gesamtwirtschaft, sondern auch für die Staatshaushalte geben. Über die langfristigen Folgen können wir noch nichts sagen. Aber wir müssen uns daran erinnern, dass die NATO-Verbündeten, als sie beschlossen, mehr in die Verteidigung zu investieren, dies taten, weil wir in einer unsichereren, unberechenbareren Welt leben und daher mehr in die Verteidigung investieren müssen. Daran hat sich nichts geändert.»
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Pressekonferenz am 19.März 2020
«Corona betrifft uns jetzt schon unmittelbar, die Verbreitung wird deutlich zunehmen. Was die Migrationskrise betrifft, haben wir nach wie vor die Hoffnung, dass die griechische Außengrenze hält, aber wir sind natürlich auch vorbereitet, unsere eigene, nationale Grenze zu schützen, wenn es notwendig wird … Ich habe Mitleid, aber ich bin trotzdem imstande, notwendige Entscheidungen zu treffen.»
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz in einem Interview mit der Kronenzeitung am 8.März 2020
«Aber den Leuten zu sagen, dass sie ihr Haus nicht verlassen können, dass sie dann festgenommen werden, das ist Faschismus, das ist nicht demokratisch.»
Elon Musk in einem Interview, zitiert in der Welt vom 30.April 2020
Kurz bevor er Ausgangsbeschränkungen mit Inhaftierung verglich, hatte Musk versucht, eine Ausnahmeerlaubnis für den Weiterbetrieb des Tesla-Hauptwerks in Fremont bei San Francisco zu bekommen – scheiterte aber damit an den Behörden.
«Infizierte Anhänger der muslimischen Tablighi-Glaubensgemeinschaft haben Ärzte und Pflegepersonal angespuckt, um sie ebenfalls zu infizieren. Zu diesem Zweck haben sie auch ihren Kot auf Schulhöfen hinterlassen. Das entspricht den Tatsachen.»
Nalin Kohli, internationaler Sprecher der indischen Regierungspartei BJP, in einem Interview mit der Deutschen Welle am 21.April 2020
Die Regierungspartei definiert sich als «hindunationalistisch». Einige ihrer Politiker sprechen von einem «Corona-Jihad», mit dem muslimische Glaubensgemeinschaften angeblich angetreten seien, um den Hindus in Indien den Garaus zu machen.
«Ich habe viel Verständnis für Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Er steht gerade sehr unter Druck und die Politik in Deutschland macht einen tollen Job. Aber seine Kritik darf nicht zur Manie werden.»
Fleischfabrikant Clemens Tönnies in einer Pressekonferenz am 13.Mai in Rheda-Wiedenbrück über die Kritik an den Zuständen in der deutschen Fleischindustrie
«Es muss sichergestellt sein, dass bestehende oder vor der Krise geplante Gesetze und Regelungen, die hemmende Wirkung entfalten oder – besonders wichtig – die Refinanzierung von Medienangeboten gefährden, aussortiert werden und wachstumsfreundlichen Konzepten und Maßnahmen Vorfahrt eingeräumt wird. Dies ist beispielsweise bei Änderungen der datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Telemediengesetzes und den Vorschlägen zur ePrivacy-Verordnung zu berücksichtigen. Ein solches Belastungsmoratorium wird sich auszahlen und als vertrauensbildendes Signal nationaler und europäischer Politik verstanden werden.»
Erklärung des Präsidiums des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) am 7.April 2020 zur Corona-Krise
«Belastungsmoratorium» – was für eine Wortschöpfung! Auch andere Branchen haben sie aufgegriffen. Die Werbewirtschaft will neue Bestimmungen, die Kunden vor Datenkraken im Internet schützen, wieder abschaffen bzw. nicht in Kraft treten lassen.
«Zur Überwindung der wirtschaftlichen Krise infolge der Corona-Pandemie fordert der Deutsche Bauernverband ein Moratorium für neue, kostenintensive gesetzliche Auflagen und Standards. Auflagen und Standards für die deutsche Landwirtschaft kosteten nach Berechnungen des HFFA-Institut jährlich rund 5,3 Mrd. Euro. Dazu gehören vor allem die EU-Wasserrahmenrichtlinie, die Düngeverordnung, EU-Regeln für Pflanzenschutzmittel und Standards in der Tierhaltung. Unter Berücksichtigung der Auflagen in wichtigen Wettbewerbsländern beträgt der Kostennachteil der deutschen Landwirte 4,1 Mrd. Euro, der durch die erneut geänderte Düngeverordnung steigt und durch geplante neue Gebietsauflagen (Insektenschutz, Wasserhaushaltsgesetz) weiter steigen würde.»
Erklärung des Präsidiums des Deutschen Bauernverbands vom 12.Mai 2020
«Ob es einem passt oder nicht: Erfolgreiche Klimapolitik und De-Industrialisierung schließen sich aus. Wer statt ökologischer Modernisierung auf einen Wandel der Lebensstile setzt, verkennt den Charakter der Klimakrise.»
Roman Zitzelsberger, IG Metall, in seinem Gastbeitrag für den Freitag vom 28.April 2020, erschienen unter dem Titel «Die Zukunft ermöglichen»
«Eine Sache, die mir ganz persönlich am Herzen liegt: Die Corona-Krise hat insbesondere kleine und mittlere Unternehmen hart getroffen und die Auswirkungen der Pandemie werden noch lange spürbar sein. Viele stationäre Händler auch aus Ihrer Nachbarschaft haben in dieser Zeit das Internet als weiteren Vertriebskanal entdeckt oder ihre Aktivitäten dort intensiviert. Ich möchte Sie heute ermutigen, auch das Angebot dieser Händler zu nutzen und sie so zu unterstützen – sei es bei Amazon.de oder auf anderen Kanälen. Wir alle profitieren von Vielfalt im Handel und diese gilt es zu erhalten.»
Ralf Kleber, Country Manager Amazon.de, in einem Rundschreiben vom 18.Mai 2020
Amazon entdeckt sein Herz für den lokalen Einzelhandel und bietet einen Schutzschild der besonderen Art an – eine tödliche Umarmung.
«Wir fordern eine Stundung oder Verzicht auf neue Luftfahrtsteuern auf EU- oder nationaler Ebene, um die künftige Erholung des Sektors zu unterstützen. Es wird Zeit und harte Arbeit erfordern, bis sich die europäischen Fluggesellschaften von den durch den Ausbruch von COVID-19 verursachten Schäden erholt haben. Neue Steuerbelastungen sollten aufgeschoben werden, bis die Branche wieder auf einer soliden operativen und finanziellen Grundlage steht. Dazu gehören auch die für den Luftverkehr geltenden Bestimmungen der Richtlinie zur Energiebesteuerung (Richtlinie 95/60/EG des Rates).»
Erklärung der Airlines for Europe (A4E) vom 12.März 2020
Der 2016 gegründeten Lobbyorganisation europäischer Fluggesellschaften, darunter Lufthansa, TUI, Ryanair u.a., reichen Kurzarbeitergeld für ihre Beschäftigten und günstige Staatskredite nicht. Sie wollen, dass Kerosin weiter steuerfrei als Treibstoff in Flugzeugen verbrannt werden darf. Ein Privileg, das kein anderes Verkehrsmittel für sich beanspruchen kann.
«They’re running into death just like soldiers run into bullets.»
Trump über Care-Worker in der Corona-Krise, zitiert nach Forbes vom 14.Mai 2020
«Sehr viele mehr werden sich von geliebten Menschen vor der Zeit verabschieden müssen.»
Boris Johnson über die Konsequenzen seiner anfänglichen Strategie der Herdenimmunität, zitiert in einem Beitrag des ZDF vom 11.Mai 2020
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