Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2020

Oder reicht der Boden für weitere 4 Milliarden Menschen?
Zusammenstellung von Angela Klein

Der neue Weltagrarbericht der UN-Welternährungsorganisation FAO ist in der öffentlichen Aufmerksamkeit untergegangen. Dabei enthält er alarmierende Nachrichten: Die Zahl der Menschen, die hungern, steigt weltweit kontinuierlich an, seit 2014, als die Zahlen erstmals wieder nach oben gingen, um 60 auf 690 Millionen. 750 Millionen sind unterernährt, fast ein Zehntel der Weltbevölkerung.


Fast 2 Milliarden Menschen haben keinen gesicherten Zugang zu ausreichender und nahrhafter Ernährung. Der Anteil der unterernährten Kinder ist mit 21,3 Prozent mehr als doppelt so hoch. Nicht eingerechnet sind die 6 Millionen Kinder unter 5 Jahren, die jedes Jahr an Unterernährung und vermeidbaren Krankheiten sterben. Die Zahl der Menschen, die sich eine gesunde Nahrung nicht leisten können, beträgt über 3 Milliarden – das sind rund 40 Prozent der Weltbevölkerung!
Das heißt, dass nicht nur die Klimaziele bis 2030 nicht erreicht werden; auch das Millenniumsziel, die Welt bis 2030 vom Hunger zu befreien, steht auf der Kippe. Beim jetzigen Gang der Dinge würde die Zahl der Hungernden dann 840 Millionen überschreiten. Dabei ist der Corona-Effekt noch gar nicht eingerechnet, die FAO schätzt, dass die Pandemie die Zahl der Hungernden in diesem Jahr um 83–132 Millionen nach oben treiben könnte.
Nicht überraschend konzentrieren sich Hunger und Unterernährung auf die Länder des globalen Südens. Doch dabei gibt es Verschiebungen: In Afrika stieg die Zahl seit 2015 kontinuierlich von 18 auf 19 Prozent (im Jahr 2030 voraussichtlich mehr als 25 Prozent!). Auch in Lateinamerika ist die Zahl der Hungernden und Unterernährten in den letzten Jahren dramatisch gestiegen: von 6,2 auf 7,4 Prozent (2030 voraussichtlich 9,5 Prozent). In Asien hingegen hat sie abgenommen (von 8,8 auf 8,3 Prozent, 2030 voraussichtlich 6,6 Prozent).
Gleichzeitig produziert die Landwirtschaft mehr Nahrung als je zuvor, und zwar sowohl in absoluten Zahlen als auch pro Kopf der Bevölkerung, die Agrarproduktion wächst schneller als die Bevölkerung. Die FAO schätzt: Wenn die Ernten, die wir heute haben, vollständig und effektiv zur Ernährung genutzt würden (statt an die Tiere verfüttert oder zur Energieerzeugung verbrannt zu werden), könnten 12–14 Milliarden Menschen ernährt werden. «Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat die Menschheit heute die Mittel an der Hand, den Hunger in der Welt zu besiegen», heißt es in dem Bericht. Immer haben sich Politiker dieses Ziel auf die Fahnen geschrieben, und immer sind sie damit gescheitert.

Warum ist das so?
Dafür gibt es mehrere Gründe, von denen einige direkt mit der kapitalistischen Nutzung von Agrarflächen zu tun haben, andere indirekt, weil sie Folgen der Klimakatastrophe sind. Eine ­Zusammenstellung von Angela Klein.

Die Fleischproduktion
Der erste Grund ist die Verschiebung der Ernährung von Getreide zu Fleisch in den Ländern des globalen Nordens. Dies hat zur Folge, dass nur 43 Prozent des angebauten Getreides für die Menschen da sind, der Rest wird entweder an Schlachttiere verfüttert (36 Prozent) oder zu Energie verbrannt (21 Prozent). In Europa wird fast die Hälfte der Weizenproduktion verfüttert.
Die Massentierhaltung ist besonders in den OECD-Staaten, mit steigender Tendenz auch in Asien verbreitet. Die verstärkte Urbanisierung befördert aber insgesamt die Intensivhaltung von Nutztieren in Stadtnähe. Dafür wird in Ländern des globalen Südens wertvolles Ackerland dazu genutzt, Futtermittel anzubauen, wo vorher Wälder standen oder Getreide für den heimischen Bedarf angebaut wurde.
Vor allem Soja schießt den Vogel ab: Wir verbrauchen in Deutschland pro Jahr und Kopf mehr Soja als Kartoffeln und Nudeln, 80 Prozent davon landen in Tiermägen. Dafür werden gerade in Ländern, in denen die Ernährung der Bevölkerung nicht sichergestellt werden kann, immer größere Flächen für den Export von Proteinpflanzen für die Fleischproduktion in den Ländern des globalen Nordens verwendet.
Anders ausgedrückt: Mit jedem Schweineschnitzel und Hühnerbein, das wir essen, nehmen wir Menschen im globalen Süden Land weg, das sie für die Deckung ihres eigenen Bedarfs dringend brauchen. Das geschieht hauptsächlich dadurch, dass Großkonzerne mit Hilfe von Regierungen in großem Stil Land pachten oder kaufen und die Kleinbauern davon vertreiben (siehe Landraub weiter unten).
Es geschieht aber auch dadurch, dass diese Konzerne durch Nahrungsmittelexporte den Kleinbauern auf den lokalen Märkten eine Konkurrenz machen, der sie nicht standhalten können. Afrika wird von Hähnchenfleisch aus der ganzen Welt überflutet, auch aus Deutschland, gegen die Dumpingpreise kommen die afrikanischen Kleinbauern nicht an, sie müssen ihr Land aufgeben.
«Im Kampf gegen den Hunger ist nichts wichtiger als die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft», schreibt die FAO. Dafür muss die Exportorientierung der deutschen (und EU-)Landwirtschaft aber aufgegeben werden. Die industriellen Schlachthöfe in Deutschland gehören geschlossen, und zwar umgehend und nicht nur wegen Corona.

Die Exportorientierung
Dass Länder des Nordens Bauern in den Ländern des globalen Südens dazu zwingen, ihre eigene Nahrungsmittelversorgung zugunsten des Luxuskonsums in Europa und Nordamerika zurückzustellen, kennen wir seit der Kolonialzeit. Damals ging es um Gewürze, Baumwolle, Seide, Kaffee, Tee, Zucker, Tabak.
Der Unterschied zu heute ist, dass die Spezialisierung eines Landes auf die Produktion ganz bestimmter Nahrungsmittel heute auch Grundnahrungsmittel betrifft (etwa Soja, Weizen, Reis) und mit einer gigantischen Konzentration von Ackerböden und Weiden in den Händen weniger Konzerne einhergeht, die den Kleinbauern eine Subsistenzwirtschaft unmöglich macht.
Jedes Schuldenabkommen mit Ländern des globalen Südens, jedes Freihandelsabkommen mit ihnen enthält als erste Forderung die nach dem Umbau der heimischen Wirtschaft zugunsten der Exportorientierung. Vor allem bei den Freihandelsabkommen geht es immer darum, dass europäischen und amerikanische Konzerne Zugriff auf Märkte und Ackerflächen im Süden bekommen.
Exportorientierung der Landwirtschaft bedeutet im Kern nichts anderes, als dass die Länder des globalen Nordens Agrarflächen aus anderen Regionen der Welt für ihren Bedarf und auf Kosten der einheimischen Bevölkerung nutzen oder sogar besetzen – Agrarexperten sprechen von Flächenimport.
Weltweit machen Agrar- und Nahrungsmittelexporte rund 8 Prozent aller exportierten Güter aus, in Deutschland geht ein Drittel der landwirtschaftlichen Produktion in den Export. Deutschland ist der drittgrößte Agrarimporteur wie auch -exporteur der Welt, hinter den USA und China (Gesamtwert 2015: 1,2 Billionen Euro). Seit der Liberalisierung der Märkte und der Gründung der Welthandelsorganisation WTO in den 90er Jahren sind die jährlichen Agrarimporte aus sog. Entwicklungsländern nach Deutschland um das Dreifache gestiegen, die deutschen Ausfuhren um fast das Fünffache.
Die EU braucht inzwischen mehr als 30 Millionen Hektar Land außerhalb der EU – ein Sechstel ihrer eigenen Ackerfläche –, um die industrialisierte Fleischproduktion in ihren Agrarfabriken am Laufen zu halten. Schweine werden gefüttert, Menschen müssen hungern.
Sollen wir also zurück zur reinen Selbstversorgung? Guter Ackerboden und verfügbare Feldfrüchte sind auf der Welt geografisch ungleich verteilt – damit auch die Nährstoffe, die diese enthalten. Bis zu einem gewissen Grad ist es sinnvoll und geboten, dass etwa vitaminreiche Früchte gegen Getreide getauscht werden, das in der jeweils anderen Weltgegend nicht gedeiht. Es kann dabei aber immer nur um Nahrungsergänzung gehen.
Deutschland ist in der Lage, seinen Nahrungsmittelbedarf zu über 90 Prozent aus eigenen Mitteln zu decken. Es würde uns nichts fehlen, wenn wir dahin zurückkehrten, und es könnten wieder viel mehr Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt werden.

Landraub und Vertreibung
Hunger ist ein Phänomen der Landbevölkerung, über 70 Prozent der Hungernden lebt auf dem Land. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Lage der Kleinbauern dramatisch verschlechtert. Vor allem in Afrika sind sie nicht in der Lage, auch nur ein bescheidenes Mehrprodukt zu erzielen, das sie wenigstens zeitweilig vor Missernten schützen könnte.
Durch die von der WTO erzwungene Marktöffnung für die Dumpingprodukte aus dem Norden wurden mehrere hundert Millionen Kleinbauern aus den Ländern des globalen Südens von ihrem Land vertrieben, weil es an ausländische Regierungen, Finanzakteure, Konzerne und Privatpersonen verkauft oder verpachtet wurde. FIAN beziffert die Fläche, die auf diese Weise seit 2007 veräußert wurde, auf bis zu 220 Millionen Hektar Land, mehr als die EU an Ackerland insgesamt zur Verfügung hat (180 Mio. Hektar). Davon liegen zwei Drittel im Afrika südlich der Sahara.
Die größten Landkäufe fanden vornehmlich dort statt, wo die staatlichen Strukturen schwach entwickelt sind, dort ist auch der Anteil an hungernder und unterernährter Bevölkerung am höchsten: Demokratische Republik Kongo, Sudan, Mosambik, Äthiopien, Sierra Leone.
FIAN gibt ein Beispiel aus Uganda: Dort wurden im August 2001 die BewohnerInnen von vier Dörfern im Bezirk Mubende durch die ugandische Armee vertrieben, nachdem die ugandische Investitionsbehörde das Land an die Firma Kaweri Coffee Plantation Ltd. für den Aufbau der ersten Kaffeeplantage im Land verpachtet hatte. Kaweri ist eine 100prozentige Tochter der Hamburger Gruppe Neumann Kaffee. Die 4000 Vertriebenen verloren ihren gesamten Besitz, einige starben an den Folgen der Vertreibung.
Der Palmölkonzern Feronia-PHC, ein Tochterunternehmen des gleichnamigen kanadischen Konzerns, will von der Demokratischen Republik Kongo 100000 Hektar Land für eine Palmölplantage pachten. Dazu legt er die Zustimmung von Gemeindevertretern aus der betroffenen Region Lokutu vor. Nach Informationen von FIAN und Urgewald wurden die Gemeindevertreter zu ihrer Zustimmung aber gedrängt. Feronia wird u.a. von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft finanziert.
Landraub wird angetrieben von der weltweit steigenden Nachfrage nach Futtermitteln, nachwachsenden Energieträgern, fossilen und mineralischen Rohstoffen, nach Wasser sowie nach Genussmitteln (Kaffee, Tee, Tabak), die alle wahlweise auch Spekulationsobjekt sein können. Auch Pensionsfonds, in die etwa betriebliche Rentenkassen einzahlen, investieren in Ackerland. Dem Anbau von Nahrungsmitteln dienen nur 10 Prozent des angekauften Landes. In Europa finden die größten Landkäufe in Rumänien und in der Ukraine statt, auch in Ostdeutschland gingen nach der Wende große Ländereien in den Besitz etwa von Supermarktketten über.
Landraub ist eine neue Form des Kolonialismus, vorangetrieben von Konzerninteressen. Wo es früher hieß: Junkerland in Bauernhand, müsste es heute heißen: Konzernland in Bauernhand.
Die Zahlen der FAO, wonach der Ackerboden, wenn er vernünftig genutzt würde, ausreichte, 12–14 Millionen Menschen zu ernähren, wären für sich genommen gar nicht unrealistisch. Nimmt man hinzu, dass ein Drittel der Nahrungsmittel heute weggeworfen wird, ist mehr als klar: Wenn der Boden für die Welternährung knapp wird, dann liegt das heute (noch!) nicht in erster Linie daran, dass er physisch nicht ausreichen würde, sondern an der ungleichen Verteilung des Zugangs zum Boden – an der Bodenkonzentration in der Hand einiger privater Grundherren, der Spekulation mit Grund und Boden und am Flächenimport aus den Ländern des Südens in die des Nordens.
Das ist ein Verbrechen gegen die Menschheit, das bisher von niemandem geahndet wird.

Wir haben noch 60 Ernten…
«…wenn der Ackerboden vernünftig genutzt würde». Die FAO macht diesen Vorbehalt, aber sie verzichtet darauf, die dramatischen Konsequenzen seiner «unvernünftigen» Nutzung aufzuzeigen. Denn der Ackerboden wird nicht nur deshalb nicht vernünftig genutzt, weil nicht einmal die Hälfte davon dem Anbau von Nahrungsmitteln für den Menschen dient (nur 46 Prozent). Selbst dieser Teil wird durch den industriellen Landbau zerstört.
In den vergangenen 50 Jahren hat sich in Europa die landwirtschaftliche Produktion durch den Einsatz moderner Techniken fast verdreifacht, während die landwirtschaftlich genutzte Fläche nur um 12 Prozent gestiegen ist. Die Agrar- und Chemiekonzerne feiern diesen «Produktivitätsfortschritt» als Beweis für den Triumph und die Unverzichtbarkeit des industriellen Landbaus.
Die Kehrseite davon ist jedoch, dass ein Drittel der Ackerböden auf der Welt nach Aussagen der FAO heute als degradiert gelten muss. Je nach Bodenbeschaffenheit verläuft die Degradation mehr oder weniger schnell: Moorböden verfallen schneller als Mineralböden. Seit 1945 summiert sich die von Bodendegradation betroffene Fläche auf weltweit mehr als 1,2 Milliarden Hektar – das entspricht der gemeinsamen Landfläche von China und Indien.
In Deutschland sind laut Bundesumweltamt 14 Prozent aller Ackerböden stark bis sehr stark durch Erosion gefährdet, 36 Prozent aller Böden sind mittel bis gering gefährdet. «In jeder Minute verlieren wir 30 Fußballfelder Boden, hauptsächlich durch intensive Landwirtschaft», sagt Volkert Engelsman, ein Aktivist der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen.
84 Prozent der Bodenerosion werden durch Wind und Wasser, hauptsächlich durch Wasser, verursacht. Dass sie so leichtes Spiel haben, hängt mit dem industrialisierten Landbau zusammen. In tropischen Gebieten, in denen der Boden nur von einer sehr dünnen Humusschicht bedeckt ist, ist vor allem die Entwaldung zur (kurzfristigen) Gewinnung von Ackerland dafür verantwortlich – meist für Monokulturen wie Palmöl- oder Sojaplantagen. In Europa und Nordamerika ist es die Überdüngung und Verdichtung der Böden. Der hohe Einsatz von Mineraldünger und Stickstoff bei gleichzeitig zu geringem Kohlenstoffinput führt dazu, dass der Boden «verhungert». Monokulturen und intensive Bewässerung, enge Fruchtfolgen und geringer Zwischenfruchtanbau bewirken seine Verdichtung, der Humusgehalt der Böden nimmt immer mehr ab, schwere Landmaschinen tun ihr übriges.
Der Humus, das ist die organische Substanz der Böden. Hier tummeln sich die Organismen, die für die Auflockerung des Bodens sorgen, also dafür, dass er Luft und Wasser – und damit Nährstoffe – gut speichern kann. Ein gut durchlüfteter Boden ist auch ein guter Kohlenstoffspeicher. Durch die Verdichtung des Bodens sinkt die Zahl und Vielfalt der darin lebenden Organismen, der Boden verliert seine Speicherkraft und es muss immer mehr Dünger aufgebracht werden, um denselben Ertrag zu erzielen – ein Teufelskreis.
Dieser Prozess ist auch mit dafür verantwortlich, dass in den letzten 27 Jahren die Zahl der Insekten in Deutschland um 76 Prozent abgenommen hat – ein «Insectageddon».
Der steigende Output verdeckt die Tatsache, dass die Erträge pro Hektar kontinuierlich sinken (siehe Grafik). Während die Arbeitsproduktivität auf dem Land durch den Einsatz von Maschinen, Düngemitteln und Pestiziden so stark zugenommen hat, dass in Deutschland nur noch 1,7 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben, nimmt die Bodenproduktivität stetig ab. Eine Bodenschutzrichtlinie der EU wurde bislang u.a. von Deutschland verhindert, ihr stehen die Interessen der Agrarlobby entgegen.

Das Ende im Blick
Es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese Böden unwiederbringlich verloren sind. Es braucht 1000 Jahre, um 3 Zentimeter Humus aufzubauen, sie zu zerstören, dazu reichen wenige Jahrzehnte. Wir wissen aus der Geschichte, dass frühere Hochkulturen durch systematische Abholzung die einst bewaldete Sahara und den Fruchtbaren Halbmond in Wüsten verwandelt haben. Wir sind dabei, es ihnen nachzutun – nicht nur durch Abholzung von Primärwald wie den Regenwäldern, die wichtige Kohlenstoffspeicher sind, sondern auch durch die Art, wie wir Ackerbau betreiben.
George Monbiot, Kolumnist der britischen Tageszeitung The Guardian, hält den Verlust an Ackerboden unmittelbar sogar für eine größere Bedrohung der Menschheit als den Klimawandel, wobei beides natürlich zusammenhängt. Die globale Erwärmung der Erde könnte dazu führen, dass Getreidesorten wie Reis und Mais, Grundnahrungsmittel in großen Teilen der Welt, nicht mehr befruchtet werden, weil deren Bestäubungsprozess nur des nachts und unterhalb einer gewissen Temperatur abläuft. Er hält den Begriff «Klimawandel» für ein Verharmlosung, was uns blüht ist, dass Klima und Böden kollabieren.
Eine Studie der Universität Sheffield kam im Jahr 2014 zum Ergebnis: «Wir haben noch 60 Ernten.» Wenn wir so weitermachen, verhungern wir noch innerhalb dieses Jahrhunderts. Die Studie wurde damals von der FAO aufgegriffen. Dagegen erhob sich ein Proteststurm, die Studie habe nur den innerstädtischen Boden mit dem Ackerland rund um die Stadt verglichen und keine Vorhersage über die Zahl der noch verbleibenden Ernten gemacht. Unbestritten ist jedoch, dass 17 Prozent des Ackerbodens in Großbritannien bereits erodieren, 40 Prozent von Erosion bedroht und 40 Prozent anfällig für Verdichtung sind.
Es wird unmöglich sein, eine Vorhersage darüber zu machen, wann wir (weltweit) mit der Landwirtschaft am Ende sind. Dass wir auf deren Ende zugehen, scheint jedoch im Lichte dessen, was wir über die Veränderungen an Klima und Boden wissen, auf der Hand zu liegen. Insofern ist die Rede «Wir haben noch 60 Ernten» nützlich, denn sie führt uns die Dramatik der Lage vor Augen. Der Weckruf hat das Gros der Menschheit ja noch gar nicht erreicht.
Die FAO aber hat die Aussage wieder fallenlassen und warnt in ihrem neuen Weltagrarbericht nur noch indirekt vor den Gefahren des industriellen Landbaus und der Vernichtung der Kleinbauern. Das ist unangemessen, kein Wunder, dass ihr Bericht in der öffentlichen Aufmerksamkeit untergeht.

Print Friendly, PDF & Email
Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.