Erinnerung an Christoph Schlingensief
von Dieter Braeg
«Wien ist anders» – das war einmal. In einer Juniwoche im Jahr 2000 zeigte Wien sein wahres Gesicht. Die Deutschen blickten neidisch auf die österreichische Hauptstadt. Anders als heute durften sie damals keine Ausländer abschieben.
Die mit EU-Sanktionen schwer gefolterte erste Koalition zwischen ÖVP und FPÖ (Wolfgang Schüssel und Jörg Haider) hingegen durfte nach dem scheinheiligen Motto «I hob nix gegn Auslända» jeden Tag abschieben. Eine Gebrauchsanweisung half dabei.
Im Rahmen der «Ersten österreichischen Koalitionswoche» präsentierte da Christoph Schlingensief sein Projekt «Bitte, liebt Österreich». Nach dem bewährten Prinzip von «Big Brother» ließ er Abschiebung spielen und schändete den Wiener Pfingstfrieden. O-Ton Schlingensief: «Was wir hier machen, ist eine Weltausstellung der Freiheit, denn die größte Freiheit für den Betrachter ist die Erkenntnis der eigenen Unfreiheit.»
Vom 11. bis 17.6.2000 fand der wirklich beste Beitrag der Wiener Festwochen statt, für die der damalige Intendant Luc Bondy verantwortlich zeichnete: Ein Dutzend Ausländer wurden in zwei Container gesperrt, die vor der Wiener Staatsoper auf dem Herbert-von-Karajan-Platz aufgestellt waren, wo sie rund um die Uhr gefilmt wurden.
«Schluss mit lustig, Schlingensief», geiferte der Haider-Ratgeber Andreas Mölzer. Die FPÖ schaltete «Jetzt-reicht-es»-Anzeigen in der Kronenzeitung (bis heute Zentralorgan für die Bildung des «gesunden» österreichischen Volksempfindens) und verlangte den Rücktritt des ÖVP-Stadtrats Peter Marboe (damals regierte in Wien eine Koalition aus SPÖ und ÖVP).
Aber das half nichts. Finanziert aus dem Kulturbudget der Stadt Wien, erschreckte der Ausländerabschiebecontainer ahnungslose Kulturtouristen aus aller Welt, denen Schlingensief anbot, sie ebenfalls abzuschieben. Jeden Tag wurde ein überaus interessantes Programm geboten. Mal gönnte man den natürlich mit Handschellen gefesselten Asylanten einen Besuch im nahe gelegenen Hotel & Café Sacher, um Kaffee zu trinken. Täglich war Morgensport angesagt, und bereits nach zwei Tagen «Deutschunterricht» konnten einige der Abzuschiebenden: «Ich liebe Österreich» sagen – akzentfrei!
Vor den Containern allerdings, da war die «öffentliche» Meinung stark. Je lauter, desto wahrer. Die in «Freiheit» Lebenden, draußen vor dem Container, hatten viele Wahrheiten. Die andere Meinung hatte keine Chance. Es war, als hätte sich vor dem Schlingensief-Container das «gesunde Volksempfinden» versammelt, um sich dort von der besten Seite zu zeigen. Zuhören und Brüllen gleichzeitig ging nicht. Zwischentöne gingen zwischen «Nazi, Nazi» und «Mir san mir, mir brauchen do kane Nega, Juden ah net» unter. Etwa die Anmerkung eines Mannes, der sich Sorgen machte, dass in Österreich lebende Ausländer das «Ausländer raus» tatsächlich als Drohung empfinden könnten. Ob man da nicht auf Türkisch und Serbisch ein paar erklärende Sätze… «Türkisch? Dös war jo no schöna!», kam prompt die FPÖ-Ausländer-raus-Meinung als Antwort.
Der «Ausländer-raus»-Container vor der Oper mit Kärntnerstraße und Stephansdom im Hintergrund verstörte. Das damals wahre Gesicht österreichischer Politik und Mentalität wurde sichtbar: «San eh zu viele», oder: «Was soll’n die Touristen glauben?» Das hat sich bis heute nicht geändert. Derzeit, Wien steht vor Landtags-und Gemeinderatswahlen, gibt es Diskussionen, im Gemeindebau nur noch solchen Menschen ein Wohnrecht zu gewähren, die der deutschen Sprache mächtig sind.
Die Touristenwerber verkauften damals, verkleidet in historische Kostüme, Konzerttickets an die Touristen: «Manche fragen. Und dann antworten wir oder schicken sie zum Container.» Man habe in den letzten Tagen «nicht eine einzige negative Reaktion» bekommen, «nachdem man erklärt hat, was hier geschieht». Es gab erstaunte Gesichter. Viele erkannten so, dass es bei ihnen auch Rassismus gibt.
Schlingensiefs Container haben neben «Big Brother» noch ein anderes sehr reales Vorbild: In einem halben Dutzend Containern auf dem Gelände des Flughafens Wien-Schwechat wurden damals tatsächlich Tag für Tag Asylbewerber festgehalten. Bis zu sechs Wochen lang, manche noch länger, weil man sie – so die offizielle Sprachregelung – an der Einreise hindern wollte.
Den Container bei der Oper besuchten Elfriede Jelinek, Gregor Gysi, Daniel-Cohn-Bendit und der österreichische Grünen-Parlamentarier Peter Pilz. Blixa Bargeld und Einstürzende Neubauten gaben auf dem Containerdach mit einem Konzert den musikalischen Ausklang am letzten Tag der Aktion. («Jetzt ist Schluss mit Hochkultur», angekündigt von Schlingensief.)
Zum Abschluss meinte Schlingensief: «Wenn wir nicht bereit sind, uns erst mal selber als Täter zu begreifen, tut sich gar nix mehr. Die Leute vergessen, dass sie letzten Endes alle ein sehr großes Problem haben – nämlich auf der Welt zu sein. Ab heute lautet die Devise in diesem Land also: Überleben. Die Containerbewegung geht weiter.»
Es war Peter Sellars, der amerikanische Regisseur, der als Besucher an diesem letzten Abschiebetag beeindruckte und feststellte, es sei skandalös, in einer Welt zu leben, in der 20 Prozent der Bevölkerung die restlichen 80 Prozent ausbeuten. Da seien diese Container und viele andere auf der Welt eine präsente Realität. In Zeiten, in denen das Kapital von Grenzen nicht behindert werden könne, müsste allen Menschen die gleiche Freiheit zugestanden werden. Im New Yorker Museum of Modern Art hat das Schild «Ausländer raus» dieser Schlingensief-Aktion einen Platz bekommen.
Schlingensief und sein Double waren zum Schluss abgekämpft. So blieb nur noch eine als FPÖler getarnte Verunsicherung amerikanischer Touristen in Erinnerung: «Hällo! Zis is a program of ze FPÖ. We hate immigrants and niggers. Please leave your money here, we need it to kill ze niggers!»
Leider gab es anschließend und bis heute keine Protestwochen gegen «Ausländer raus». Heute ist Abschiebung traurige Wirklichkeit in einer Gesellschaft, deren menschliche Gesinnung im Mittelmeer ertrunken ist.
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