Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2020

Sand im Getriebe des Fortschritts
von Manfred Dietenberger*

Wie kein anderer Konzern wäre die ZF Friedrichshafen dazu prädestiniert, Vorreiter für die Mobilitätswende zu werden. Auch wegen seiner Eigentumsstruktur. Nachstehend die 5.Folge unserer Serie über die ZF Friedrichshafen.

Die ZF Friedrichshafen, neben Bosch und Conti Europas drittgrößter Automobilzulieferer, kaufte bekanntlich Mitte 2020 (mit fremdfinanziertem Geld) für 6,3 Milliarden Euro den amerikanisch-belgischen Bremsenhersteller Wabco auf und teilte den ZF-Beschäftigten fast zeitgleich per «Mitarbeiterbrief» mit: «Aus heutiger Sicht müssen wir bis 2025 weltweit unsere Kapazitäten anpassen und 12000 bis 15000 Arbeitsplätze abbauen, davon etwa die Hälfte in Deutschland.» Der Brief war unterzeichnet vom Vorstandschef Wolf-Henning Scheider und der Personalchefin Sabine Jaskula. Achim Dietrich, Gesamtbetriebsratsvorsitzender und Aufsichtsratsmitglied im ZF-Konzern zeigte sich in der Öffentlichkeit erstaunt und «genauso wie die Belegschaft» überrascht (siehe auch SoZ 9/20).
In der Zahnradfabrik Friedrichshafen AG liegt wie bei jeder anderen Aktiengesellschaft die faktische Entscheidungsmacht bei dem vom Eigentümer bestimmten Vorstand, und der denkt ausschließlich in der Kapitallogik. Der Aufsichtsrat «kontrolliert» – wenn überhaupt – die Arbeitnehmerbank.
Die industriestrategische Logik, die zur Übernahme von Wabco führte, macht vordergründig Sinn: Die «Zackenbude», wie der traditionelle Getriebehersteller ZF-Friedrichshafen von den Kollegen zuweilen genannt wird, kaufte sich Wabcos Bremstechnologie und beschleunigte damit rasant die Weiterentwicklung autonomer Fahrsysteme – nicht nur für Nutzfahrzeuge. Vordergründiger Zweck ist, die bei ZF-F bis dato schon vorhandenen Technologien rund um autonome Fahrsysteme in den Nutzfahrzeugbereich zu übertragen. Denn dort wird sich das autonome Fahren nach Erwartung des ZF-Vorstandsvorsitzenden Wolf-Henning Scheider schneller entwickeln als im Pkw-Bereich, auf den bislang rund 80 Prozent der gesamten Geschäftstätigkeit von ZF entfallen.
Dieser Deal plus die 2015 ebenfalls voll fremdfinanzierte Übernahme des US-Konzerns TRW Automotive wurden jeweils mit Zustimmung der BetriebsratskollegInnen auf der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat möglich. Sie wurden ihnen als «Zukunftsicherungs-Verträge» verkauft. Aktuell ist der ZF-Konzern also in Sachen Technologie gut, in Sachen Finanzen jedoch grottenschlecht aufgestellt.
Das wirft eine Menge wichtiger Fragen auf: Wussten die Kollegen auf der Arbeitnehmerbank des Aufsichtsrats wirklich nichts von den geplanten Entlassungen, oder hielten sie still, um den milliardenteuren Übernahmedeal nicht in letzter Sekunde zu gefährden? Was hätten sie wissen können? Was müssen? Wer hat eigentlich das Sagen im ZF-Konzern? Die Beschäftigten sind es auf jeden Fall nicht, der Betriebsrat nur bedingt. Der Vorstandsvorsitzende tritt öffentlich in Erscheinung – in den Medien und inzwischen auch auf Betriebsversammlungen. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats taucht von Zeit zu Zeit in den Medien auf, die übrigen Aufsichtsratsmitglieder bleiben im Medienschatten.

Wem gehört die ZF?
Wem gehört die Zahnradfabrik Friedrichshafen AG und wer hat das Sagen bei ZF? Die Antwort ist komplex: Die ZF Friedrichshafen gehört weder einem einzelnen Kapitalisten oder Familienclan noch einer anonymen Ansammlung von Aktionären, sondern der Zeppelin-Stiftung in Friedrichshafen. Wer aber um Gottes Willen ist die Zeppelin-Stiftung?
Als 1908 in Echterdingen bei Stuttgart das Luftschiff LZ4 nach der Landung in Flammen aufgegangen und völlig zerstört war, kam es zu einer landesweiten Spendenwelle, die insgesamt die damals ungeheure Summe von 6,2 Millionen Reichsmark aufbrachte. Nach der Zerschlagung des Hitler-Faschismus 1945 lag auch Friedrichshafen als eine der Rüstungshauptstädte in Schutt und Asche und es drohte die Demontage der Friedrichshafener Rüstungsbetriebe. Auf Drängen der örtlichen Antifaschisten und Belegschaftsvertreter liquidierte das Direktorium des Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württemberg-Hohenzollern 1947 per Gesetz die alte Stiftung und führte deren Vermögen in eine unselbstständige Gemeindestiftung über. Das Stiftungsvermögen stellt somit ein städtisches Sondervermögen dar.

Die Macht des OB
Die Zeppelin-Stiftung ist deutschlandweit die größte kommunale Stiftung. Die Stiftung ist Eigentümerin und mit 93,8 Prozent Hauptaktionärin der ZF Friedrichshafen AG. Dass Stiftungen Anteile an Unternehmen halten, ist nichts Ungewöhnliches, doch eine so enge Verzahnung zwischen Kommune und Industrie wie in diesem Fall sucht vergeblich ihresgleichen.
Andreas Brand (parteilos) ist seit 2009 Oberbürgermeister der Stadt Friedrichshafen, 2017 wurde er für weitere acht Jahre wiedergewählt. Als OB ist Brand Chef der gesamten Stadtverwaltung, Vorsitzender des Gemeinderats sowie Repräsentant und gesetzlicher Vertreter der Stadt und der Zeppelin-Stiftung. Träger der rechtlich unselbstständigen Zeppelin-Stiftung ist die Stadt Friedrichshafen, vertreten durch den Oberbürgermeister. Brand sitzt außerdem als Mitglied im Aufsichtsrat der ZF Friedrichshafen, der Luftschiffbau Zeppelin GmbH und der Zeppelin Systems GmbH. Brand ist Vorsitzender des Stiftungsrats der Zeppelin-Stiftung, Mitglied im Stiftungsrat der Zeppelin Universität-Stiftung (Privat-Uni) und Vorsitzender des Stiftungsrats der ZF-Kunststiftung.
Dazu ist er noch Aufsichtsratsvorsitzender des Klinikums, der Messe GmbH, der Technischen Werke Friedrichshafen, der Stadtwerk am See GmbH. Weitere Mandate und Aufgaben sind: stellvertretender Vorsitzender des Beirats Katamaran-Reederei Bodensee GmbH & Co. KG; Mitglied im Verwaltungsrat des Zweckverbands «Gasversorgung Oberschwaben» (GVO).
Vom ausgewiesenen Gewinn der ZF Friedrichshafen gehen bislang 18 Prozent an die Zeppelin-Stiftung. Über die Verwendung des Stiftungsvermögens – ausschließlich für «mildtätige und gemeinnützige Zwecke» – entscheidet der Gemeinderat jeweils in den Haushaltsberatungen. Um alle laufenden Projekte zu finanzieren, benötigt die Zeppelin-Stiftung rund 90 Millionen Euro.
Der Stiftungsrat ist ein Ausschuss des Gemeinderats und befasst sich vorberatend und empfehlend mit strategischen und konzeptionellen Fragen rund um die Zeppelin-Stiftung, ist aber nicht operativ tätig. Der Stiftungsrat setzt sich zusammen aus dem Oberbürgermeister und den Fraktionen im Gemeinderat: CDU, Grüne, SPD/LINKE-Fraktionsgemeinschaft (2:1), Freie Wähler sowie dem Stiftungspfleger als ständigem Beisitzer (ohne Stimme).
Ständige Mitglieder im Stiftungsrat sind:
– Martin Koehler, Diplom-Ingenieur, langjähriger Seniorpartner bei der Boston Consulting Group, Mitglied im Aufsichtsrat der Lufthansa, Mitglied im Aufsichtsrat der Flixmobility GmbH (der Holdinggesellschaft von Flixbus), stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der DELTON Technology. Er verantwortete zudem zehn Jahre lang den Aufbau der Kinderrechtsorganisation «Save the Children» in Deutschland, zuletzt als deren Aufsichtsratsvorsitzender;
– Klaus Eberhardt, ehemals Vorstandsvorsitzender der Rheinmetall AG und ehemals Aufsichtsratsvorsitzender der Dürr AG, Aufsichtsratsvorsitzender der MTU Aero Engines und der ElringKlinger AG sowie Vorstandsmitglied der C.D.Wälzholz-Familienstiftungen;
– Johannes Fritz, ausgebildeter Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Leiter des Family Office der Familien Stefan Quandt und Susanne Klatten und deren Vertreter in den Aufsichtsgremien von Beteiligungen, Geschäftsführer der SKion GmbH (der Beteiligungsgesellschaft von Susanne Klatten), Vorstand in zwei privaten gemeinnützigen Stiftungen.

Co-Manager?
Offensichtlich sehen die KollegInnen, die bei der ZF Friedrichshafen auf der Arbeitnehmerbank des Aufsichtsrats sitzen, ihre Rolle nicht als die einer grundsätzlich möglichen Gegenmacht. Ihnen wird eingeredet – und sie glauben es gern –, sie seien so etwas wie Co-Manager. Und je mehr der internationale Konkurrenzkampf tobt und je tiefer der Strukturwandel wirkt, desto enger verbandeln sie sich mit «ihrer» Unternehmensführung und deren Zielen und halten ihre Interessen für identisch mit denen der Kapitalvertreter. Ganz in der Standortlogik gefangen, stimmen sie (natürlich nur ungern!) ständig neuen Arbeitsplatzabbauplänen und der Kürzung von einst von ihnen selbst mit ihrer Gewerkschaft erkämpften Löhne und betrieblichen Sozialleistungen zu.
Doch die Kapitalseite hat ihre «Sozialpartnerschaft» längst aufgekündigt. Aus ihrer Kapitalbesitzerrolle leitet sie ihre Macht über alle und alles ab. Den ZF-Beschäftigten, also den eigentlichen Produzenten, bleibt die Entscheidung, was von wem, für wen, wie, wo und zu welchen Bedingungen produziert wird, noch immer verwehrt, obwohl sie allein den gesellschaftlichen Reichtum schaffen. Es ist zu wenig, wenn die ZF-Dividende, die dem Wissen und Fleiß aller ZF-Beschäftigten entspringt, die Stadt nur im Sozialhaushalt entlastet.
Die gegenwärtige multiple Wirtschaftsstruktur-Ökologie- und Klimakrise und die zunehmende Kriegsgefahr bilden den Hintergrund für die Herausforderungen, vor denen die Beschäftigten der ZF stehen. Bei der notwendigen Entwicklung einer ökosozialen, demokratischen Perspektive fällt der ZF Friedrichshafen als Stiftungsbetrieb im kommunalen Besitz eine exponierte Rolle zu. Auch deshalb, weil zur Demokratie im Betrieb unabdingbar auch die Einbeziehung von Vertretern der Ökologie- und der Verbraucherbewegungen gehört. Die überkommene betriebliche «Mitbestimmung» in Form des Betriebs- und Aufsichtsrats ist ein alter Schraubenschlüssel, der immer weniger dazu taugt, an den zum Umbau notwendigen Stellschrauben zu drehen.

*Der Autor hat in den 70er Jahren bei der ZF Friedrichshafen gearbeitet.

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