Eine Studie des Wuppertal-Instituts im Auftrag von Fridays for Future
von Hanno Raußendorf*
Wir haben noch höchstens 4,2 Gigatonnen CO2
Mitte Oktober hat Fridays for Future (FFF) eine Studie* vorgestellt, die aufzeigen will, wie Deutschland seinen Beitrag zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels leisten kann.
Dafür hat FFF beim Wuppertal-Institut eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die sich an den Zahlen des Weltklimarats orientiert. Der hatte 2018 in einem Sonderbericht dargestellt, wieviel fossiles CO2 die Menschheit noch ausstoßen darf, wenn sie die Klimakatastrophe mit einiger Wahrscheinlichkeit vermeiden will. Abzüglich der zwischenzeitlich bereits emittierten Menge und umgerechnet auf Deutschlands Anteil an der Weltbevölkerung, gehen die WissenschaftlerInnen davon aus, dass für Deutschland ab 2020 noch ein Restbudget von 4,2 Gigatonnen CO2 übrig bleibt, um mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent den Anstieg der Temperatur weltweit auf durchschnittlich 1,5 Grad zu begrenzen.
Die gleichmäßige Verteilung der verbleibenden CO2-Menge auf alle BewohnerInnen des Planeten lässt allerdings die historische Verantwortung der Industrienationen unberücksichtigt und beschränkt die Möglichkeit des globalen Südens zu einer nachholenden industriellen Entwicklung.
Auch scheint, wie Greta Thunberg in ihrer «How-dare-you»-Rede letztes Jahr in New York betont hat, eine nur 50prozentige Erfolgswahrscheinlichkeit nicht eben hoch, wenn das drohende Risiko die weltweite Klimakatastrophe ist. Für eine auf 67 Prozent gesteigerte Erfolgswahrscheinlichkeit verblieben Deutschland nach Schätzung des Instituts aber nur 2,5 Gigatonnen CO2. Die wären voraussichtlich in den kommenden drei Jahren ausgeschöpft.
Obwohl sie von einem 4,2-Gigatonnen-CO2-Budget ausgehen, sind die AutorInnen nur beschränkt optimistisch. Rechtzeitige CO2-Neutralität sei zwar grundsätzlich möglich, jedoch aus technischer und ökonomischer Sicht «extrem anspruchsvoll». Reduziere Deutschland seine Emissionen jedes Jahr linear um die gleiche Menge, müsste es bereits 2032 klimaneutral sein. Werden die Emissionen bis zur Mitte dieses Jahrzehnts stärker reduziert, kann dieser Zeitpunkt auf 2035 geschoben werden.
Ein verheerendes Zeugnis stellt die Studie der Klimapolitik der Bundesregierung aus. Sie ist nach wie vor auf Dekarbonisierung bis zur Jahrhundertmitte ausgerichtet und verfehlt das vorgegebene Emissionsziel um den Faktor 2,5.
Die Studie beleuchtet notwendige Maßnahmen in den Bereichen Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Gebäude und zeigt dabei eine gewaltige Diskrepanz zwischen Notwendigkeit und Wirklichkeit auf. Im Bereich des Ausbaus der erneuerbaren Energien z.B. kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die inländischen Kapazitäten ohne eine nachhaltige Veränderung des Lebensstils um jährlich rund 40 Gigawatt ausgebaut werden müssten.
Auch bei mehr Konsumeinschränkung würde immer noch jährlich eine Steigerung über 25 Gigawatt benötigt, will man sich nicht von gegenwärtig unabsehbaren Wasserstoffimporten im großen Stil abhängig machen.
Selbst wenn diese in absehbarer Zeit ökologisch erzeugt und in den notwendigen Mengen zur Verfügung stünden, wäre für ein klimaneutrales Energiesystem bis 2035 ein jährlicher Zubau von 15 Gigawatt Wind- und PV-Leistung notwendig.
Die Planung der Bundesregierung sieht für das kommende Jahrzehnt nur rund 10 Gigawatt pro Jahr vor, der durchschnittliche Anstieg in den vergangenen zwei Jahren betrug gar nur etwa 6 Gigawatt. Man muss schon ganz unterschiedliche Rekordjahre im Ausbau von Photovoltaik (8 Gigawatt 2012), Onshore-Windenergie (über 5 Gigawatt 2017) und Offshore-Windenergie (über 2 Gigawatt 2015) aufaddieren, um überhaupt und auch nur rechnerisch auf 15 Gigawatt mindestens notwendigen Zubau zu kommen.
Auch in den Bereichen Industrie, Verkehr und Gebäude fordert die Studie sofortige und einschneidende Maßnahmen. Wegen der langen Lebensdauer von Industrieanlagen – vor allem im Bereich der energieintensiven Industrie – verlangen die WissenschaftlerInnen mit sofortiger Wirkung ausschließlich treibhausgasneutralität-kompatible Neuinstallationen, den konsequenten und schnellen Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, wie die forcierte Entwicklung und Markteinführung nichtfossiler Prozesstechnologien.
Im Bereich Verkehr wird ein Paradigmenwechsel für staatliche Investitionen gefordert. So braucht es für den öffentlichen Verkehr eine Verdopplung der Förderungen auf etwa 24 Milliarden Euro und eine Erhöhung der Investitionen ins Schienennetz auf rund 12 Milliarden Euro pro Jahr. Der Pkw-Verkehr soll CO2-neutral und um die Hälfte reduziert werden.
Bis 2035 müssten, laut der Studie, jährlich etwa 4 Prozent aller Gebäude nach Passivhaus- oder mindestens KfW-55-Standard energetisch saniert werden – doppelt so viele, wie nach den Plänen der Bundesregierung vorgesehen. Spätestens in der nächsten Legislaturperiode soll ein Verbot für die Neuinstallation fossiler Heizungen ergehen.
* Hanno Raußendorf ist Sprecher für Klima und Umwelt im Landesvorstand der Partei DIE LINKE in Nordrhein-Westfalen.
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