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Amerika 1. Oktober 2020

Die Gewinne fallen und die Aktienkurse steigen – die Menschen werden ärmer und die Konsumausgaben steigen
von Nick Baker

Mitten in einer globalen Pandemie, einem beispiellosen wirtschaftlichen Zusammenbruch, Massenarbeitslosigkeit, Hunger und Verzweiflung boomt in den USA der Aktienmarkt und die Reichsten der Reichen sind reicher als je zuvor.

Seit März haben sich mehr als 58 Millionen Menschen in den USA arbeitslos gemeldet. Die Bundesteuerbehörde prognostiziert, dass die US-Wirtschaft im Jahr 2021 fast 40 Millionen weniger Arbeitsplätze haben wird als vor der Pandemie. Da weithin anerkannt wird, dass die Wirtschaft nicht mehr das alte Niveau erreichen wird – auch wenn die Corona-Fälle zurückgehen – und die gegenwärtige Depression noch lange andauern wird, tun die Unternehmen alles, um ihre Aktienkurse in die Höhe zu treiben.

Ein Kahlschlag und ein großer Reibach
In dem verzweifelten Bestreben, ihre Gewinne zu halten, haben viele Großunternehmen Massenentlassungen angekündigt und geben zu, dass derzeit beurlaubte Beschäftigte nicht mehr zurückkommen brauchen. Laut Wall Street Journal zieht «fast die Hälfte der US-Betriebe, die wegen COVID-19 Beschäftigte entlassen oder beurlaubt haben, in den nächsten zwölf Monaten weitere Arbeitsplatzkürzungen in Erwägung».
Als erstes soll im Niedriglohnbereich gekürzt werden. Nach Angaben der Washington Post wurden bis zum 1.Juli doppelt so viele Beschäftigte entlassen wie während der Bush-Obama-Rezession 2009. Über 10 Millionen Beschäftigten im privaten Sektor wurden die Löhne gekürzt oder sie wurden in Teilzeit gezwungen.
Der Autokonzern Tesla zwang von Mitte April bis Juli alle Beschäftigten zu einer Lohnkürzung um 10 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg die Tesla-Aktie und das Nettovermögen von Elon Musk hat sivon 25 auf über 100 Milliarden Dollar. Der Unternehmenssoftwarehersteller Salesforce kündigte an einem Tag Rekordumsätze und am nächsten die Entlassung von 1000 Beschäftigten an. Der Kurs der Unternehmensaktien stieg um 26 Prozent.
50 Prozent aller seit März beurlaubten Beschäftigten kleiner Unternehmen sind immer noch ohne Arbeit, 28 Prozent sind immer noch beurlaubt, 22 Prozent wurden dauerhaft entlassen. Selbst in den stark klein gerechneten Arbeitslosenstatistiken der Regierung ist die Zahl der Menschen, die 15–26 Wochen arbeitslos waren, fast doppelt so hoch wie auf dem Höhepunkt der Rezession 2009 – und um ein Vielfaches höher als zu jedem anderen Zeitpunkt seit der Großen Depression der 1930er Jahre.
Die von Trump unterzeichneten und von den Demokraten mit verabschiedeten Gesetze zur Ankurbelung der Wirtschaft sind ein Billionengeschenk an große Unternehmen und ein Milliardengeschenk in Form von Steuersenkungen für die reichsten Amerikaner. Sogar zwei Drittel des Paycheck Protection Program, das ursprünglich «kleine Unternehmen» mit Darlehen stützen sollte, sind an große Unternehmen wie Ritz Carlton gegangen, die Banken, die die Darlehen verteilten, haben dadurch Milliarden an Gebühren kassiert.
Am 18.August – einem Tag, an dem 1349 Menschen an COVID-19 starben und 10 Millionen arbeitslos waren – erreichte der Aktienindex S&P500 ein Allzeithoch, der Technologieindex Nasdaq100 lag bereits auf Rekordhöhe. Gleichzeitig war der wirtschaftliche Einbruch mit 9,5 Prozent im Zeitraum von April bis Juni viermal so groß wie davor der größte Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg.

Der Trick hinter dem Aktienboom
Die Volkswirtschaften auf der ganzen Welt befinden sich im freien Fall. Das Bruttoinlandsprodukt der OECD-Länder, der größten Volkswirtschaften der Welt, ist ebenfalls um fast 10 Prozent gesunken – viermal so stark wie beim weltweiten Zusammenbruch im Jahr 2009, und es wird erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt weltweit in diesem Jahr um historische 5 Prozent zurückgehen wird.
Bloomberg News berichtet, dass die 500 reichsten Menschen der Welt ihren Reichtum in diesem Jahr bisher um 871 Milliarden Dollar gesteigert haben und «der Anstieg des Reichtums sich vor allem auf die oberen Ränge der Milliardäre konzentriert».
Die größten Aktiengewinne in diesem Jahr gingen an die größten Unternehmen, insbesondere im Technologiebereich. Der Technologie-Monopolist Apple ist jetzt das wertvollste Unternehmen der Welt, mit einem Gesamtwert von über 2 Billionen Dollar – das erste Unternehmen überhaupt, das diese Marke erreicht. Das Geheimnis dahinter? Das Unternehmen hat die größten Aktienrückkäufe der Geschichte getätigt (seit 2012 im Wert von 360 Milliarden Dollar). Damit wurde der Wert des Unternehmens künstlich aufgebläht: Es kauft Aktien von den Aktionären zurück und lässt ihnen damit Geld in zweistelliger Milliardenhöhe zukommen, gleichzeitig verrringert sich die Anzahl der verbleibenden Aktien, was ihren Kurs in die Höhe treibt.
Apple hat allein in den vergangenen zwei Jahren 141 Milliarden Dollar für Rückkäufe ausgegeben, nachdem Trumps Steuersenkungen im Jahr 2017 es dem Unternehmen ermöglicht hat, steuerfrei Gewinne in Höhe von 252 Milliarden Dollar in die USA zurückzuführen.
Apple hatte das Geld jahrelang in Steueroasen gehalten, sich ausdrücklich geweigert, Steuern zu zahlen, und behauptet, dass das Geld, wenn es in die USA zurückgeführt würde, zur «Schaffung» zehntausender Arbeitsplätze verwendet würde – doch das würde nicht geschehen, wenn Apple Steuern zahlen müsste. Trump hat mit dem Tax Cuts and Jobs Act 2017 die Repatriierungssteuer abgeschafft, dennoch wurde das Geld nicht etwa in Arbeitsplätze gesteckt, sondern direkt an die Aktionäre weitergegeben.
Konzernvorstände, führende Aktionäre und führende Manager haben seit Mai Aktien im Wert von mehr als 50 Milliarden Dollar abgestoßen.

Rückgang bei den Gewinnen
Im Gegensatz zu dieser wilden Aktienrallye gingen die Unternehmensgewinne in der ersten Hälfte des Jahres 2020 um fast 25 Prozent zurück, obwohl die Verbraucherausgaben – der überwiegende Teil der US-Wirtschaft – durch den Arbeitslosenzuschlag von 600 Dollar, Zinssätzen nahe Null und die Konjunkturmaßnahmen stark gestützt wurden. Der Arbeitslosenzuschlag ersetzte effektiv die entgangenen Löhne der Erwerbslosen und ermöglichte ihnen, weiterhin notwendige Anschaffungen zu tätigen. Die niedrigen Zinssätze ihrerseits haben den Wohlhabenden, die von der Depression weitgehend verschont geblieben sind, eine wahre Goldgrube an Ausgaben beschert.
Mit dem Auslaufen der Arbeitslosenunterstützung und dem Ausbleiben angekündigter zukünftiger Konjunkturprogramme werden die Ausgaben der Reichen allein allerdings nicht mehr reichen, um wirtschaftliches Wachstum zu generieren.
Das Wall Street Journal stellt fest: Millionen von Niedriglohnbeschäftigten, oft in hart betroffenen Dienstleistungsbereichen wie Gastronomie, Reise- und Einzelhandel, wurden entlassen, beurlaubt oder es wurden ihnen die Stunden gekürzt, die Lebensgrundlagen von Angestellten hingegen sind weitgehend intakt geblieben.

Kapitalkonzentration
Der Höhenflug des Aktienmarkts in der gegenwärtigen Situation ist für viele Menschen ein Schock. «Die Rezession ist für die Reichen vorbei, aber die Arbeiterklasse hat sich noch lange nicht erholt», schrieb die Washington Post am 18.August. Nur 42 Prozent konnten an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Besonders trifft es People of Color und Frauen. Frauen machen zwei Drittel der Beschäftigten in den 40 am schlechtesten bezahlten Jobs aus, wobei schwarze Frauen die Mehrheit der Niedriglohnbeschäftigten stellen.
«Nur 20 Prozent der schwarzen Männer und Frauen konnten an die Arbeitsplätze zurückkehren, die sie durch die Pandemie verloren haben», berichtet die Post, bei weißen Männern und Frauen sind es 40 bzw. 45 Prozent. Zwischen Februar und Mai 2020 sind 11 Millionen der von Frauen besetzten Arbeitsplätze verschwunden.
Das U.S. Census Bureau berichtet, dass «jeder fünfte Erwachsene im erwerbsfähigen Alter arbeitslos ist, weil COVID-19 die Kinderbetreuungsvorkehrungen zunichte gemacht hat», wobei es Frauen dreimal häufiger trifft als Männer; bis zu fünfmal häufiger als Männer müssen sie ihre Arbeitszeit reduzieren, um sich um Kinder zu kümmern.
Etwa 30–50 Millionen Menschen in den USA sind in den kommenden Monaten von Zwangsräumung bedroht, da der vorübergehende Räumungsschutz endet. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage des U.S. Census Bureau gaben «fast die Hälfte der hispanischen Mieter und 42 Prozent der schwarzen Mieter an, sie hätten ‹kein Vertrauen› oder nur ‹geringes Vertrauen›, dass sie ihre Miete im August bezahlen könnten», heißt es in dem Artikel.
Gleichzeitig steigen die Lebensmittelpreise so schnell wie seit fast 50 Jahren nicht mehr und machen Fleisch und Eier für viele unerschwinglich. Die gleiche Umfrage des Census Bureau ergab, dass «20 Prozent der hispanischen Haushalte mit Kindern und fast ein Viertel der schwarzen Haushalte mit Kindern sagen, dass sie nicht genug zu essen haben».
Die Kaiser Family Foundation schätzt, dass 27 Millionen Menschen in den USA während der Pandemie ihre Krankenversicherung verloren haben.
Gleichzeitig heizen die rekordtiefen Zinssätze die Kauflust der Wohlhabenden an. Die Hypothekenzinsen sind die niedrigsten in der Geschichte der USA, was zu Rekordzahlen beim Hauskauf durch diejenigen führt, die keine finanziellen Sorgen haben. Auch Autoverkäufe profitieren von den niedrigen Zinssätzen. «Einige Autohäuser haben ihren besten Juli aller Zeiten erlebt», berichtet die Post.
Obwohl saisonbereinigt und offiziell immer noch über 13 Millionen Menschen arbeitslos sind, sind die Einzelhandelsumsätze wieder auf das Niveau vor der Pandemie zurückgekehrt. Große Fachgeschäfte wie Target, Walmart und Home Depot verzeichnen die größten Verkäufe in ihrer Geschichte. Unterdessen wurden bis Mitte Mai 100000 kleine Unternehmen dauerhaft geschlossen, Schätzungen zufolge werden weitere Hunderttausende die Pandemie und die wirtschaftliche Depression nicht überleben und weitere Millionen Erwerbstätige arbeitslos machen.
Mit der Schließung der kleinen Unternehmen rücken die Walmarts und Targets an ihre Stelle. Das ist Teil des Prozesses, wie der Kapitalismus eine Katastrophe in eine «Chance» verwandelt, indem er seine Tendenz zum Monopol beschleunigt und die Kontrolle über den Marktplatz in immer weniger Hände legt.

Quelle: https://socialistaction.org/2020/09/05/in-the-worst-of-times-the-billionaire-elite-plunder-working-class-america/.

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