Deutschlands sechstgrößter Wirtschaftszweig steht vor dem Kollaps
Gespräch mit Daniel Schulz, alias Der Schulz
Die aktuelle Situation bedroht die Veranstaltungswirtschaft. Clubs sterben aus, KünstlerInnen, VeranstaltungstechnikerInnen und VeranstalterInnen sind arbeitslos oder stehen vor der Insolvenz.
Dagegen hat sich das Bündnis AlarmstufeRot gebildet, ein Zusammenschluss der einflussreichsten Initiativen und Verbände der deutschen Veranstaltungswirtschaft, hinter dem rund 10000 Unternehmen mit 250000 Beschäftigten stehen. An dessen erster bundesweiter Protestaktion, der «Night of Light 2020», haben sich über 40000 Mitwirkende aus mehr als 8000 Unternehmen beteiligt.
Daniel Schulz, alias Der Schulz, ist Musiker und Sänger der Bands Unzucht und Der Schulz & Band, Komponist und Texter. Seit 20 Jahren ist er Profimusiker. Anfang des Jahres erreichte er mit dem aktuellen Unzucht-Album Jenseits der Welt Platz 9 der deutschen Albumcharts, betourt (normalerweise) ganz Europa und ist auf allen großen Festivals des Genres wie z.B. Wacken, Mera Luna, Wave Gotik Treffen zuhause.
Ravi T. Kühnel sprach mit Daniel Schulz über die Situation der Veranstaltungswirtschaft.
Wie ist aktuell die Situation in der Veranstaltungsbranche?
Katastrophal. Unsere Branche war als erstes vom Shutdown betroffen und wir werden am längsten und härtesten unter den Auswirkungen der Corona-Krise leiden.
Gleichzeitig greifen die Finanzhilfen in vielen Bereichen der Veranstaltungsbranche nicht. Zum Beispiel fallen die Hunderttausende von Soloselbständigen durchs Raster, sie haben meist keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil sich nur die wenigstens eine Arbeitslosenversicherung leisten können.
Darauf wird seit März in zahlreichen Petitionen und Gesprächen mit der Politik hingewiesen, aber es interessiert offensichtlich nicht, obwohl die Veranstaltungsbranche die sechstgrößte Branche des Landes ist und auch das sechsthöchste Steueraufkommen beiträgt.
Aber wir haben halt keine Lobby. Mag wohl auch daran liegen, dass wir keine Aufsichtsratsposten an Politiker zu vergeben haben.
Am 9.September fand in Berlin eine große Demo zu dem Thema statt, davor gab es weitere z.B. in Hannover, wie war die Stimmung, und glaubst du, ihr werdet wahrgenommen?
Nachdem die Landesdemos sehr schleppend verliefen – in Hannover z.B. waren wir wochenlang nur 200 Leutchen und ich einer der wenigen Künstler, die da waren –, hat Berlin mit seinen wohl um die 10000 Teilnehmenden wirklich Hoffnung gemacht, dass wir endlich wahrgenommen werden – unter den Beteiligten war auch Prominenz wie Die Ärzte und Herbert Grönemeyer, der in seiner Rede die Situation voll auf den Punkt brachte. Auch die Reaktionen auf Facebook hinterher, wo viele ihr Profilbild mit dem AlarmstufeRot-Rahmen versehen haben, macht Hoffnung.
Das übliche wohlklingende, aber unverbindliche Blabla der meisten Politiker zu dem Thema zeigt allerdings bislang sehr deutlich, dass sie uns nicht wirklich helfen wollen.
Was sind konkrete Forderungen der Bewegung?
Es geht um eine wirksame Finanzhilfe für die Clubs, Technikfirmen, Veranstalter und vor allem für die vielen Soloselbständigen, von denen viele seit März ohne jegliches Einkommen dastehen und entgegen den anfangs vollmundigen Versprechungen der Politik, unbürokratisch zu helfen, nun oftmals nicht mal Hartz IV gewährt bekommen.
So gehen momentan reihenweise Existenzen den Bach runter, obwohl Deutschland das Land mit den am besten qualifizierten Veranstaltungstechnikern weltweit ist. Die müssen jetzt teilweise bei der Kartoffelernte helfen, weil sie sonst kein Geld verdienen können.
Um die Corona-Schutzmaßnahmen wie Abstand, Hygiene und Masken, geht es dagegen überhaupt nicht. Die werden nicht in Frage gestellt, weil jeder, der mit Veranstaltungen zu tun hat begreift, dass sie nötig sind, um so schnell wie möglich durch die Krise zu kommen.
Über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und Lockerungen in den einzelnen Branchen muss allerdings dringend geredet werden. Während z.B. Millionen von Hobby-Fußballern inzwischen wieder im Spielbetrieb sind (ich bin einer davon), kann es nicht sein, dass unser Bereich, an dem Existenzen hängen, geopfert wird, weil hier so wenig Menschen zu Konzerten zugelassen sind, dass diese nicht rentabel durchzuführen sind. Wenn nun in der ersten und zweiten Fußballbundesliga für 20 Prozent der Stadionkapazitäten wieder Zuschauer zugelassen werden, muss das gleiche analog auch für die Musikbranche gelten. Alles andere wäre nicht zu rechtfertigen.
Warum denkst du, ist es wichtig die Bewegung zu unterstützen?
Stellt euch einfach mal die Zeit des Lockdowns, der hier ja sogar noch gemäßigt war im Gegensatz zu den meisten anderen betroffenen Ländern, ohne Musik, ohne Filme, Dokus usw. vor. Musik ist systemrelevant! Ohne sie wären die Menschen in dieser Situation durchgedreht.
Wenn man also nicht will, dass die kulturelle Vielfalt im Land der Dichter und Denker den Bach runter geht, dann sollte man sich solidarisch zeigen und mit uns auf die Straße gehen bzw. Petitionen unterschreiben, entsprechende Posts weiterteilen usw., denn das Club- und Firmensterben ist längst im Gang. Und ohne Clubs gibt es keine lebendige Subkultur, aus der ja nun mal alles entsteht.
Was meinst du, braucht die Branche und die Bewegung von der Gesellschaft, um ihre Ziele zu erreichen?
Ganz klar Unterstützung und Solidarität. Brian Molko von Placebo hat es aufgrund der ohnehin schwierigen Situation in unserer Branche schon vor Jahren auf den Punkt gebracht. Sinngemäß sagte er: «Wenn du eine Lieblingsband hast, sie aber nicht unterstützt, wird es sie morgen nicht mehr geben.» Das galt nie mehr als heute – und nun sogar für die komplette Branche.
Wie hoch schätzt du die Gefahr, dass die Corona-Pandemie die Veranstaltungsbranche und die Arbeit der Künstler nachhaltig verändern?
Als sehr hoch. Wenn keine Hilfe kommt, gehen die Kleinen, also die echte Szene, die Subkultur, als erstes drauf. Was bleibt sind die Großen, der sog. Mainstream und seine gleichgeschalteten Strukturen.
Denkst du, die Situation gibt eventuell auch die Möglichkeit, etwas Neues entstehen zu lassen?
Ja, aber meistens leider nichts Gutes. Ausnahmen bestätigen die Regel. Es wird einfach unfassbar viel kaputtgehen und verschwinden, wenn es so weitergeht.
Du bist Musiker und Künstler, wie beeinträchtigt dich die Situation?
Komplett und vollumfänglich. Wenn Bands wie wir nicht touren können, dann sind sie praktisch jeglicher Einnahmequellen beraubt, denn an den jährlich abnehmenden Plattenverkäufen verdienen nur noch die großen Bands, und die großen Radiosender spielen natürlich eine Band namens «Unzucht» auch nicht, weil sie befürchten, dass Großvater vor Schreck in den Haferbrei fällt. Also hat man auch keine Gema-Einnahmen, weil die sich bei uns ebenfalls zum Großteil aus den Konzerten zusammensetzen.
Ich konnte zum Glück auf Auftragskarikaturen umstellen und verdiene mein Geld nun damit bzw. mit den wenigen Der-Schulz-Konzerten, die ich kurzfristig in der zweiten Hälfte des Sommers spielen konnte. Aber damit ist es spätestens mit der Indoor-Saison wieder vorbei.
Davon ab ist keine Konzerte spielen zu können unerträglich für jeden Vollblutmusiker. Ein halbes Jahr ohne Konzerte zu spielen, das hatte ich das letzte Mal als Elfjähriger – das macht einen echt mürbe.
Was denkst du, müsste deiner Meinung nach getan werden, um Kunst und Kultur zu erhalten?
Vor allem müssen die Forderungen von Alarmstufe Rot sofort umgesetzt werden (siehe nebenstehend). Die Medien könnten auch helfen, indem sie zum einen mehr über die Problematik berichten und zum anderen mehr einheimische Bands spielen, die Musik für Film und Doku sollte auch national vergeben werden. Wir haben genug gute Musiker und Komponisten im Lande, da muss keine Mucke aus den USA beim GEZ-finanzierten Tatort laufen. Die Gema-Kohle sollte man hier im Lande lassen.
Dazu kann jeder Musikliebhaber seine Lieblingsbands natürlich unterstützen, indem er seine Tickets bei Tourverschiebungen nicht zurückgibt, sich mit Merchandise und Alben eindeckt oder auch nur regelmäßig die Seiten der Bands besucht, sie likt und abonniert, die wichtigen Posts weiterteilt und ihre Musik auf legalen Plattformen wie Spotify streamt, obwohl die Alben komplett im Plattenschrank stehen.
Das alles machen viele unserer treuen und rührigen Fans auch – und dafür sind wir unendlich dankbar.
Wieviel Raum gibt die aktuelle Situation KünstlerInnen um sich zu entfalten?
Man kann sich kreativ entfalten wie eh und je, was ich auch mache, man hat ohne Konzerte nur kaum eine Möglichkeit, damit momentan seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und Streaming-Konzerte oder die Konzerte unter aktuellen Bedingungen sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Während des Sommers betrug die Auslastung der Branche gerade mal 10–20 Prozent, und mit Beginn der Indoor-Saison bricht das auch wieder weg.
Meinst du, die Branche erholt sich wieder nach der Pandemie?
Das kommt darauf an, ob und wieviel öffentlichen Druck wir aufbauen können und wie lange der ganze Wahnsinn dauern wird. Es werden aber auch im besten Fall viele auf der Strecke bleiben.
Die Forderungen von AlarmstufeRot
Pleitewelle in der Veranstaltungswirtschaft stoppen!-Überbrückungsprogramm ausweiten! Auf alle Unternehmensgrößen. Für alle Kostenarten. Über alle Krisenmonate.
1. Kreditprogramme anpassen! Laufzeiten verlängern. Tilgungsfreie Phasen ausweiten. Ratingvorschriften abmildern.
2. Steuerlichen Verlustrücktrag ausweiten! Anzahl Monate Veranstaltungsverbot = Jahre Rückerstattungszeitraum = sofort wirksame Liquiditätshilfe.
3. Kurzarbeit-Regelung anpassen! Flexibilisierung einführen. Arbeitserlaubnisse erteilen. Unternehmensentwicklung fördern.
4. Ungleichbehandlung beenden! EU-Beihilferahmen aussetzen. Obergrenze öffnen. Härtefallregelung einführen.
5. Alarmstufe Rot! 2,5 Millionen Jobs bedroht! Vernichtung von Arbeitsplätzen stoppen! Rettungsdialog jetzt!
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