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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2020

Fünf Gegenargumente
von Christian Zeller

Bernd Riexinger, Co-Vorsitzender der Partei DIE LINKE von 2012 bis 2020, legt einen programmatischen und strategischen Vorschlag für einen linken Green New Deal vor.*

Das kleine Buch ist Ergebnis eines engen Arbeitsprozesses mit Lia Becker, Katharina Dahme und Christina Kaindl, die in der Strömung «Bewegungslinke» aktiv sind. Die AutorInnen wollen zu einem strategischen Bündnis von Teilen der Gewerkschaften, der Klimabewegung und der feministischen Bewegung anregen. Sie skizzieren zunächst die gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbrüche, dann stellen sie die Eckpunkte ihres linken Green New Deals vor, um schließlich einige Ideen zur Diskussion zu stellen, wie sich das Kräfteverhältnis verändern lässt. Das kleine Buch endet mit einer Skizze der anstehenden Aufgaben der Partei DIE LINKE.
Ich teile das Anliegen der AutorInnen, Einstiegsprojekte in einen sozial-ökologischen Systemwechsel zu entwickeln. Allerdings bestimmen sie diesen Systemwechsel nicht genauer. Ich gehe hier nicht auf einzelne Vorschläge des Buches ein, wovon ich viele unterstütze und andere ablehne, wie bspw. den, regionale Wirtschaftsräte mit VertreterInnen des Kapitals einzurichten. Vielmehr kritisiere ich die grundlegende Orientierung der AutorInnen.
Erstens gibt es gegenwärtig nicht das Potenzial, die Produktivität so zu steigern, dass sowohl die Löhne erhöht und die gesellschaftliche Infrastruktur verbessert als auch die Gewinne der Unternehmen sich gesteigert werden können. Weil dieser Spielraum nicht besteht, können radikale Strukturreformen nur durchgesetzt werden, wenn die Arbeiterbewegung und die Umweltbewegung ein Kräfteverhältnis aufbauen, das es erlaubt, die Machtfrage offensiv zu stellen.
Riexinger et al. schlagen eine Art gemischte Wirtschaft vor, in der weiterhin privates Kapital entscheidend (bis zu 49 Prozent) an großen Unternehmen beteiligt ist. Diese Kapitaleigner wollen dann aber weiterhin ihre Dividenden, die auf dem von den Lohnabhängigen produzierten Mehrwert basieren, der wiederum auf der unbezahlten reproduktiven Arbeit und der Plünderung der Natur beruht.
Zweitens müsste ein Green New Deal eine kapitalistische Konfiguration ermöglichen, in der die Profite in den neuen grünen und nichtfossilen Sektoren der Wirtschaft höher sind als in den fossilen Sektoren. Nur unter dieser Bedingung würde das erforderliche Kapital überhaupt in diesen Sektor fließen. Das ist eine unrealistische Annahme. Und Profite lassen sich auch in den nichtfossilen Sektoren vor allem durch eine verstärkte Ausbeutung der Lohnabhängigen, das Drücken der Weltmarktpreise für die Inputs und einen Raubbau in anderen Bereichen der Natur bewerkstelligen. Schließt man diesen Weg aus, muss der Staat die Lücke schließen und die nichtfossilen Bereiche der Wirtschaft finanzieren und selber aufbauen. Das wäre aber nur mit einer gesellschaftlichen Aneignung der strategischen Wirtschaftssektoren möglich.
Drittens umgehen Riexinger et al. eine grundsätzliche Frage. Ist es möglich, den Ressourcen- und Energieverbrauch absolut zu senken bei gleichzeitig andauerndem Fortgang der kapitalistischen Akkumulationstätigkeit? FürsprecherInnen eines grünen Kapitalismus betonen, dass es gelungen sei, die sog. Ressourcen- und Energieeffizienz zu steigern. In der Tat gibt es eine relative Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch. Wir brauchen jedoch eine absolute Entkoppelung und zwar im Weltmaßstab. Das jedoch ist eine reine Wunschvorstellung.
Viertens verengen Riexinger et al. die Umweltzerstörung auf den Klimawandel. Der aus dem Ruder gelaufene Stickstoffkreislauf, das Artensterben und die rasante Zerstörung fruchtbaren Bodens zeigen allerdings, dass die kapitalistisch organisierten Gesellschaften bereits mehrere planetare Grenzen durchbrochen und die Natur so stark verändert haben, dass sie das stabile Erdzeitalter des Holozäns (das vor 12000 Jahren nach der letzten Eiszeit einsetzte) instabil und damit das Anthropozän hervorgebracht haben. Das Anthropozän wird von großen Schwankungen des Klimas und vielen abrupten Prozessen gekennzeichnet sein, die das menschliche Leben massiv erschweren und vor allem das unmittelbare physische Überleben der am stärksten benachteiligten Teile der Menschheit gefährden. Die Erkenntnisse der Erdsystemforschung weisen darauf hin, dass der gesamte gesellschaftliche Stoffwechsel mit der Natur derart gestört ist, dass nur ein rascher und kompletter industrieller Um- und Rückbau die Aussicht darauf zulässt, die Erde lebensfreundlich zu erhalten.
Fünftens ist es kaum sinnvoll, begrifflich am New Deal der 1930er Jahre anzuschließen. Die gegenwärtige wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische Situation unterscheidet sich grundlegend von jener in den 1930er Jahren. Das Akkumulations- und Wachstumsprojekt New Deal ist im Bewusstsein größerer Teile der Bevölkerungen in den USA und allenfalls in Großbritannien durchaus positiv belegt, im deutschen Sprachraum gibt es aber keine historische Referenz. Der Begriff ist weitgehend unbekannt und unbestimmt.
Zudem ist es politisch nicht sinnvoll, einen Diskurs des «Deals» zu pflegen. Wer soll mit wem auf welcher Grundlage und mit welchem Ziel einen Deal abschließen? Es gilt nicht, einen Diskurs des Kompromisses und seiner Aushandlung, sondern einen Diskurs des Bruchs und des Aufbaus von gesellschaftlicher Gegenmacht zu entwickeln.
Bernd Riexinger und die Strömung Bewegungslinke zählen zu jenen Kräften in der deutschen Linken, die sich der ökologischen Diskussion stellen. Gerade darum will ich mit meiner Kritik dazu beitragen, gemeinsam um eine angemessene Strategie zu ringen.

*Bernd Riexinger: System Change. Plädoyer für einen linken Green New Deal. Wie wir den Kampf für eine sozial- und klimagerechte Zukunft gewinnen können. Hamburg: VSA, 2020. 144 S., 12 Euro.

Christian Zeller: Revolution für das Klima. Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen. München: Oekom, 2020. 248 S., 22 Euro.

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