Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2020

Arbeitsplätze sichern und Klima schützen!
Ein Vortrag von Bernd Riexinger

Der nachstehende Text ist die leicht überarbeitete Mitschrift eines Vortrags, den Bernd ­Riexinger am 2.Oktober in Stuttgart im Rahmen einer von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierten Podiumsdiskussion zum Thema «Linker Green New Deal für die Mobilitätswende – eine sozial-ökologische Transformation der (Auto-)Industrie» gehalten hat.

Wir erleben derzeit einen heftigen Angriff auf die Arbeitsplätze in der Autoindustrie. Der hat mit der viel zitierten «Transformation» wenig zu tun. Ich war kürzlich bei Bosch in Bietigheim. Dort schließt Bosch das Werk, weil sie die Produktion nach Ungarn verlagern. Ähnlich verhält es sich mit Ebersbächer, das ist ein Heizungszulieferer. Die verlagern nach Polen.
Mir scheint: Unternehmen wollen die Gunst der Stunde nutzen nach dem Motto: Jetzt können wir Dinge machen, die wir schon lange machen wollten. Wir verlagern Produktionskapazitäten in billigere, insbesondere osteuropäische Länder. Gleichzeitig werden in den hiesigen Betrieben enorm brutale Sparprogramme aufgesetzt: Bei Mahle/Behr gibt es rund 38 Prozent Stellenabbau quer über alle Bereiche. Bei Daimler wird jetzt nochmal nachgezogen. Im Motorenwerk Untertürkheim sollen zusätzlich rund 4000 Arbeitsplätze gestrichen werden – das geschieht, obwohl der Gesamtbetriebsrat schon eine Vereinbarung geschlossen hatte…

Abwehrkämpfe unterstützen
Wir alle wissen: Schon vor der Pandemie gab es eine Überproduktion von Autos. Aber natürlich hat die Pandemie die Probleme erheblich verschärft. Die strukturelle Krise wird weiterbestehen, unabhängig davon wie es mit der Pandemie weitergeht. In dieser Situation muss es für die Linke ein paar grundlegende Positionen geben. In den Auseinandersetzungen um Standortschließungen, radikalen Stellenabbau und Angriffen auf die Belegschaften müssen wir alles tun, um deren Kampf dagegen zu unterstützen.
Es ist vollkommen richtig, wenn die KollegInnen sagen: Das lassen wir uns nicht gefallen. Ich bin grundsätzlich dagegen, wenn Standorte, die von den Belegschaften in 30 oder 40 Jahren aufgebaut wurden, vom Management mit einem Federstrich geschlossen werden und damit mehrere hundert oder tausend Menschen erwerbslos und in Existenznot gestürzt werden. Das ist der erste Ausgangspunkt.
Der zweite Ausgangspunkt: Das, was als Transformationsprozess bezeichnet wird, ist in erster Linie ein Umbau der Automobilindustrie beim Antrieb. Statt Diesel und Benziner macht man Elektromotoren. Allein dieser Umbau kostet 100000–200000 Arbeitsplätze. Das hat aber gar nichts mit Mobilitätswende zu tun, wie wir sie uns vorstellen. Allein wenn es einfach nur so weitergeht, wenn der jetzt vom Management angepeilte Transformationsprozess kommt, werden wir ein Viertel der Arbeitsplätze in der Autoindustrie verlieren. Einfach deshalb, weil in einem Elektroauto wesentlich weniger Teile sind als in einem Diesel oder Benziner. Das trifft vor allem die Zuliefererindustrie.
Es gibt aber noch andere Gründe: Der Markteintritt von Schwellenländern bei Elektroautos wird wesentlich einfacher sein als jetzt bei Dieseln und Benzinern, die internationale Konkurrenz wird zunehmen. Und dann kommen noch die Internetkonzerne als neue Akteure hinzu, weil die Digitalisierung des Autos ebenfalls einen neuen Konkurrenzschub auslöst. Liefern dann die Autokonzerne die Hardware und Google und Facebook die Software? Oder läuft es umgekehrt?

Ein «Weiter so» hilft nicht
Deswegen meine ich: Ein «Weiter so» hilft weder dem Klima noch den Arbeitsplätzen. Wir können nicht sagen: Wir machen eine Transformation zu Elektroautos und das schützt dann die Arbeitsplätze und das Klima. Beides stimmt nicht! Eine Elektromotorisierung hin zu kleineren Autos macht für eine gewisse Übergangszeit Sinn. Aber in einen 400-PS-SUV eine 700-Kilo-Batterie einzubauen, macht ökologisch keinen Sinn.
Wir müssen uns klar darüber werden, was die Konzeption der Manager in der Autoindustrie ist. Die denken, wir haben – weltweit betrachtet – eine ständig wachsende obere Mittelschicht. Dank dieser Leute wird die Nachfrage nach 400-PS-SUVs von Mercedes und Porsche steigen. Diesen Weltmarkt wollen sie bedienen. Nach ihren Vorstellungen sollen der Staat und die Gesellschaft die dafür erforderlichen Infrastrukturkosten aufbringen, nicht die Konzerne mit ihren Riesengewinnen. Da waren ja immerhin 180 Milliarden an Gewinnrückstellungen allein bei den drei großen deutschen Automobilkonzernen BMW, Daimler und VW. Ich vermisse die Stimmen, die sagen: Eigentlich müssen zunächst mal die Gewinne für den Umbau eingesetzt werden und nicht Abwrackprämien oder staatliche Mittel.
Wir wissen: Der einzige Bereich, der seit den 90er Jahren die Emissionen weiter erhöht hat, ist der Individualverkehr. Alle anderen Bereiche verzeichnen einen Rückgang – keinen ausreichenden, aber immerhin einen Rückgang. Ob die Klimaziele erreicht werden, hängt nicht zuletzt davon ab, dass wir diese Emissionen gewaltig zurückbauen. Dabei muss man beachten: Es geht nicht allein um die Frage des Antriebs. Die meisten Emissionen entstehen beim Bau der Autos. Auch dürfen wir die Ökologiefrage nicht auf die Frage der Emissionen verkürzen. Da werden enorme Ressourcen verbraucht. Um ein Auto überhaupt herzustellen, findet ein enormer Raubbau an der Natur statt.
Also: Wir müssen weg vom Individualverkehr. Die Städte der Zukunft müssen emissionsfrei sein, Städte der kurzen Wege, fußgängerfreundlich, so dass man Arztbesuch, Einkaufen, kulturelle Angebote zu Fuß tätigen kann. Nötig sind ein großzügiger Ausbau von Fahrradwegen und ein massiver Ausbau des ÖPNV mit Verbindungen von der Endhaltestelle bis zum Wohngebiet, wo man sich mit Kleinbussen bewegen und sich mit einer App einwählen kann, damit die Einkäufe vors Haus geliefert werden. Das ist, so glaube ich, die Zukunft, die kommt schneller als man denkt. Sie muss auch kommen, aus Klimaschutzgründen. Das bedeutet aber: Die Städte werden nach und nach immer mehr autofrei werden… Es wird mehr autofreie Zonen geben. Die Automobilindustrie muss sich darauf einstellen, dass es weniger Autos geben wird. Und dass es kleinere Autos geben muss. Und dass neue Verkehrssysteme kommen werden…

Gemeinsamer Widerstand
Wie können wir trotzdem die Arbeitsplätze schützen? Neben dem, dass mensch sich wehren muss, verstehe ich nicht, warum die IG Metall jetzt nicht versucht, die Betriebe zusammenzufassen und einen gemeinsamen Widerstand zu organisieren. Es werden ja praktisch alle Betriebe der Branche angegriffen. Man sollte sich darum kümmern, dass die Betriebe nicht einzeln abgeschlachtet werden. Es muss einen gemeinsamen Widerstand geben.
Das ist dann auch die Basis, um über Alternativen zu diskutieren. Wenn wir gemeinsam überlegen: Was kann die Autoindustrie produzieren außer Autos?, werden wir damit für eine Übergangszeit und in Verbindung mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung mehr Arbeitsplätze schützen können.

Konversionsdebatte anstoßen
Wir haben gerade einen enormen Mangel bei der Bahn. Die Bahn kann nicht ausgebaut werden, weil die Lieferanten weder Lokomotiven, noch Waggons, noch Zubehör, noch Weichen liefern können. Da gibt es große Engpässe. Ein wesentlicher Bahnzulieferer, Bombardier, schließt in Mannheim den Standort. Da kriegst du ’nen Vogel.
Das gleiche gilt für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Der muss massiv ausgebaut werden. Das funktioniert momentan nicht, weil nicht einmal für den bestehenden Bedarf Waggons, Triebwagen und viele andere Dinge geliefert werden können. Und auch wenn wir einen stärkeren Akzent auf die Bahn und den ÖPNV legen, werden wir eine zunehmende Digitalisierung der Verkehrssysteme an den Schnittstellen der unterschiedlichen Verkehrsarten brauchen. Das sind alles Dinge, die die Automobilindustrie mit ihrem Knowhow produzieren kann. Ich bin überzeugt, dass das mehr Arbeitsplätze schafft als der Umstieg auf das Elektroauto.
Ich glaube deshalb, dass wir eine neue Konversionsdebatte in der Autoindustrie anstoßen sollten. Es gab ja immer wieder mal Versuche zu einer solchen Debatte. Bei Daimler in Untertürkheim gab es bereits Ende der 70er Jahre eine Diskussion: Können wir nicht sowas wie Universalmaschinen machen, die auch andere Dinge produzieren können als Autos?
Diese Debatten sind immer schnell weggedrückt worden, wenn dann ein wirtschaftlicher Aufschwung einsetzte. Ich glaube, das wird diesmal nicht der Ausweg aus der Krise sein. Ich glaube nicht, dass es jetzt einen weiteren Aufschwung geben wird, an dessen Ende die Produktion von noch mehr Autos bei noch höheren Gewinnspannen steht. Das wäre im übrigen auch nicht wünschenswert.
Deswegen brauchen wir eine Debatte in eine andere Richtung. Ich weiß, dass diese Debatte enorm schwer zu führen ist. Ich habe aber bei Bosch folgendes bemerkt: Wenn klar ist, dass wir mit ihnen für ihre Arbeitsplätze kämpfen, fängt die Diskussion an: Was können wir denn sonst noch machen?
Die haben dort bei Bosch ein «Campus-Konzept» entwickelt. Sie sagen: Wir wollen keine Achsen mehr entwickeln. Wir wollen stärker in die Weiterbildung gehen, wir wollen neue Produkte entwickeln. So lässt sich der Standort erhalten. Darum fand eine Debatte statt, in deren Verlauf der Betriebsrat ein alternatives Konzept eingebracht hat. Dafür kämpfen die Kol­leg­Innen.
Sie sagen gleichzeitig aber Folgendes: Solange wir diese alternative Produktion nicht haben, darf die gegenwärtige Produktion auch nicht verlagert werden. Das sind im übrigen Mindeststandards in der Klassenauseinandersetzung, dass man nicht auf etwas setzt, das in der fernen Zukunft liegt, und dafür hier und jetzt das Bestehende schon mal hergibt.

Auch eine politische Auseinandersetzung
Das wird natürlich nur klappen, wenn man nicht der Linie der Manager folgt, sondern wenn man eine wirkliche Gegenposition aufbaut, für die man auch kämpft. Diese Kämpfe gilt es mit einer Debatte um neue Zukunftskonzepte zu verbinden, die das Klima schützen und gleichzeitig den Beschäftigten eine verlässliche Zukunft geben.
Das wird nur möglich sein, wenn es politisch begleitet wird von mehr Mitbestimmung, Wirtschaftsdemokratie und eine entsprechende Investitionsplanung auf der Bundesebene, die über den rein betrieblichen Rahmen hinausgeht. Deshalb muss es neben der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung auch eine politische Auseinandersetzung um den sozialökologischen Umbau der Industrie geben. Und die bildet bekanntlich den Kern der Industrie in Deutschland.
Der Bund darf keine Mittel an Betriebe geben, die ins Ausland verlagern. Und wir müssen uns die Mühe machen, ein Konzept zu erarbeiten, und dieses Programm mit den Kolleginnen und Kollegen diskutieren.
Wenn es uns nicht gelingt, die Inter­essen der Kolleginnen und Kollegen der Autoindustrie mit einzubeziehen und mit ihnen in die Auseinandersetzung zu kommen, wird die Debatte um neue Mobilitätskonzepte scheitern. Deswegen sollten wir beides machen: Arbeitsplätze sichern und Klima schützen.

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