Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2020

Die Situation und mögliche Perspektiven
von Klaus Meier

Die deutsche Autoindustrie befindet sich in einer tiefen Krise. Insbesondere die großen und kleinen Zulieferer planen überall Betriebsschließungen und eine massive Arbeitsplatzvernichtungen. Anders als noch 2008/2009 handelt es sich dabei jedoch nicht um eine Konjunktur-, sondern um eine Strukturkrise.

Es droht der Verlust von mehreren hunderttausend Jobs.
Erschreckend ist die Ratlosigkeit der bürgerlichen Politiker. Auf der einen Seite stehen Bundesverkehrsminister Scheuer oder Bayerns Ministerpräsident Söder. Sie propagieren staatliche Kaufhilfen für alte Diesel- und Benzinkarossen. Scheuer ist entwaffnend ehrlich: «Die müssen vom Hof.» Gemeint sind die Ladenhüter der Autobranche. Eine solche Abwrackprämie würde viele Milliarden Steuergelder kosten, das die Strukturprobleme der Autobranche nicht lösen würde.
Wirtschaftsminister Peter Altmeier schafft es in einem Interview mit dem heute journal nicht einmal, eine irgendwie geartete Lösungsstrategie zu formulieren. Originalton: «Wenn die Umstellung auf Elektrofahrzeuge noch einige Jahre braucht, bis sie richtig in der Breite wirksam wird, dann müssen wir die Frage beantworten, was mit all diesen Arbeitsplätzen in der Zwischenzeit geschehen soll. Das ist eine ganz schwierige, eine hoch verantwortliche Aufgabe.»
Wer jetzt eine Perspektive erwartet hat, wurde schnell enttäuscht: «Wenn wir Klarheit hätten, wo wir 2022, 2023, 2024 stehen, dann wäre möglicherweise auch die Diskussion über Übergangsmaßnahmen etwa bei hochmodernen Verbrennern weniger belastet.» Die Bundesregierung tappt im Dunkeln, da wundert es nicht, wenn sie ergebnislos von Autogipfel zu Autogipfel hüpft.

Bedrohliche Szenarien
Die Automobilindustrie baut derweil die gesamte Branche um, sie setzt auf neue Technologien und auf die Neuausrichtung der Produktionsstandorte. Am Ende eines mehrjährigen Prozesses dürfte die Zahl der Arbeitsplätze in der Autoproduktion, die über die letzten Jahrzehnte immer bei rund 800000 lag, um mehrere hunderttausend geschrumpft sein. Ganze Bataillone von gut organisierten, kampfbereiten Metallern, traditionelle Bastionen der gewerkschaftlichen Organisierung, drohen geschleift zu werden. Wenn das den Konzernen gelingen sollte, würde sich das soziale und politische Kräfteverhältnis nachhaltig zugunsten der Kapitalseite verändern – mit schlimmen Folgen für gewerkschaftliche und ökologische Politik in diesem Lande. Es muss alles getan werden, um dies zu verhindern.

Was sagt die IG Metall?
Doch welche Orientierung verfolgt die Führung der IG Metall in dieser zentralen Auseinandersetzung? IGM-Chef Jörg Hofmann erklärte in einem Interview, kein Beschäftigter dürfe durch Digitalisierung und die Einführung von Elektroautos «unter die Räder» kommen. Seine Lösungsvorschläge fallen allerdings bescheiden aus: Man brauche ganz schnell eine flächendeckende Ladeinfrastruktur in Deutschland. Dazu noch eine Abwrackprämie für alte Benziner und Diesel als «Übergangstechnologie».
Kann das wirklich die gewerkschaftliche Antwort sein? Da werden hunderttausende Arbeitsplätze durch die Einführung der Elektromobilität in Frage gestellt und Hofmann fordert genau dafür die möglichst schnelle Einführung von Ladestationen. Eine Perspektive oder eine Hilfestellung für die eigene Basis gegen die drohenden Arbeitsplatzverluste ist das leider nicht.
Allerdings ist die IG Metall durchaus vielschichtiger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. So rief die Gewerkschaft gemeinsam mit Fridays for Future (FFF) im September 2019 zur Großdemonstration auf. Jörg Hofmann erklärte, IGM und FFF würden darin übereinstimmen, «dass die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens, in dem sich die Welt zu einer drastischen CO2-Reduktion verpflichtet hat, auch eingehalten werden» müssen.

Konversion sichert Arbeitsplätze
Bei den GewerkschafterInnen der von Arbeitsplatzvernichtung bedrohten Autozulieferer gibt es durchaus eine Suche nach Alternativen zur kriselnden Autoproduktion. So haben IGM-Mitglieder aus dem Conti-Werk Karben bei Frankfurt nach eigenen Angaben jahrelang vom Konzernvorstand eine Umrüstung der Produktion gefordert, um die Abhängigkeit vom kriselnden Automobilsektor zu verringern. Die Schaeffler-Betriebsräte fordern «eine gezielte Stärkung aller deutschen Standorte durch innovative und zukunftsfähige Produkte».
Wenn man klären will, was diese innovativen und zukunftsfähigen Produkte sein können, muss man nur die Augen öffnen. Wir stehen heute vor einer dramatischen und zunehmend akut werdenden Klimakatastrophe. Wenn wir eine lebenswerte Welt bewahren wollen, müssen wir die Wirtschaft und besonders auch die Autobranche tiefgreifend umbauen. Wir können auf diesem Planeten nur mit einer klimaneutralen Mobilität überleben.
Das geht nicht mit millionenfacher Herstellung von Ressourcen fressenden Elektroautos, sondern nur mit dem Aufbau eines öffentlichen Personenverkehrs, der Ressourcen spart und das Klima schont: Straßenbahnen, Busse, Eisenbahnen. Ähnlich wie in der Schweiz müssen wir dafür sorgen, dass jeder Ort mit einem gut funktionierenden, gut getakteten und pünktlichen Bahnsystem verbunden wird. Dafür müssen viele tausend Eisenbahnen, Busse und Straßenbahnen gebaut werden. Dazu kommen tausende Kilometer Schienennetze, die neu zu verlegen sind, ausgerüstet mit fortschrittlicher Signaltechnik.
Um diese gewaltige Aufgabe zu bewältigen, reichen die wenigen 10000 Beschäftigten im heutigen Eisenbahnsektor bei Alstom, Bombardier oder Siemens Mobility nicht aus. Hier müssen die hunderttausende Beschäftigten aus der heutigen Autoindustrie einspringen. Sie bringen die notwendige technische Kompetenz und die Erfahrungen mit der Metallumformung und -zerspanung, im Umgang mit Aktoren und Sensoren, mit Steuerungs- und auch mit Softwaretechnik mit. Ein gewisses Maß an zusätzlicher Wissensübertragung in Form von Schulungen und Anleitungen muss sicher durchgeführt werden. Aber man kann auf einem soliden Knowhow aufbauen. Ohne diese KollegInnen wird ein ökologischer Umbau nicht gehen. Schließlich erfordert auch die Entwicklung von Elektroautos neue Qualifikationen.
Das bedeutet aber auch, dass jede Entlassung und jede Betriebsschließung im Automobilbereich angesichts der bevorstehenden Klimakatastrophe und der Notwendigkeit des ökologischen Umbaus schlicht eine Sünde ist.
Auch der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, hat mehrfach auf die Sicherung von Autojobs durch den Aufbau eines ökologischen Verkehrssystems hingewiesen: «Die Zukunft der Automobilindustrie liegt in der CO2-neutralen Produktion von klimafreundlichen E-Autos, von Bussen, Straßenbahnen und Zügen und in der Bereitstellung von Mobilitätskonzepten.» Zur Finanzierung dieser öffentlichen Infrastrukturmaßnahmen verweist Riexinger auf die enormen Rücklagen der Automobilkonzerne und schlägt zusätzlich eine Vermögensteuer vor. Damit könnte ein 120 Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm finanziert werden, für das Millionäre und Milliardäre zur Kasse gebeten würden.

Ein Arbeitskreis Mobilitätswende
In einer Antwort auf Riexinger schlagen führende Braunschweiger VW-Gewerkschafter eine Konversionsdebatte vor, «die über die betriebliche Arena hinausgeht … [an der] Gewerkschaften, Wissenschaft, Politik und möglichst viele Akteure aus dem Themenfeld Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Verkehr teilnehmen». Das ist der richtige Weg. Wenn man die KollegInnen in den von Entlassungen betroffenen Autobetrieben mitnehmen will, muss man ihnen eine möglichst konkrete Alternative aufzeigen.
Warum nicht Betriebsräte, GewerkschafterInnen, ökologisch orientierte Produktionstechniker und Wissenschaftler aus dem Hochschulbereich, Ingenieure und Praktiker aus den betroffenen Autobetrieben sowie dem Bahnsektor in Arbeitskreisen zusammenholen? Sie könnten einen konkreten ökologischen Umbauplan entwickeln, der die Arbeitsplätze in den von Massenentlassungen betroffenen Betrieben sichert und auf den bestehenden technischen Kompetenzen der Autobetriebe aufbaut. Dazu Studien, die diese Konversionsperspektive untermauern. Auf Betriebsversammlungen könnte man diese Alternative den KollegInnen der Autobetriebe vorstellen.
Dass man auf diese Weise etwas bewegen kann, zeigt das Beispiel von Lukas Aerospace in den 70er Jahren in Großbritannien. Als das Rüstungsunternehmen Entlassungen plante, haben GewerkschafterInnen um den Chefkonstrukteur Mike Cooley ein Gegenkonzept entwickelt, das die Herstellung nützlicher Produkte vorschlug. Der Konversionsplan wurde von den Beschäftigten massiv unterstützt.
Heute könnte ein Umbauvorschlag aus mehreren Gründen erfolgreich kommuniziert werden. Erstens sind viele Autobetriebe gleichzeitig von Arbeitsplatzvernichtung betroffen und es gibt nur die Alternative einer Konversion. Und es gibt jetzt schon in den Unternehmen Proteste und eine große Wut. Wenn mehrere Belegschaften mit tausenden von KollegInnen gemeinsam für eine Konversion in Aktion treten, hätte dies eine enorme gesellschaftliche Wirkung.
Zweitens gibt es ein verbreitetes gesellschaftliches Bewusstsein, dass den Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs fordert. Drittens gibt es eine junge Klimagerechtigkeitsbewegung, die für die Unterstützung der Autokolleg­Innen gewonnen werden kann. So schickten Fridays for Future den um ihre Arbeitsplätze kämpfenden Metaller­Innen eine Solidaritätserklärung. Ein ökologischer Umbauplan, der Arbeitsplätze sichert und von der Gewerkschaft mitgetragen wird, würde Hunderttausende mobilisieren.

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