Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2020

Abschied von der "grande dame de la chanson"
von Paul B. Kleiser

Am 23.September starb in Paris mit Juliette Gréco die letzte der großen Chansonsängerinnen, die für die Nachkriegszeit prägend waren. Sie ist in einem Atemzug mit Edith Piaf und Barbara, aber auch den Chansonniers George Brassens, Jacques Brel und Leo Ferré zu nennen; die beiden letzteren schrieben zudem eine Reihe von Liedern für sie.

In den 1880er Jahren war in Paris eine besondere Form der Caféhaus- und Variétékultur entstanden. Ihr damals bekanntester Vertreter war ­Aristide Bruant, für den Henri de Toulouse-Lautrec Plakate malte. Man sang und spielte für ein häufig neu nach Paris gezogenes, kleinbürgerliches oder Arbeiterpublikum; die Bourgeoisie ging in die Oper. Unter dem Einfluss von Josephine Baker fanden seit den 1920er Jahren auch Elemente des Jazz Eingang in viele Chansons.
Juliette Gréco war die Tochter eines korsischen Polizisten, der die Familie bald verließ. Mutter und Schwester Charlotte zogen zunächst nach Bordeaux zu den Großeltern mütterlicherseits; dort besuchte sie eine Klosterschule. 1933 zog die Mutter nach Paris um, wo Juliette eine Ballettschule besuchte und Gesangsunterricht nahm. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Frankreich floh die Familie in die Dordogne, wo sich die Mutter der Résistance anschloss. 1943 wurde die Familie von der Gestapo verhaftet und ins Gefängnis Fresnes eingeliefert. Bald danach wurden Mutter und Schwester ins KZ Ravensbrück deportiert, hingegen ließ man Juliette wegen ihrer Jugend wieder frei.
In Paris kümmerte sich die frühere Lehrerin Hélène Duc um das nun elternlose Mädchen. Deshalb konnte sich Juliette mit dem Leben der Bohème im Quartier Latin vertraut machen und ins Theater gehen, wo sie bald kleine Rollen übernahm. Sie konnte sich gerade so über Wasser halten und litt häufig Hunger. Aus Not trug sie einfach (zu große) Männerkleider, was damals viele «chic» fanden und nachahmten.
Nach dem Krieg kam Juliette Gréco mit den Existenzialisten in Kontakt. Sie machte die Bekanntschaft des Philosophen Maurice Merleau-Ponty (1908–1961). Vor allem aber unterstützte Jean-Paul Sartre die junge Frau; einige seiner Gedichte wurden von ihr im Sprechgesang vorgetragen. 1947 wurde der Nachtclub Le Tabou eröffnet, in dem sie regelmäßig auftrat. Dort begegnete sie den Schriftstellern Boris Vian und Jean Cocteau sowie vor allem dem legendären Jazz-Trompeter Miles Davis, mit dem sie eine Zeitlang auch liiert war. 1949 gab sie ihr Debut in Le Boeuf sur le Toit, einem weiteren Treffpunkt linker Intellektueller. Dort interpretierte sie erstmals «L’éternel féminin» und «Les feuilles mortes» von Jules Laforgue und Jacques Prévert. Ihre erste Platte mit dem Prévert-Lied «Je suis comme je suis» nahm sie 1951 auf; sie sang dieses Lied zusammen mit «Sous le ciel de Paris», «Paris Canaille» und «Ne me quitte pas» auf fast allen zunehmend erfolgreichen Konzerten, die sie bald auch ins Ausland führen sollten. 1954 trat sie erstmals in der legendären Pariser Konzerthalle Olympia auf.
Seit 1947 spielte sie immer wieder auch in Filmen mit; zuerst in Eine Heilige unter Sünderinnen von Julien Duvivier und in Orpheus von Jean Cocteau. 1953 dann eine größere Rolle in Und keiner blieb verschont von Jean-Pierre Melville. Dabei arbeitete sie mit dem Schauspieler Philippe Lemaire zusammen, den sie auch heiratete. Die Ehe hielt aber gerade mal zwei Jahre.
Inzwischen wurden auch internationale Regisseure auf sie aufmerksam, so Henry King, der Hemingways Fiesta verfilmte, Otto Preminger, John Huston und Orson Welles. Daneben führten sie viele Tourneen rund um den Globus; 1967 sang sie in Westberlin vor 60000 begeisterten ZuhörerInnen.
1966 heiratete sie den (in diesem Jahr verstorbenen) Schauspielkollegen Michel Piccoli; beide unterstützten immer wieder – auch nach dem Verbot 1973, als Führungsmitglieder untertauchen mussten – die Ligue Communiste und ihre Zeitung Rouge.
Nach längerer Pause feierte sie 1991 ein erfolgreiches Comeback. Seither erschienen auch immer wieder neue Alben und Kompilationen. Noch als 90jährige stand sie (auch in Deutschland) auf der Bühne.

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