Sind Bosch und ZF Friedrichshafen Vorreiter der kommenden Metalltarifrunde?
von Manfred Dietenberger
Das Stiftungsunternehmen ZF Friedrichshafen am Bodensee, nach Bosch und Conti der drittgrößte Automobilzulieferer Europas, steckt tief in den roten Zahlen – nicht nur wegen den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, vielmehr wegen der Absatzeinbrüche im Zusammenhang mit der anhaltenden Strukturkrise in der Automobilindustrie.
Die ZF-Bilanz für das erste Halbjahr 2020 weist Umsatzeinnahmen von 13,5 Milliarden auf – das ist ein Umsatzrückgang gegenüber 2019 von rund 27 Prozent, unterm Strich beschert das ZF weitere 911 Millionen Miese. Dabei bräuchte der traditionelle Getriebehersteller dringend sprudelnde Profite zur Refinanzierung seiner ambitionierten – und finanziell höchst riskanten – technologisch orientierten Aufkaufrally.
Erinnern wir uns: Im Mai 2015 schluckte ZF den vor allem auf Antriebe und Fahrwerke spezialisierten, einstigen US-Konkurrenten TRW Automotive für 9,6 Milliarden Euro. Zur Finanzierung der Übernahme von TRW bediente sich ZF eines Schuldscheindarlehens von 2,2 Milliarden Euro (siehe SoZ 9/2020), das größte, das je ein deutsches Industrieunternehmen aufnahm. Damit nicht genug, mitten in der Krise stemmte ZF die Übernahme des amerikanisch-belgischen Bremsenhersteller Wabco zum Kaufpreis von rund 7,4 Mrd. Euro.
Der ZF-Konzern ist nicht zum erstenmal in der Klemme. Seit 2010 wurden immer wieder Sparpakete in Millionenhöhe zulasten der ZF-KollegInnen aufgelegt – z.B. sollten sie auf übertarifliche Gehaltsbestandteile verzichten und so zur Standortsicherung beitragen. Und natürlich nahm und nimmt ZF in jeder Krise gerne, und einvernehmlich mit dem Betriebsrat und der IG Metall, Kurzarbeitergeld in Anspruch, um die Umstrukturierung des Konzerns zu finanzieren. Aktuell sind etwa 40000 der mehr als 50000 bei ZF in Deutschland Beschäftigten in Kurzarbeit. Das kostet richtig viel Geld, bindet aber die Beschäftigten an den Betrieb, sie bleiben für diesen jederzeit verfügbar. Im besten Fall verhindert Kurzarbeit Entlassungen, oder aber schiebt sie nur weiter nach hinten.
Allerdings: Auch wenn die Bundesagentur für Arbeit einen großen Teil der Kosten trägt: Umsonst ist Kurzarbeit für Unternehmer nicht. Ein Mitarbeiter, der auf Kurzarbeit null gesetzt ist, kostet seinen Arbeitgeber 20–30 Prozent. So müssen z.B. Betriebe der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg durch eine Bestimmung im Flächentarifvertrag Aufzahlungen auf das Kurzarbeitergeld aus Nürnberg leisten, die Beschäftigten erhalten dadurch rund 80 Prozent ihres Brutto- und mehr als 90 Prozent ihres Nettogehalts.
Wer bezahlt eigentlich die Kurzarbeit?
Die KollegInnen ebenso wie ihre Betriebsräte samt IG Metall halten Kurzarbeit für einen Segen, nicht wenige sogar für ein Geschenk des Staates oder gar ihres Unternehmens oder beider. Das ist so, weil selbst Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften scheinbar gar nicht wissen, von wem das Geld für die Kurzarbeit stammt.
Im Februar 2009 erklärte Baden-Württembergs damaliger IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann, die Kurzarbeit «verschafft den Unternehmen Luft, weil dadurch die Kostenbelastung deutlich nach unten geht». Da hat Kollege Hofmannn etliche Gewerkschaftsseminare geschwänzt, sonst wüsste er: Kurzarbeitergeld wird aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung bezahlt. Die Arbeitslosenversicherung zählt wie die Renten-, Kranken- und Unfallversicherung zu den sog. Lohnnebenkosten. Auch die Vergütung der gesetzlichen Feiertage sowie die gesetzliche Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall sind Lohnnebenkosten – ebenso Urlaubsvergütungen, Gratifikationen, 13.Monatsgehalt, betriebliche Altersversorgung, zusätzliches Urlaubsgeld usw.
Was die abhängig Beschäftigten am Ende des Monats als Lohn bzw. Gehalt bekommen, ist der Nettolohn. Hinzu kommen die beschriebenen indirekten, als Lohnnebenkosten bezeichneten Lohnbestandteile, die ebenfalls einen von den Arbeitenden hart erkämpften sozialen Fortschritt darstellen. Die Unternehmer werden nicht müde, immer und immer wieder die alte Mär von der paritätischen Finanzierung der Sozialkassen zu reden. Fakt ist: Der sog. Arbeitnehmerbeitrag wird, wie der Unternehmerbeitrag auch, in der Gewinn- und Verlustrechnung des Unternehmens unter «Lohnkosten» verbucht. Um deren Höhe geht es bei jeder Tarifauseinandersetzung. Alles was als Lohn und Gehalt und für die Sozialbeiträge bezahlt wird, stammt aus der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen.
Allerdings machen in hoch technologisierten Branchen Lohn- und Lohnnebenkosten nur noch einen Bruchteil der Gesamtkosten der Produktion aus. Ulrich Briefs, ehemals Mitarbeiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) des DGB, schrieb schon 1986 in den Mitteilungen des Instituts: «An bestimmten ‹Spitzenarbeitsplätzen› in den Automobilfabriken z.B. arbeiten die Arbeitnehmer inzwischen in der Stunde ganze 4 Minuten dafür, den Wert zu schaffen, der ihrem Lohn und ihren Lohnnebenkosten entspricht. Die restlichen 56 Minuten der Stunde arbeiten sie, um Wert zu schaffen, der vor allem zur Bedienung des Kapitals dient, das in der hochmodernen Maschine, mit der sie so viel Leistung erbringen, verkörpert ist.»
Vier-Tage-Woche statt Kurzarbeit
Kurzarbeit ist kein Dauerzustand. Deshalb vereinbarten diesen Sommer die Autozulieferer Bosch und ZF fast zeitgleich für die Zeit danach die Möglichkeit, die Arbeitszeit bis zu 20 Prozent zu reduzieren – ohne Lohnausgleich. Dafür versprachen sie einmal mehr, von betriebsbedingten Kündigungen und Werkschließungen bis 2020 die Finger zu lassen.
Eingefädelt hatten das zwei IG Metaller, Roman Zitzelsberger und Frank Iwer. Iwer, früher Leiter der Abteilung Koordinierung und politische Planung beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt am Main, saß für die IGM seit 2009 als Mitglied im ZF-Aufsichtsrat, ab 2014 war er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender für die Arbeitnehmerseite. Frank Iwer wechselte im Oktober 2019 die Seiten – vom IGM Vorstand in die ZF-Chefetage – und besetzte den eigens für ihn von ZF geschaffenen Vorstandsposten eines Personalleiters für Deutschland. Sein Nachfolger auf der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat wurde der IG-Metall-Bezirksleiter von Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, der wenig später ebenfalls stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender wurde.
Da ist es schwer an Zufall zu glauben, wenn Roman Zitzelsberger jüngst – wie ein Magier sein weißes Kaninchen – die 4-Tage-Woche aus dem Hut zauberte. Eine 4-Tage-Woche bedeutet eine Verkürzung der Arbeitszeit um 20 Prozent. Sie ist bereits bei Bosch und in dem mit ZF abgeschlossenen «Tarifvertrag Transformation» vorgesehen – sicher nicht ohne Wissen und Zustimmung der IG-Metall-Führung. So hielt sich die Verwunderung in Grenzen, als Mitte August 2020 Jörg Hofmann, seines Zeichens Vorsitzender der IG Metall, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte:
«Wir brauchen aber auch neue, durchsetzbare Ideen. Ich stelle den Vorschlag zur Diskussion, in der kommenden Tarifrunde eine Vier-Tage-Woche als Option für die Betriebe zu vereinbaren. Die Kurzarbeit ist dazu da, den Konjunktureinbruch abzufedern. Die Vier-Tage-Woche wäre die Antwort auf den Strukturwandel in Branchen wie der Autoindustrie. Transformation darf nicht zur Entlassung, sondern muss zu guter Arbeit für alle führen. Damit lassen sich Industriejobs halten, statt sie abzuschreiben. Unternehmen wie Daimler, ZF und Bosch vereinbarten gerade kürzere Arbeitszeiten. Künftig sollte allen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie dieser Weg offenstehen. Mit einem gewissen Lohnausgleich für die Beschäftigten, damit es sich die Mitarbeiter leisten können; mit Anreizen, diese freie Zeit für berufliche Fortbildung zu nutzen.»
Sauber eingefädelt…, aber warum nur verbunden mit der Forderung nach einem «gewissen Lohnausgleich»? Ist das das einzige, was seinen Vorschlag vom VW Modell 1993 unterscheidet? Das wäre fatal!
Vorbild VW-Modell?
Da dieser Vorschlag wohl der Aufschlag zur kommenden Tarifrunde im Dezember sein wird, sollten wir einen kritischen Blick auf das «VW-Modell» werfen.
Wie war das noch? Ende 1993 steckte VW heftig in der Krise. Mit der Androhung von 30000 Entlassungen zwang der VW-Konzern die Belegschaft, den Betriebsrat und die IG Metall mit einem Haustarifvertrag zum sog. «VW-Modell», sprich: eine 4-Tage-Woche auf der Basis von 28,8 Stunden. Damals pries der VW-Vorstandschef Piech diese Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich lauthals als Rezept für die Wirtschaft. Der damals amtierende IGM-Vorsitzende Zwickel erklärte den VW-Haustarifvertrag zum Modell für ganze Volkswirtschaften.
Von den 112000 Beschäftigten in den sechs VW-Betrieben in der BRD wurden dann 12000 durch Vorruhestands- und andere Regelungen abgebaut. Für die restlichen 100000 reduzierte sich die Wochenarbeitszeit von 36 auf 28,8 Stunden. Obwohl VW für die 20prozentige Arbeitszeitverkürzung immerhin zu einem Teillohnausgleich von 10 Prozent bereit war, wurde sie von der verbliebenen Belegschaft mit einem monatlichen Lohnverlust pro Kopf von monatlich rd. 800 und jährlich fast 10000 D-Mark bezahlt.
Für den Konzern zahlte sich das VW-Modell aus. VW hatte nach eigenen Angaben dadurch eine jährliche Kostenersparnis zwischen 1,8 und 2,2 Milliarden Mark, die VW-Aktie stieg um 9,50 Mark auf 412 Mark. Klaus Zwickel, Erster Vorsitzende der IG Metall, zog 1994 im Vorwort zum Buch Modellwechsel – die IG Metall und die Viertagewoche bei VW die Bilanz:
«In den achtziger Jahren hatte die IG Metall gegen den erbitterten Widerstand der Arbeitgeber die Arbeitszeit stundenweise verkürzt. Jetzt sollte die Arbeitszeit auf einen Schlag um 20 Prozent verkürzt werden, und einen Teil der Kosten sollten dabei die Arbeitnehmer tragen. Wie wir inzwischen wissen, haben sie das auch getan. Es war ein gewaltiger Akt der Solidarität von denen, die bei VW einen sicheren Arbeitsplatz auch in Zukunft gehabt hätten, mit denen, deren Arbeitsplatz am Wackeln war. Ich bin stolz darauf, dass es dieses solidarische Handeln bei VW gegeben hat.»
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