Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2020

Mobilisierung an der Heimatfront
von Wolfgang Dominik*

Der Bundeswehr geht für zukünftige globale militärische Einsätze und gleichzeitige Absicherung der Heimatfront das Personal aus. Alle Versuche, Freiwillige zum Sterben zu werben, reichen nicht aus.

Noch schrecken die Verantwortlichen im Kriegsministerium davor zurück, die Aussetzung der Wehrpflicht wieder rückgängig zu machen. Dafür ist ihnen nun etwas anderes eingefallen: eine Mischung aus bewaffneten Rot-Kreuz-HelferInnen und barmherzigen SamariterInnen, die für die Bananen unserer Kinder und Hilfen bei Pandemien sorgen (siehe www.youtube.com/watch?v=86EL BWLNdmg).

Die Bundeswehr – dein Freund und Helfer
«Dein Jahr für Deutschland – freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz» soll zunächst in eine siebenmonatige militärische Grundausbildung und anschließend sechs Jahre «Dienst für Deutschland» gegliedert sein. In diesen Jahren müssen noch einmal fünf Monate militärischer Reservedienst geleistet werden. Auslandseinsätze sollen ausgeschlossen bleiben. Dieser Reservedienst soll angeblich heimatnah erfolgen und z.B. die lauthals propagierten Einsätze bei Waldbränden, Überschwemmungen, Pandemien enthalten sowie militärische Weiterbildungen. In der Hochphase der Corona-Pandemie wurden nur wenige hundert der vom Kriegsministerium bereitgestellten 15000 SoldatInnen gebraucht. Sie fanden in den Mainstream-Medien allerdings große Beachtung, dienen sie doch der Akzeptanz der Bundeswehr als altruistisch dem Gemeinwohl dienende Institution und somit als dein Freund und Helfer. Kriegsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) will mit diesem «Argument» gleich noch mehr Milliarden unserer Steuergelder für Mordinstrumente ausgeben.
Insgesamt soll «unser» Land in «Krisenzeiten» widerstandsfähiger werden. Mit 1000 Freiwilligen soll im April 2021 begonnen werden, Bewerbungen für Frauen und Männer ab 17 Jahren sind vom 1.9. (übrigens dem Antikriegstag!) 2020 an möglich.

Heimatschutz
Heimatschutztruppen der Bundeswehr gibt es mit wechselnden Namen seit ihrem Bestehen. Heimatschutz ist aber auch längst ein Begriff aus der Sprache der dem NSU nahe stehenden Nazis. Sicher werden sich Identitäre, Heimattreue Jugendliche, extrem rechte junge Biodeutsche angesprochen fühlen, etwas zum Schutz der Heimat zu leisten – die wird ja von MigrantInnen extrem bedroht. Der Minister des Innern ist ja auch Minister für die Heimat. Und was der zur «Mutter aller politischen Probleme» erklärt hat, nämlich die Migration, war immer schon im kollektiven Bewusstsein verankert und wird nun ministeriell abgesegnet.
Bei der Bundeswehr werden entsprechende Jugendliche nicht nur eine Ausbildung an Waffen erhalten, sie haben auch eine Chance, der durch Corona noch verschärften Berufsausbildungsmisere zu entkommen und dazu noch 1400 Euro netto verdienen. Das Motto der Kriegsministerin beim Gelöbnis 2020 ausgerechnet im Bendler-Block in Berlin war «Ehre, Treue, Tapferkeit, Soldatentum». Auch diese deutschen Tugenden dürften auf fruchtbarem rechtem Boden vorhanden sein. Gleichzeitig wird ein Angebot geschaffen, nicht zu Auslandseinsätzen kommandiert zu werden und da eventuell sogar sein Leben zu riskieren.
Zynisch gesprochen gibt es auch die Bewaffnung von Nazis aus Bundeswehrbeständen «kostenlos». Jüngst wurde festgestellt, dass 60000 Schuss Munition, über 100 Dienstwaffen und beim KSK 48000 Schuss Munition, über 60 Kilogramm Sprengstoff und ähnliches fehlen. Wegen extrem rechter Vorfälle will AKK sogar eine KSK-Kompanie auflösen.

Militarisierung der Gesellschaft
Die Sprecher der AWO und des Paritätischen Wohlfahrtsverbands haben schon heftig protestiert. Sie sehen ihr freiwilliges soziales Jahr gefährdet. Durch die bessere Bezahlung bei dem «Heimatschutz» könnten Stellen verloren gehen. Der Begriff «freiwillig» wird missbraucht.
Schnupperkurse bei der Bundeswehr sollen mit «Dein Jahr für Deutschland – Heimatschutz» angeboten werden. Selbstverständlich besteht die Hoffnung, dass die eine und der andere dann weitermachen. Vor allem weit rechts stehende Jugendliche mit einer Affinität zur Bundeswehr und zum Waffengebrauch werden sich möglicherweise weiter verpflichten und Anschluss bei einem der äußerst rechten Netzwerke in der Bundeswehr finden.

Einsatz an der Heimatfront
Tatsächlich braucht dieses Land in Kriegszeiten, die von vielen prognostiziert werden, auch Militär an der Heimatfront. Die Notstandsgesetze ermöglichen den Einsatz der Bundeswehr nach innen. Oft genug wird und wurde der Einsatz der Bundeswehr nach innen bei Problemlagen schon diskutiert oder wie z.B. in Heiligendamm 2008 auch praktiziert.
Laut den Verteidigungspolitischen Richtlinien, die die Generalität unter Kriegsminister Struck im Mai 2003 formulierte, ist der «Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen» Aufgabe der Bundeswehr. Was «lebenswichtige Infrastruktur» und «terroristische und asymmetrische Bedrohungen» sind, definiert das Kriegsministerium. Ob in einem Kriegsfall überhaupt garantiert werden kann, dass Auslandseinsätze nicht erfolgen, weiß niemand.
Auch wenn es sie tatsächlich nicht gibt, warten viele Aufgaben im Innern des Landes auf die Bundeswehr bzw. den Heimatschutz. AKK betonte auf der letzten Jahrestagung der Reserve der Bundeswehr, dass möglichst viele und gut ausgebildete ReservistInnen das Rückgrat der Einsatzbereitschaft der übrigen Bundeswehr sind. Eine einsatzbereite und stets verfügbare Reserve ist für ein Land als logistische Drehscheibe für die Handlungsfähigkeit der NATO in Osteuropa existenznotwendig. Das Manöver Defender 2020 hat das auch in der durch Corona abgespeckten Variante gezeigt. Zehntausende US-amerikanischer SoldatInnen konnten auf die deutsche Unterstützung zurückgreifen und auf ihre in Deutschland gelagerten immensen Waffensysteme.
Laut Werbeseite der Bundeswehr ist es Auftrag des «Heimatschutzes, u.a. bei Naturkatastrophen oder Großschadenslagen, Pandemien und anderen Ereignissen, die der Anstrengung unseres gesamten Landes mit allen Behörden, staatlichen Institutionen und der Bevölkerung bedürfen, mitzuwirken.» Wo fangen die «anderen Ereignisse» an, wo hören sie auf? Geht es vielleicht auch um die Niederschlagung von inneren Unruhen?
Die Kriegsministerin versteht das neue «Angebot» der Truppe offenbar als einen Schritt auf dem Weg zu einer allgemeinen Dienstpflicht, die der «Kitt der Gesellschaft» sein soll. Obwohl manche in der SPD und bei den Grünen sich wie üblich noch zieren, gibt es bis auf Die LINKE eine ganz große Koalition in dieser Frage.

Zivilmilitärische Zusammenarbeit (ZMZ)
Die 1000 Soldatinnen und Soldaten pro Jahr, die zunächst ausgebildet werden, stocken die rund eine Million ReservistInnen auf, die es schon gibt und über deren Rolle nie gesprochen wird. Drei Kompanien an ReservistInnen wurden für die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) in NRW offiziell durch die Landtagspräsidentin in Dienst gestellt.
Bei globalen Einsätzen ist eine gut ausgebildete Reserve laut Weißbuch 2016 «unverzichtbar». Waffenproduktion, Transportwege, öffentliche Einrichtungen müssen zur Not auch durch den Einsatz der Bundeswehr nach innen «gesichert» werden. Durch zivil-militärische Zusammenarbeit leistet die Reserve einen Beitrag zur «vernetzten Sicherheit».
In 426 Städten und Landkreisen sind seit etwa zehn Jahren Offiziere der Reserve vom Oberstleutnant aufwärts in den Rathäusern präsent, die im Katastrophenfall gemeinsam mit Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten, wie THW und Rotem Kreuz Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung beraten und durchführen. Die 31 Bezirks- und 426 Kreisverbindungskommandos können jeweils auf mindestens acht bis zwölf Offiziere und Soldaten der Reserve zurückgreifen.
Durch das neue Reservistengesetz können ReservistInnen, oft in äußerst rechten Reservistenverbänden organisiert, bis zum Alter von 65 (!) Jahren aktiviert werden. Das klingt fast schon wie «Volkssturm».
Ungefähr 5500 Offiziere stehen also jetzt schon Tag und Nacht bereit, die Polizei und die Feuerwehr zu «beraten». Dieses neue «territoriale Netzwerk» der Bundeswehr schließt 16 Standorte der Bundeswehr als Spezialstützpunkte ein, in denen besonders Kräfte, die in der Abwehr von CBRN-Gefahren ausgebildet sind, auf ihren Einsatz vorbereitet werden. Unter CBRN-Gefahren versteht man chemische (C), biologische (B), radiologische (R) und nukleare (N) Risiken, die in Deutschland wahrscheinlich sind oder werden könnten.
Was kommt noch?
«Dein Jahr für Deutschland» soll mit SoldatInnen, die zumindest sechs Jahre lang regelmäßig trainiert wurden, eine Lücke füllen. Mit 1000 Jugendlichen soll ein Anfang gemacht werden. Das ist ein Teil der Aufrüstung. Wie es weitergehen soll, weiß noch niemand. AKK ist eine Anhängerin der «allgemeinen Dienstpflicht». Es kann vermutet werden, dass jetzt eine aktive Eingreiftruppe an der Heimatfront gegründet wird. Oder dass doch irgendwann die allgemeine Dienstpflicht kommt. Auch an der Heimatfront soll Krieg führbarer gemacht werden.
An die 2000 Mrd. US-Dollar werden Jahr für Jahr für Mordwaffen ausgegeben. Oft noch unter dem Motto: Willst du den Frieden, bereite den Krieg vor. Dieser Satz ist nie in der Menschheitsgeschichte verifiziert worden. Die Atomkriegs-Uhr, doomsday clock, steht auf 2 Minuten vor 12. Eine Milliarde sind tausend Millionen. Für unser aller Tod im Krieg. Jede Aufrüstung führt zum Krieg.

* Der Autor ist aktiv in der antifaschistischen und Friedensbewegung, Mitglied der DFG/VK und der VVN-BdA.

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