Über hundert Streiks in drei Monaten in der Nahrungsmittelindustrie
von Violetta Bock
Seit drei Monaten läuft die NGG (Gewerkschaft Nahrung – Genuss – Gaststätten) auf Hochtouren. Wöchentlich gibt es Meldungen von Streiks und Demonstrationen. Dabei geht es nicht nur um Lohnsteigerung, sondern besonders im Osten um eine Mission: 30 Jahre nach der Wiedervereinigung soll die Lohnmauer fallen.
Die Löhne bei Nahrungsmittelherstellern in Ostdeutschland liegen bis zu 1000 Euro unter denen im Westen, auch in tarifgebundenen Unternehmen. Und das obwohl nach wie vor zwei Stunden mehr pro Woche gearbeitet wird. Die NGG hat daher die Tarifverträge zum Laufzeitende gekündigt. Von Anfang März bis Mitte Mai hatte sich auch die NGG in den selbst auferlegten Lockdown begeben und die Streiks ausgesetzt. Das hieß jedoch nicht Stillstand, sondern Vorbereitung auf die Auseinandersetzungen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und so ging es am 20.Mai wieder los. Seither fanden deutschlandweit mehr als hundert Streiks statt.
Gerade im Osten konnten beachtliche Tariferfolge erzielt werden. Die über 600 Beschäftigten von MEG (Mitteldeutsche Erfrischungsgetränke), eine Tochter der Lidl/Schwarz-Gruppe, haben durch ihren Arbeitskampf und Streiks eine Erhöhung um bis zu 546 Euro monatlich erreicht (30 Prozent Tarifplus bis 2025). Uwe Ledwig, Vorsitzender des Landesbezirks Ost der NGG und Verhandlungsführer, erklärte Ende August dazu in einer Pressemitteilung: «Das ist auch ein Zeichen für Beschäftigte anderer Betriebe, in denen eine Angleichung noch aussteht. Ihnen wird nichts geschenkt, sie müssen sich die Lohngerechtigkeit selbst erkämpfen.»
Diese Botschaft prägt die Kampagne «Lohnmauer einreißen», die Erfolge werden gefeiert und sind Ansporn für die nächsten Schritte als Teil eines gemeinsamen, betriebsübergreifenden Kampfs zur Angleichung der Löhne.
Mit zum Teil hunderten Warnstreikstunden konnten zahlreiche Lohnerhöhungen durchgesetzt werden: In Sachsen etwa steigt bis 2022 der Monatslohn bei Frosta Lommatsch um 395 Euro, bei Cargill Riesa um 490 Euro, beim Fruchtsafthersteller Sonnländer (Edeka) in Rötha um 310 Euro, bei Unilever-Knorr Auerbach um 513 Euro. In Sachsen-Anhalt gibt es bis 2024 bei Homann Feinkost Rögatz pro Monat 552 Euro mehr; die ArbeiterInnen bei Rotkäppchen konnten bis 2025 ein Plus von bis zu 819 Euro durchsetzen, bei DE-VAU-GE sind es bis zu 522 Euro mehr.
Noch keinen Lohnabschluss gibt es bei Bautz’ner Senf, 1992 von der Treuhand an Develey verkauft. Auch hier besteht ein beachtlicher Lohnunterschied. So liegt der Facharbeiterlohn in Bautzen bei 12,14 Euro, in Düsseldorf dagegen bei 18,44 Euro. Die NGG fordert daher von der Inhaberfamilie Durach den Abbau der Lohnunterschiede und die Anhebung der untersten Lohngruppe auf mindestens 12 Euro.
Seit dem 20.September stehen die KollegInnen wieder im Streik. In den sozialen Medien ruft die NGG unter dem Motto «Gib deinen Senf dazu» zu Soli-Botschaften und Schreiben an das Unternehmen auf. Auch dies prägt die Auseinandersetzungen, ebenso wie das Lernen von erfolgreichen Kämpfen, wie etwa bei Teigwaren Riesa, die vor einem Jahr einen Tarifvertrag durchsetzen konnten.
Unterstützt wird die NGG Ost von der Gruppe Aufbruch Ost. Sie begleiten die Arbeitskämpfe, weil sie hier auch eine Chance sehen für ein neues linkes Klassenbewusstsein.
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