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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2020

Hartz-IV-Beziehende fangen an sich zu wehren
von Ravi T. Kühnel

In Kassel protestierten Ende September rund 50 Hartz-IV-Beziehende für menschenwürdige Verhältnisse, gegen Schikanen und Sanktionen. Verschlossene Türen, lange Warteschlangen, kaltes Bürokratendeutsch und schlicht zu wenig Geld machen den Betroffenen das Leben mit Corona besonders schwer.

«Das Geld reicht vorne und hinten nicht. Eine Erhöhung des Regelsatzes um 14 Euro ist schlichtweg zu wenig.» «Trotz der Senkung der Mehrwertsteuer sind viele Lebensmittel in der Pandemie teurer geworden.» Diese und ähnliche Aussagen waren Ende September in Kassel auf der Kundgebung für menschenwürdige Verhältnisse zu hören. Rund 50 Menschen versammelten sich, um gemeinsam gegen Sanktionen, Schikanen und für einen angemessenen Regelsatz zu protestieren. Gemeinsam mit Gruppen wie der Solidarischen Erwerbslosen Initiative Kassel, der Rothen Ecke, der Linkspartei und Co. erzählten die Betroffenen am offenen Mikrofon von ihren Erfahrungen mit den Ämtern. Denn Frust, Wut und Verzweiflung sitzen tief.
An dem Tag ging es nicht nur darum, dass schlicht zu wenig Geld zum Leben vorhanden ist. Es geht um die alltägliche Plackerei mit Jobcenter, Sozialamt und Co. Es geht um Sanktionen, weil jemand wegen einem kranken Kind nicht rechtzeitig zur Maßnahme erschienen ist, oder weil zu viele Rechtschreibfehler in der Bewerbung waren. Es geht um Schreiben, die immer wieder und immer mehr Unterlagen fordern. Es geht um verschlossene Türen und ellenlange Telefon-Warteschlangen. Es geht um die Angst, Briefe zu öffnen, die in kaltem Bürokratendeutsch gehalten sind und schlaflose Nächte verursachen.
Schon vor der Pandemie waren das Leben mit ALG II, Grundsicherung usw. menschenunwürdig, Corona hat das noch verschärft. Jedes vierte Kind in Kassel lebt in Armut. Während der Krise wurden die Familien in den kleinen Wohnungen allein gelassen, die Ausgaben für Lebensmittel und Hygiene stiegen – trotz Mehrwertsteuersenkung. Mit Schulkindern verschärft sich die soziale Spaltung, denn woher sollte man plötzlich Computer und Kopierer nehmen. Menschen mit geringem oder keinem Einkommen wurden im Stich gelassen.
Daher wird es nicht das letzte Mal gewesen sein, dass dagegen protestiert wird. Der nächste Termin ist ein bundesweiter Protesttag am 30.10. Beteiligt sind bislang Stuttgart, Berlin, Freiburg, Wolfsburg, Kassel und die Region Aachen/Düren.

Weitere Infos auf www.erwerbslos.de.

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