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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2020

«Wir haben Leute zusammengebracht, die sonst nie gemeinsam auf der Straße stehen würden»
Gespräch mit Philipp Dehne

Nach den Sommerferien sollen elf Millionen SchülerInnen in Deutschland weitgehend wieder im Regelbetrieb unterrichtet werden.

Die Einhaltung von Abstandsregeln ist kaum machbar. Eine Maskenpflicht im Unterricht ist heftig umstritten. Die Schulträger müssten ein umfangreiches Investitionsprogramm auflegen, um Schulen unter Pandemiebedingungen sicher betreiben zu können. Dazu gehört eine hochwertige Reinigung. Doch gerade an der Sauberkeit der Schulen wird seit Jahrzehnten gespart. Meist wurde die Schulreinigung an Privatfirmen vergeben.
Im Frühjahr 2020 haben nun sechs von zwölf Berliner Bezirken beschlossen, die Schulreinigung wieder in öffentliches Eigentum zu überführen. Dies ist ein großer Erfolg, der von einer bildungspolitischen Bürgerinitiative im Bezirk Neukölln angestoßen wurde. Christoph Wälz sprach mit PHILIPP DEHNE, einem Mitbegründer von «Schule in Not». Er ist Lehrer, arbeitet zur Zeit jedoch als gewerkschaftlicher Organizer und ist aktiv im Neuköllner Bezirksverband der LINKEN.

Philipp, wie kam es dazu, dass ihr eine Bürgerinitiative gegründet habt, die sich mit dem Thema Schulreinigung beschäftigt?

Wir waren mehrere Leute, die zusammengekommen sind, um im Bildungsbereich grundlegend etwas zu verändern. Das waren Lehrkräfte, Eltern, ErzieherInnen aus Grundschulhorten, BürgerInnen und Leute, die in der Neuköllner Kommunalpolitik aktiv sind. Die Idee war, sich sowohl für bessere Lern- als auch Arbeitsbedingungen an Schulen einzusetzen. Daran haben sehr verschiedene Gruppe ein Interesse. Wenn es um die Sauberkeit geht, dann sind SchülerInnen, Reinigungskräfte, Hausmeister, aber auch ErgotherapeutInnen betroffen. Wir wollten diese verschiedenen Berufs- und Statusgruppen zusammenbringen.
Bei uns in Neukölln wurde Schulreinigung ein Riesenthema, weil es in den Sommerferien 2018 überhaupt keine Grundreinigung gegeben hatte. Die KollegInnen der knapp 60 Neuköllner Schulen kamen nach den Ferien in dreckige Schulen und haben teilweise selbst die Böden und Tische gewischt. Wir haben Anfang 2019 das Thema auch deshalb aufgegriffen, weil es für uns als eine kleine Gruppe strategisch Sinn machte. Reinigung ist ein begrenztes Thema, das eine Initiative bearbeiten und auch gewinnen kann. Dabei wollten wir Strukturen aufbauen, um in einem nächsten Schritt auch größere Themen anzugehen.

Welche Bedingungen herrschen in der Berliner Schulreinigung?

Wir sind in die Schulen gegangen und haben mit den Leuten gesprochen. Reinigungskräfte haben uns erzählt, dass sie unbezahlte Überstunden machen, weil sie nicht genügend Zeit für ihre Aufgaben bekommen. Teilweise haben sie nur schlechte Reinigungsmittel. Manche von ihnen haben uns geschildert, dass ihre Arbeitgeber sie nötigen, auch krank zur Arbeit zu kommen. Sekretärinnen sagen uns, dass sie ihren Müll inzwischen selber runtertragen. Saugen müssen sie ihren Arbeitsplatz sowieso schon selbst. Hausmeister erzählen uns, dass sie manchmal gar nicht wissen, welche Reinigungskräfte eigentlich gerade im Gebäude arbeiten, weil die Privatfirmen eine so hohe Fluktuation haben. Eltern berichten, dass sich Grundschulkinder verkneifen, auf die schmutzige Schultoilette zu gehen. Sie nehmen deshalb den ganzen Tag keine Flüssigkeit zu sich – mit negativen Auswirkungen auf ihre Konzentration und Gesundheit.
Es kommt immer wieder vor, dass Eltern und Lehrkräfte selbst Räume reinigen. Bei mir persönlich war es vor ein paar Jahren so, dass ich nach den Sommerferien die Wahl hatte, ob ich meine neue 7.Klasse in einem verdreckten Raum empfange oder ob ich mir beim Penny um die Ecke schnell was zu putzen hole und den Raum drei Stunden lang wische. Klar, was ich gemacht habe. Mir geht es nicht ums Reinigen, das mache ich ja zuhause auch, aber es ist nicht meine Aufgabe zu putzen.

Welche Forderungen habt ihr aufgestellt?

Früher wurde Schulreinigung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge verstanden. Die Reinigungskräfte waren beim Bezirk angestellt, so wie heute immer noch die Hausmeister. Ältere Lehrkräfte kennen das noch: Die Reinigungskräfte haben sich mit der Schule identifiziert und gehörten zur Schulgemeinschaft. Damals wurde sauberer gereinigt. Dann wurde Reinigung unter dem Privatisierungs- und Verbilligungsdruck an private Unternehmen ausgelagert.
Wir fordern, dass der Bezirk diese staatliche Aufgabe wieder rekommunalisieren muss. Die Reinigungskräfte müssen ausreichend Zeit für ihre Arbeit bekommen und gute, sicher Arbeitsbedingungen haben. Und es muss eine zusätzliche Reinigung tagsüber, während der Unterrichtszeit, geben.

Wie konntet ihr die Forderungen durchsetzen?

In Neukölln haben wir ein Bürgerbegehren gestartet, das erste in der Geschichte des Bezirks. Wir mussten 7000 Unterschriften sammeln, damit unser Anliegen von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) behandelt wird. Wir haben systematisch ein Netzwerk an den Schulen aufgebaut, auch mit Organizing-Methoden wie einem Mapping des Bezirks und 1:1-Gesprächen.
Wir haben die Betroffenen einbezogen. An einzelnen Schulen wurden 300 bis 400 Unterschriften gesammelt. Bei Kundgebungen vor dem Rathaus haben wir Menschen zusammengebracht, die sonst kaum gemeinsam auf der Straße stehen würden. Aktive aus den Schulen waren bei Gesprächen mit LokalpolitikerInnen dabei und haben geschildert, wie es vor Ort tatsächlich aussieht.
Inhaltlich haben wir immer gesagt, dass es uns um saubere Schulen geht, weil wir gute Lern- und Arbeitsbedingungen haben wollen. Außerdem haben wir betont, dass die Probleme bei der Schulreinigung eine gemeinsame, strukturelle Ursache haben. Gerade Schulleitungen haben sonst Sorge, dass sie als «dreckigste Schule Neuköllns» an den Pranger gestellt werden. Aber wenn 50 von 60 Schulen das gleiche Problem haben, dann muss politisch etwas verändert werden.
Mit knapp 12.000 Unterschriften haben wir das Ziel schließlich klar erreicht. Unsere Forderungen wurden von der BVV einstimmig angenommen. Als Sofortmaßnahme wurden im jetzigen Haushalt für zwei Jahre 16 Millionen Euro zusätzlich für Schulreinigung bereitgestellt. Durch diesen Erfolg haben wir Menschen wieder Hoffnung gegeben. Am Anfang war uns oft gesagt worden, dass das doch sowieso nichts wird. Jetzt können wir sagen, dass wir sehr wohl Verbesserungen erkämpfen können.

Wie kam es zur Ausweitung der Kampagne auf andere Bezirke?

Durch unsere Aktionen in Neukölln sind Eltern, Lehrkräfte und andere BürgerInnen in acht weiteren Bezirken auf uns aufmerksam geworden. Wir haben sie unterstützt, eigene bezirkliche Gruppen von „Schule in Not“ aufzubauen, die dort Unterschriftensammlungen starten. Berlinweit haben mittlerweile 26.000 Bürger*innen unterschrieben. Dadurch ist das Thema auch auf der Landesebene angekommen. Der Senat hat einen Runden Tisch Schulreinigung einberufen. Reinigung wird 2021 ein Wahlkampfthema werden. Und bereits im jetzigen Haushalt für 2020/21 wurden – auch aufgrund unseres Drucks – 16 Millionen Euro zusätzlich für Schulreinigung bereitgestellt.
Wir haben zudem ein Bündnis mit den Gewerkschaften geschlossen. Von dem Thema sind Menschen betroffen, die in unterschiedlichen Gewerkschaften organisiert sind: Reinigungskräfte in der IG BAU, PädagogInnen in der GEW, Schulsekretärinnen und Hausmeister in Ver.di. Diese drei Gewerkschaften und der DGB unterstützen unsere Kampagne und nutzen dabei ihren politischen Einfluss auf Bezirksverordnete.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Reinigung systemrelevant ist. War diese Erfahrung eine Voraussetzung für den Durchbruch eurer Kampagne?

Das glaube ich nicht. Die ersten Erfolge gab es bereits vor Corona. Wir haben die weitere Unterschriftensammlung im März vorerst gestoppt. Die ersten Beschlüsse zur Rekommunalisierung in Charlottenburg-Wilmersdorf wurden bereits vor den Corona-Maßnahmen gefällt.
Allerdings hat Corona ein paar Entwicklungen noch mal beschleunigt. Jetzt wird die Bedeutung von Hygiene noch viel mehr Menschen bewusst. Unsere Kampagne hat dazu beigetragen, Reinigung als eine oft unsichtbare Arbeit, wie auch die Menschen dahinter wieder sichtbarer zu machen. Mit der Pandemie gab es neue Hygienevorgaben. Es sollte eine zusätzliche Reinigung am Tag geben, zum Beispiel um Tische, Türklinken und Handläufe zu wischen. In Neukölln wurde diese zusätzliche Reinigung schnell realisiert, allerdings nur, an ca. der Hälfte der Schulen. Das hat nur geklappt, weil wir bereits zuvor die 16 Millionen Euro erkämpft hatten.

Welche Rolle spielt DIE LINKE als Berliner Regierungspartei?

Wir als Initiative arbeiten parteiunabhängig und haben Gespräche mit verschiedenen Parteien geführt. Die Gespräche mit der LINKEN liefen auf allen Ebenen sehr gut, aber in mehreren Bezirken auch mit den Grünen und der SPD. Auf Bezirksebene hat in zwei Fällen sogar die FDP für die Rekommunalisierung gestimmt. Wir haben bisher allerdings nur politische Willensbekundungen. Jetzt, wo wir in 6 von 12 Berliner Bezirken politische Beschlüsse zur Rekommunalisierung der Schulreinigung haben, geht es nun um die Umsetzung. Und da erhoffen wir uns natürlich schon Unterstützung durch die rot-rot-grüne Landesregierung.

Finanzsenator Kollatz (SPD) hat im Mai davon gesprochen, dass es wegen der massiven Einbrüche bei den Steuereinnahmen seit März nun auch Einschnitte bei den Bezirken geben müsse. Stellt das die Umsetzung der Rekommunalisierung in Frage?

Die Berliner Bezirke wurden bereits in den 2000er Jahren kaputt gespart. Weiter zu sparen ist dort schlicht nicht möglich. Außerdem wurde der Vorstoß von Kollatz bereits von der Koalition zurückgewiesen. Die Corona-Pandemie hat nochmal gezeigt, wie wichtig ein funktionierender öffentlicher Dienst ist. Krankenhäuser, Schulen, aber auch viele Ämter in den Berliner Bezirken bräuchten viel mehr qualifiziertes Personal. Statt neuer Sparpolitik und Austerität muss stark in die öffentliche Daseinsvorsorge und damit in die gesamtgesellschaftliche Zukunft investiert werden.
Die zentrale Frage ist doch, was uns gute Bildung und gute Arbeitsbedingungen wert sind? Dabei ist auf allen politischen Ebenen Konsens, dass es mehr Geld für die Schulreinigung braucht. Was die Rekommunalisierung kosten würde, weiß momentan noch niemand. Es gibt im jetzigen System schließlich viele versteckte Kosten. Reinigungskräfte arbeiten oft als Aufstocker, bekommen also auch Sozialleistungen. Schlechte Reinigung führt dazu, dass das zu reinigende Material viel schneller abgenutzt wird und erneuert werden muss. Wenn man alle Kosten mit einrechnet, dann wäre die Rekommunalisierung gar nicht so viel teurer.

Spielt das Thema auch eine Rolle in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes?

Es gibt einige Kommunen wie Bochum, Bremen, Freiburg oder Düsseldorf, in denen Reinigungskräfte an Schulen im öffentlichen Dienst arbeiten. Auch dort wird für gute Arbeitsbedingungen gekämpft. Der öffentliche Dienst ist ganz zentral für unsere Gesellschaft, nicht nur in Krisenzeiten. Dafür haben die KollegInnen mehr als nur Applaus verdient.

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