Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 08/2020

Thematisierung sozialer Aspekte bei Startrek und Co.
von Torsten Bewernitz

Die Science-Fiction-Fernseh­serie Startrek wurde 1966 erstmals im US-Fernsehen ausgestrahlt. Darin ging es um das Raumschiff Enterprise, «das unterwegs ist, um fremde Welten zu entdecken, unbekannte Lebensformen und neue Zivilisationen».

In den 90ern gab es eine Neuauflage, Star Trek – The Next Generation, diesmal kommandierte der Kapitän Picard, hoch gebildet, mit einer Schwäche für Archäologie, Shakespeare und Earl Grey Tea.

Die Enterprise hatte in den Jahrhunderten ihrer Missionen häufig den Auftrag, planetare Pandemien zu bekämpfen, oder sie hatte selbst mit dem Ausbruch von Epidemien auf dem Schiff zu kämpfen.
Die NCC 1701, das Raumschiff von Captain Kirk, Mr. Spock und dem durchaus logikbegabten Dr. McCoy («Bones» bzw. «Pille»), fand sich ­etwa auf einem Planeten wieder, auf dem eine Pandemie sämtliches erwachsenes Leben ausgelöscht hat und die überlebenden Kinder sich mit Beginn der Pubertät infizieren. Auch der Landungstrupp der Enterprise infiziert sich (TOS, Staffel 1, Episode 9, «Miri, ein Kleinling»). Am Ende der ersten Staffel (TOS, Episode 30, «Spock außer Kontrolle») trifft Kirk das Schicksal persönlich, unter den Opfern der dortigen Seuche ist die gesamte Familie seines Bruders Georg. Die Auslöser der Seuche sind etwas größer als das Corona-Virus, es sind fledermausgroße Amöben, die auch Mr. Spock erwischen.

Der politische Wert der Startrek-Serien lag zu Lebzeiten des Startrek-Erfinders Gene Roddenberry immer in der Thematisierung moralischer Dilemmata, formuliert und aufgeworfen aus einer emanzipatorischen Perspektive.
TOS wurde erfunden vor dem Hintergrund der Bürgerrechtsbewegungen; die NCC 1701 war das erste Schiff mit einem Asiaten (Sulu, gespielt von George Takei, der kürzlich eine autobiografische Graphic Novel They called us Enemy über die Internierung von JapanerInnen in den USA während des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht hat) und einem Russen an Bord; in Startrek fand der erste «interethnische» Kuss zwischen Captain Kirk und der Suaheli Uhura statt.
Mit Blick auf die sozialen Aspekte der COVID-19-Pandemie verdient die Folge «Kodos, der Henker» (TOS, Staffel 1, Episode 14) besondere Aufmerksamkeit: Captain Kirk identifiziert in dem Shakespeare-Darsteller Anton Karidian den ehemaligen Gouverneur von Tarsus IV, einer Föderations-Kolonie mit 8000 Siedler­Innen. Als durch Pilzbefall und Missernten eine Hungersnot ausbricht, ruft Kodos das Kriegsrecht aus und lässt 4000 der SiedlerInnen töten, damit die anderen 4000 nicht verhungern – eine Triage, um deren Legitimität der alternde Schauspieler und Kirk streiten.
In einem späteren Roman – und damit nicht im offiziellen Startrek-Kanon – stellt sich heraus, dass der als Massenmörder gesuchte Kodos nicht alleine handelte. Hinter dem Plan zur Rettung von 4000 Siedler­Innen steckte Spocks Vater, der rationale und pazifistische Vulkanier Sarek.
Star­trek thematisiert hier eine Variation der in der Serie häufig gestellten Frage, ob es legitim sei, einzelne oder eine geringere Menge von Personen zur Rettung einer größeren Personenmenge zu opfern. Die strenge Logik, für die im Startrek-Universum die Vulkanier stehen, scheint dies zu gebieten – allerdings zeigt sich immer wieder, dass diese Logik eben nur auf Rechenoperationen beruht und die Zahl allein als Grundlage für eine Ethik nicht taugt.

Ganz ähnlich thematisiert Ursula K. LeGuin in ihrem Science-Fiction-Klassiker The Dispossessed (dt. Planet der Habenichtse) die Frage der Triage: Im Mittelteil des Romans beschreibt die Autorin eine große Hungersnot auf dem anarchistisch organisierten und verwalteten Mond Anarres und die damit verbundene, bewusste gesellschaftliche Entscheidung, massenhaft Menschen verhungern zu lassen – vor allem aber den gesellschaftlichen Zwang, dass Einzelne entscheiden müssen, wer lebt und wer stirbt.
Die Figur Shevek unterhält sich über diese Hungersnot mit einem Eisenbahner, der zentrale Sätze des Buches sagt: «Ich … arbeitete ganztags … daher bekam ich volle Rationen. Ich verdiente sie mir. Ich verdiente sie, indem ich Listen von den Menschen aufstellte, die zum Hungertod verurteilt wurden … Ich musste Menschen zählen … Ich habe [die Arbeit] niedergelegt … Aber die Listen von der Fabrik … hat jemand anders übernommen. Es gibt immer Leute, die bereit sind, Listen aufzustellen.»

LeGuins Buch, das gerne als Utopie gelesen wird, weist auf die Stolpersteine hin, die auch freien und gleichen Gesellschaften im Wege liegen können.
Gleiches gilt für die durchaus utopische Welt von Startrek. Ein Jahrhundert nach Captain Kirk muss die NCC 1701-D planetare Katastrophen verhindern. Die DrehbuchautorInnen werfen, mehr noch als in TOS, regelmäßig komplexe ethische Fragen auf, denen sich die Crew im Umgang mit den neu entdeckten Lebensformen und Phänomenen auf ihrer Mission stellen muss. Die Diskussionen auf dem Raumschiff sind hochgradig moralisch. Captain Jean-Luc Picard kommt dabei die Rolle des Mediators zu.
Deutlich wird die NCC 1701-D als Forschungsschiff dargestellt, und trotz militärischer Kommandostruktur setzt Picard auf demokratische Debattenkultur. Allerdings müssen die schweren Entscheidungen letztlich meist gar nicht getroffen werden, denn zumeist kommt der Zufall oder auch das Glück zur Hilfe.
Die nachfolgenden Weltall-KommandeurInnen – Captain Sisko von der Raumstation Deep Space Nine und Captain Janeway vom Raumschiff Voyager – haben oft weit weniger Probleme, moralisch fragwürdige Entscheidungen zu treffen. Das hat drei voneinander recht unabhängige Gründe: Mit dem Tod von Gene Roddenberry 1991 geriet peu à peu der emanzipatorische Charakter der Serie in den Hintergrund, neue Filmtechniken ließen Action in den Vordergrund treten und die Weltlage – insbesondere nach 9/11 – ließ einen anderen Typus von Captains in den Vordergrund treten. Spätestens Captain Archer in der vor Kirk & Co spielenden Serie Enterprise (gedreht 2001–2005) stand für eine Law-and-Order-Planetenföderation, die sich gegen terroristische Bedrohungen von außerhalb «wehren» musste.

Es bekommt der Story manchmal gar nicht schlecht, wenn die interplanetare Föderation ihren utopischen Charakter verliert. Dass die Zukunft nicht so rosig ist, wie zu Kirks und Picards Zeiten gedacht, stellt sich schon in Deep Space Nine heraus, als mit dem Geheimdienst Sektion 31 der «tiefe Staat» der Föderation in Erscheinung tritt.
Manche KommentatorInnen haben sich darüber gewundert, dass die jüngste Startrek-Serie Picard einen Jean-Luc Picard präsentiert, der nicht mehr jovialer Diplomat ist, sondern ein grantiger alter Mann. Die Serie bleibe eine Erklärung für diesen Charakterwandel schuldig. Nun, diese liegt letztlich, wie schon bei Ursula LeGuin, in der Erkenntnis begründet, dass jede Utopie auch ihre dystopische Seite hat und dass ein integrer Charakter wie Picard zwangsweise früher oder später Skepsis gegenüber der Regierungsform entwickeln oder sogar erkennen muss, für ein Ideal einzutreten, dass es so gar nicht gibt. Die «Föderation der Planeten», wie sie in den neueren Serien präsentiert wird, ist für einen Picard Grund genug, ein zorniger alter Mann zu werden.

Bei allem emanzipatorischen Gehalt war Staatskritik selten die starke Seite von Startrek – immerhin war Gene Roddenberry Polizist und Startrek (auch) als Weltraumwestern konzipiert. Captain Kirk ist letztlich ein gar nicht so postmoderner Sheriff, der auch schon mal als antikommunistischer Verfechter der Aufrüstung auftritt (TOS, Staffel 2, Folge 49, «Der erste Krieg»).
Nach 9/11 wurde Star­trek zwar in vielerlei Hinsicht deutlich apologetischer gegenüber der US-amerikanischen Politik, sah jedoch auch oft deutlicher die Gefahren eines starken Staats. Aktuell etwa stehen die Startrek-Macher deutlich an der Seite von Black Lives Matter: Star­trek.com verweist auf die Tradition der Serie. Neun verschiedene Fan-Initiativen haben sich der Bewegung dezidiert angeschlossen. Dennoch: Wer die Startrek-Ethik in zeitgenössischem Gewand sucht, ist mit Seth MacFarlanes Fast-Star­trek-Serie The Orville besser bedient als mit den zahlreichen aktuellen Star­trek-Spin-Offs.

Der Autor ist aktivistischer Gewerkschaftsforscher oder forschender Gewerkschaftsaktivist und schafft es nur noch selten, eine Folge Startrek zu gucken.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.