Nazi-Netzwerke in der Polizei Nordrhein-Westfalens aufgedeckt
von Tim Fürup
Rechte Netzwerke, Debatten über Polizeigewalt und institutioneller Rassismus: Das Bild vom freundlichen Gesetzeshütenden wankt in der bürgerlichen Öffentlichkeit, insbesondere nach dem Nazi-Skandal bei der Polizei in NRW. Unterdessen weiß DIE LINKE nicht, ob sie mehr Personal in den Polizeibehörden oder eine grundsätzliche Abrüstung fordern soll.
Zu Beginn des Mathematikstudiums lernt man den Satz: «Hüte dich vor Allgemeinaussagen!» Formulierungen wie «Alle PolizistInnen sind Schweine», die auf linken Demonstrationen regelmäßig zu hören sind, gehen einem mathematisch geschulten Menschen nur schwer über die Lippen. Finde ich eine Polizistin oder einen Polizisten, die oder der im humanistischen Sinne menschlich denkt und handelt, ist die Aussage widerlegt. Dennoch scheint richtig zu sein, dass gerade dieser Beruf Menschen anzieht, die ein enormes Bedürfnis nach Hierarchie und Autorität haben. Rechtsextreme stimmen einem Recht und Ordnung gewaltsam durchsetzenden Staat grundsätzlich eher zu (auch wenn die Staatsform von ihnen in Frage gestellt wird) als Linke, sodass der These von der Polizei als Abbild der Gesellschaft widersprochen werden muss.
In einem lesenswerten Artikel des neuen Grundrechte-Reports beschreibt Maximilian Pichl, wie sich rechtsradikale Einstellungen in der Polizei manifestieren und gegenseitig verstärken, indem sich KollegInnen untereinander politisieren: Rechte Strukturen erschaffen und verfestigen rechtes Denken.
Pichl macht auch auf die rechten Netzwerke in der hessischen Polizei aufmerksam. Hier wurden Daten von Personen, die sich in antifaschistischen Initiativen engagieren, von Rechnern aus Polizeibehörden abgefragt. Mit dem Datenmaterial wurden Drohbriefe verfasst, um AntirassistInnen einzuschüchtern. Am Ende bekannte sich zum Schreiben immer eine Gruppe namens «NSU 2.0». In Chat-Gruppen tauschten PolizistInnen und SoldatInnen nationalsozialistische Propaganda aus.
Berufsverbote?
Die Berichte über Nazis bei der Polizei reißen nicht ab. So wurde Mitte September öffentlich, dass auch in Nordrhein-Westfalen 29 Personen aus dem rechtsextremen Spektrum in Chat-Foren ihrer nationalsozialistischen Gesinnung freien Lauf ließen. Bilder von Geflüchteten in Gaskammern, Erschießungen von People of Colour und Hakenkreuze reichten aus, um die PolizistInnen zu suspendieren. Disziplinarverfahren wurden angekündigt.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach auf einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz am 16.9. immerhin davon, dass man nicht mehr von Einzelfällen innerhalb der Sicherheitsbehörden ausgehen werde und kündigte Sonderuntersuchungen an, die alle rechtsextremen Elemente ausfindig machen sollen.
Ob dem Reden auch Taten und eine lückenlose Aufklärung folgen, kann – wie in Hessen – bezweifelt werden. Das würde bedeuten, die Bedingungen, die die Polizei als Arbeitgeber für Neonazis so attraktiv machen, zu beseitigen. Dafür müsste jedoch mindestens die Polizei abgerüstet bzw. entmilitarisiert und durch unabhängige Gremien demokratisch kontrolliert werden.
Auch müsste es eine Anerkennung und darauffolgend ein Verbot von Racial Profiling, also der verdachtsunabhängigen Kontrolle von Menschen, denen eine nichtdeutsche Herkunft unterstellt wird, geben. Polizeigewalt muss sanktionierbar sein – und zur Gewalt gehören auch Schmerzgriffe oder die Fixierung von Personen, die wie im Falle von George Floyd zum Tode führen können. Die Kennzeichnungspflicht wäre ein wichtiger Schritt, PolizistInnen bei Gewalt z.B. gegen Demonstrierende zur Rechenschaft zu ziehen.
Das sind nur einige Punkte, die in naher Zukunft wohl nicht umgesetzt werden. Stattdessen plädierte noch am Tag der Enthüllung des NRW-Nazi-Skandals der Chefkommentator der Welt, Jaques Schuster, für ein Revival des Radikalenerlasses. Dieser besagte, dass zu Feinden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ernannte Menschen keine Staatsbediensteten sein können. Der Erlass traf in den 70er Jahren überwiegend Linke, die ihre Jobs beispielsweise als LehrerInnen verloren.
Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) steht einem polizeipolitischen Paradigmenwechsel im Weg. So bekräftigte er im Juli dieses Jahres noch, eine Studie über den Zusammenhang von Rassismus und rechtem Gedankengut bei der Polizei lehne er ab, da die Polizei dadurch unter Generalverdacht gestellt werde. Außerdem könne es Racial Profiling nicht geben, da es ja verboten sei. Er würde viel eher eine Studie zum Thema Gewalt gegen OrdnungshüterInnen begrüßen.
Oder mehr Personal für die Polizei?
In die gleiche Richtung – vielleicht mit etwas weniger Schnappatmung – argumentierte der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Dietmar Bartsch. Er kritisierte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die den institutionellen Rassismus der Polizei benannte und die weltweiten Black-Lives-Matter-Demonstrationen begrüßte, mit dem Satz, den Seehofer genauso formulierte: die Polizei werde von ihr unter Generalverdacht gestellt werde. Es gebe zwar schlimme Einzelfälle, die aufgeklärt werden müssten, aber grundsätzlich arbeite die Polizei vorbildlich. Gleichzeitig forderte er eine personelle und finanzielle Aufstockung der Polizeibehörden sowie ihre bessere Ausrüstung.
Klar, mit solchen Aussagen soll die Regierungsfähigkeit der Linkspartei demonstriert werden. Merkwürdig bleibt nur, dass zu diesem skandalösen Zwischenruf von Bartsch nur wenige Parteimitglieder öffentlich auf Distanz gingen.
Auf dem Bundesparteitag der LINKEN Ende Oktober in Erfurt soll über das Verhältnis der Partei zur inneren Sicherheit diskutiert werden. Es liegt bereits ein Antrag mit dem Titel «Gegen rechte Netzwerke und institutionellen Rassismus. Die Polizei demokratisieren!» vor. In diesem wird überzeugend dargestellt, dass soziale Sicherheit (etwa geregeltes Einkommen, Sozialsysteme o.ä.) die Voraussetzung für die Beseitigung von Kriminalität ist. Dennoch übernimmt der Text auch Forderungen von Bartsch: mehr Personal, mehr Gehalt und bessere Ausstattung der Sicherheitsbehörden.
Zu solchen Forderungen gelangt DIE LINKE, weil sie es unterlässt, die Aufgaben zu analysieren, die die Polizei in der Klassengesellschaft zu erfüllen hat: Sie muss die herrschenden Macht- und Besitzverhältnisse verteidigen. Gibt es gesellschaftliche Kräfte, die in der Lage sind, den Kapitalismus zu überwinden, wird die Polizei (zusammen mit dem Militär) repressiver agieren müssen, als sie das in Zeiten ohne relevante Gegenmacht tut. Spätestens dann sollte auch die Linkspartei merken, dass sie besser gefordert hätte, die Gelder für Soziales oder das Gesundheitswesen einzusetzen.
Kritische PolizistInnen
Zur anfänglich erwähnten Allgemeinaussage «Alle PolizistInnen sind Schweine» ist zu sagen: Wenn PolizistInnen eine Uniform tragen, haben sie die Aufgabe, das System zu schützen. Auch wenn eine Bewegung noch so emanzipatorisch und friedlich ist und auf die Polizei wohlwollend einredet: Wenn die Herrschaft des Kapitals in Frage steht, werden die Protestierenden weggeprügelt. Der Korpsgeist lockt Rechte aller Schattierungen an, Gewaltausbrüche und Rassismus liegen in der Institution begründet und sind keine Ausnahmeerscheinungen. Unter der Uniform sind dennoch Menschen, die trotz aller Manipulationen während der Ausbildung und allen Stubengehorsams für den Sturz des Kapitalismus gewonnen werden müssen.
Die «Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten» ist mit nur ca. 100 Mitgliedern eine verschwindend kleine Gruppe von Leuten, die regelmäßig auf ihrer Homepage (www.kritische-polizisten.de) Stellungnahmen veröffentlicht, in denen sie Polizeigewalt und Rassismus in den eigenen Reihen anprangern. Sie verteidigt das Recht auf Versammlungsfreiheit – auch in Zeiten von Corona –, ohne sich dabei auf die Seite von Reichsbürgern und Esoterikern zu schlagen. Diese PolizistInnen werden möglicherweise von ihren KollegInnen als Nestbeschmutzer bezeichnet, obwohl sie nur auf den Schutz im Nest hinweisen, wie es einst Tucholsky formulierte.
Sicher scheint aber zu sein, dass unter diesen hundert Menschen ein paar Leute sein könnten, die im humanistischen Sinne menschlich denken und handeln.
Alles in allem aber ist das Bild vom «Freund und Helfer» angeschlagen und wird durch den neuen Skandal in NRW mit Sicherheit noch weiter in Frage gestellt. Es bleibt abzuwarten, ob eine linke, emanzipatorische Kritik der Polizei hegemonial werden kann.
* Der Autor ist Bundesgeschäftsführer der Antikapitalistischen Linken (AKL), eine Strömung innerhalb der Partei DIE LINKE, sowie Mitglied des BundessprecherInnenrats der AKL.
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