Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2020

Mit Exportrichtlinien kommt man dem Konzern nicht bei
Gespräch mit Daniel

Kassel ist nicht nur documenta-Stadt, sondern auch eine Rüstungshochburg. Hier produzieren insgesamt sieben Unternehmen für das Militär. Unter ihnen ist auch die Firma Rheinmetall, die hier in einem großen Werk Panzerfahrzeuge baut.

Damit wollte sich das Bündnis «Rheinmetall entwaffnen» nicht abfinden und hatte für das letzte Augustwochenende eine Blockade angekündigt. Darüber sprach Simon vom Freien Radio Kassel Zwischen*funken mit Daniel vom Bündnis «Rheinmetall entwaffnen».

Daniel, euer Bündnis «Rheinmetall entwaffnen» hat vor kurzem eine zentrale Blockadeaktion gegen die Kriegsindustrie angekündigt und zwar für den 28.August in Kassel. Was plant ihr für diesen Tag?

Ende August planen wir eine massenhafte ungehorsame Aktion und wir hoffen auf eine große Beteiligung mehrerer hundert oder sogar tausend AktivistInnen. Vor verschiedenen Werkstoren wollen wir eine große Blockadeaktion machen, die wir so lange wie möglich aufrechterhalten wollen, um den Schichtwechsel zu stören, An- und Ablieferungen zu unterbinden und damit ein stückweit die Rüstungsproduktion zu unterbrechen oder einzuschränken.

Das ist nicht eure erste Blockadeaktion, ihr habt das in den letzten Jahren öfters gemacht, meistens in Unterlüß, einer kleinen Gemeinde zwischen Hannover und Hamburg. Rheinmetall hat über Deutschland verteilt ja mehrere Standorte. Warum habt ihr euch jetzt für Kassel entschieden?

Wir hatten im letzten und vorletzten Jahr in Unterlüß – das ist nahe Celle in Niedersachsen – Camps veranstaltet. Von diesen Camp aus haben wir verschiedene Aktionen gemacht. Das Camp war eine wertvolle Erfahrung, weil wir da auch immer viel Platz und Zeit hatten, um Diskussionen über grundlegende Themen zu führen, die sonst im Alltag oder auf Bündnistreffen nicht geführt werden. In Unterlüß haben wir auch eine Blockadeaktion gemacht.
Diesmal haben wir uns für Kassel entschieden. Die Idee ist nicht vom Himmel gefallen, Kassel hat als Rüstungshotspot der BRD immer eine Rolle gespielt. Ein Grund waren auch die vielen Covid-bedingten Unsicherheiten in Hinblick auf die Camp-Logistik. Wir haben also eine Campabsage, aber keine Kampfabsage gemacht. Und wir wollten trotzdem große Aktionen machen. Deshalb rückte wieder Kassel in den Vordergrund, wo es schon in den letzten Jahren Blockaden gegeben hat. Eine Tradition, die wir fortsetzen wollen.

Kannst du was über euer Bündnis «Rheinmetall entwaffnen» sagen? Beim Durchsehen eures Programms vom letztjährigen Camp in Unterlüß fand ich interessant, dass es da einen Workshop zu Militär und Männlichkeit gab und Selbstverteidigungskurse für Frauen, Lesben, Trans- und Interpersonen und Diskussionen darüber, was man gegen rechte Gedanken innerhalb der Friedensbewegung tun kann. Warum waren euch diese Themen als Teil der Aktion wichtig?

«Rheinmetall entwaffnen» ist ein sehr offenes bundesweites Bündnis. Und auch sehr divers. Darin sind viele unterschiedliche Leute vertreten: von gewerkschaftsnahen Gruppen bis hin zur Kurdistan-Solidarität gibt es eine große Brandbreite an Unterschiedlichkeit und Diversität.
Dem Bündnis ist es ein Anliegen, an einem Ort wie das Camp vielfältig zu diskutieren, wie alles ganz anders sein könnte und wie man da hinkommt. Es geht nicht nur darum, Kampagnenstrategie zu machen, obwohl das auch wichtig ist, die kleinen Schritte zu überlegen, die uns voranbringen Darüber hinaus spielt aber auch die große Utopie eine Rolle.
Das Bedürfnis, darüber ausgiebig zu reden, ist dem Bündnis sehr wichtig – deswegen gab es diese Bandbreite an Workshops und Seminaren auf dem Camp. Es ist ein wenig schade dass wir das dieses Jahr nicht zusammen machen können, aber wir planen nach Kassel einen großen Kongress. Ob er online oder offline stattfindet, wissen wir noch nicht, wir brauchen aber diese Verständigung über das Grundsätzliche.

Unterlüß ist ja eine recht beschauliche Gemeinde in der Lüneburger Heide mit etwa 3500 EinwohnerInnen. Wie kam euer Protest denn dort an? Werdet ihr als UnruhestifterInnen gesehen, die einmal im Jahr von außerhalb einfallen, oder habt ihr die Bevölkerung auf eurer Seite?

Mein Eindruck war nicht, dass die Bevölkerung auf unserer Seite steht. Obwohl es Leute gab, die im Camp vorbeigekommen sind, mit denen wir geredet haben, ist das nicht zu einem Widerstandsnest geworden. Die Region ist strukturschwach, es gibt wenig Arbeitsplätze, wenig Infrastruktur und bei Rheinmetall in Unterlüß arbeiten, glaube ich, etwa 1800 Leute. Die kommen nicht alle aus dem Dorf, aber natürlich arbeiten viele Leute aus dem Dorf dort. Dass das bei denen nicht so gut ankommt, ist verständlich. Wir versuchen, unsere Aktion und auch den Dialog mit den Leuten so zu gestalten, dass klar ist, es richtet sich nicht gegen die Beschäftigten, sondern gegen die Rüstungsindustrie als solches. Das ist eine Gratwanderung, die Leute arbeiten für diese Industrie, die es gibt, weil diese Güter nachgefragt werden. Deswegen gehört das alles zusammen, aber wir gewinnen ja nichts, wenn wir die ArbeiterInnen gegen uns aufhetzen, wir müssen mit denen reden können über Möglichkeiten, was man stattdessen produzieren könnte und was eigentlich die Bedürfnisse der Beschäftigten sind – arbeiten sie gerne dort oder arbeiten sie nur dort, weil sie nichts anderes finden? Das sind wichtige Fragen.

In Kassel arbeiten etwa tausend Menschen für Rheinmetall, wenn man deren Familien dazuzählt, vervielfacht sich die Zahl derer, die vom Panzerbau abhängig sind. Könnt das verstehen, wenn ArbeiterInnen von euren Forderungen wenig begeistert sind, und habt ihr Ideen, wie ihr mit ihnen ins Gespräch kommen könnt? Ist das in der Vergangenheit schon passiert?

Ich persönlich habe dafür Verständnis, wenn die das nicht gut finden, dass wir blockieren und den Schichtwechsel unterbinden. Aber ich meine, wir wollen ja jetzt nicht den Preis für die Charmeoffensive bei den ArbeiterInnen gewinnen, sondern wir wollen auf einen realen Konflikt und auf eine Riesenschweinerei aufmerksam machen. Und wenn es da zu Konflikten kommt, dann ist das erstmal gut und nicht schlecht.
Der Kontakt ist nicht so einfach, ich glaube nicht, dass wir bisher auf offizieller Ebene Kontakt mit der Arbeiterschaft hatten. Die sind natürlich total reserviert, verstehen das nicht so richtig oder beziehen das auch stark auf sich selber als Person. Wir würden gerne mit ihnen darüber sprechen, welche Möglichkeiten sie in bezug auf Rüstungskonversion sehen, also der Umstieg auf die Produktion ziviler Güter. Wir würden gerne hören, was sie darüber denken. Vielleicht ergibt sich das ja in naher Zukunft.

Das ist die Seite der Belegschaft. Gab es denn auch offizielle Reaktionen der Unternehmensleitung auf eure Proteste?

Ja, in den sozialen Medien gab es zwei oder dreimal Reaktionen. Wir haben im Mai einen Aktionstag gemacht, der hieß «healthcare not warfare», Gesundheitsversorgung statt Kriegführung, und haben da an verschiedenen Standorten, am Hauptsitz in Düsseldorf, aber auch vor dem Privathaus des Vorstandsvorsitzenden Papperger demonstriert. Darauf hat der Konzern über Social media reagiert und gesagt, die werden aufgehetzt.
Das war eine Umarmungsstrategie, denn sie betonten, dass sie Atemschutzmasken aus China eingeflogen und sich somit an der healthcare beteiligt haben. Und sie haben darauf reagiert, dass ein Mitangeklagter im Lübke-Prozess bei Rheinmetall Kassel gearbeitet hat. Dazu hieß es, er habe keinen Zugang zu Munition oder sowas gehabt. Ein bisschen reagieren sie, das haben sie vorher nicht gemacht, das ist aus unserer Sicht ein gutes Zeichen, dass sie meinen, Stellung nehmen zu müssen.

Zurück nach Kassel. Da gab es in den letzten drei Jahren immer wieder Blockadeaktionen vor den Panzerfabriken. Das lief unter dem Motto «Krieg beginnt hier» und «block war». Ihr wollt an diese Traditionslinie anknüpfen. Wie soll das funktionieren? Wollt ihr das gemeinsam mit der Kasseler Zivilgesellschaft organisieren – jetzt im August?

Wir wissen, dass es diese Blockaden gab, viele von uns waren auch mit dabei. Jetzt versuchen wir so etwas wie die nächste Stufe zu nehmen – öffentlich angekündigt, größer, mit mehreren hundert Aktivisten, und natürlich laden wir alle ein sich anzuschließen. Vorher gibt es noch Veranstaltungen, die sagen, wann, wie, wo genau alles stattfinden wird.

Blicken wir auf die politischen Hintergründe. Letztes Jahr hat die Bundesregierung die Richtlinien für Rüstungsexporte verschärft und im März dieses Jahres hat sie den Stop der Rüstungsexporte an Saudi-Arabien bis Ende des Jahres verlängert. Ist da nicht schon einiges in Bewegung geraten, was ihr politisch begrüßt? Warum protestiert ihr weiter gegen Rüstungsexporte, und warum speziell gegen Rheinmetall?

Ja, die neuen Richtlinien der Bundesregierungen – ob die jetzt eine Verschärfung sind oder nicht, das ist eine interessante Frage, die müsste man mal länger diskutieren. Ich würde sagen, im Prinzip hast du recht, da ist ein bisschen etwas in Bewegung, auch der Exportstop wurde verlängert. Trotzdem ist es so, dass total viele Rüstungsgüter exportiert werden und dass fast 99 Prozent der Exportanträge bewilligt werden.
Es gibt eigentlich gar keine Kontrolle, auch der teilweise Genehmigungsstop gegenüber der Türkei funktioniert für Rheinmetall nicht. Denn Rheinmetall ist nicht nur ein deutscher, sondern ein international aufgestellter Konzern, d.h. sie liefern, falls nötig, aus anderen Niederlassungen.

Sie haben eine Zweigfirma auf Sardinien.

Sie haben eine Firma auf Sardinien und sie haben ein Joint Venture mit dem südafrikanischen Konzern Denel, das ist ein Staatskonzern in Südafrika. Dort produzieren sie Munition und liefern z.B. an die Türkei, wodurch sie deutsche Exportrichtlinien umgehen. So funktioniert das, und das ist das, was wir nicht akzeptieren können. Sie nutzen jede Möglichkeit, weiter Waffen und Munitionen in Krisen- und Konfliktherde zu liefern. Das wollen wir nicht hinnehmen.

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