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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2020

…um die Klimakatastrophe aufzuhalten
Interview mit Andreas Malm

Immer noch zeigen sich die Staaten wenig entschlossen, Maßnahmen zur Bewältigung des Klimanotstands zu ergreifen. Klimawandel ist aber kein Problem der Zukunft mehr – die Staatsmacht muss jetzt genutzt werden, um eine drastische Neuordnung der Volkswirtschaften durchzusetzen.

Das folgende Interview mit Andreas Malm führte Dominic Mealy für Jacobin.

Was hat COVID-19 mit der Klimakatastrophe zu tun?

Der Vergleich zwischen COVID-19 und der Klimakatastrophe ist insofern fehlerhaft, als die aktuelle Pandemie eine spezifisches Ereignis, die globale Erwärmung hingegen ein säkularer Trend ist. Nichtsdestotrotz verkennen wir das Wesen des COVID-19-Ausbruchs, wenn wir nicht sehen, dass er eine extreme – allerdings überfällige – Manifestation eines anderen säkularen Trends ist: des Anstiegs der Infektionskrankheiten, die von Wildtieren auf menschliche Populationen überspringen. Dieser Trend hat in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen und wird sich in Zukunft voraussichtlich noch beschleunigen.
Die größte treibende Kraft hinter der Entstehung von Pandemien ist die Entwaldung, sie ist auch der zweitgrößte Verursacher des globalen Klimawandels. Die größte Artenvielfalt auf der Erde findet sich in den Tropenwäldern, und diese Artenvielfalt umfasst Krankheitserreger. Im allgemeinen stellen diese Krankheitserreger, die sich in wilden Lebensräumen unter nichtmenschlichen Tieren verbreiten, kein Problem für die Menschen dar, solange diese sich von ihnen fernhalten. Das Problem entsteht dann, wenn die menschliche Ökonomie immer tiefer und tiefer in diese Lebensräume eindringt. Die Rodung von Wäldern für Holzeinschlag, Landwirtschaft, Bergbau und Straßenbau schafft neue Schnittstellen, an denen Menschen mit wildlebenden Tieren in Kontakt kommen.
Die globale Erwärmung beschleunigt diesen Trend. Wenn die Temperaturen steigen, sind bestimmte Tiere gezwungen ein Klima zu suchen, das dem entspricht, an das sie angepasst sind. Es entsteht ein allgemeines Chaos, in dem Tierpopulationen – darunter vor allem Fledermäuse – zunehmend mit menschlichen Populationen in Kontakt kommen und die Übertragungsrate dadurch steigt.
Die beiden Trends, globale Erwärmung und globale Erkrankung, stellen zwei Dimensionen einer umfassenderen ökologischen Katastrophe dar.

Doch die Antwort auf die beiden Krisen könnte unterschiedlicher nicht sein. Auf den Klimawandel gibt es kaum oder halbherzige Reaktionen, der Ausbruch von COVID-19 hat eine ökonomische Intervention ausgelöst, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat. Wie erklärst du diesen Gegensatz?

Der Hauptgrund liegt in der unterschiedlichen Geschwindigkeit, in der sich Opfer zeigen. Ähnlich wie die globale Erwärmung verursacht die Pandemie ihre meisten Opfer unter der Arbeiterklasse – sie leiden am meisten und werden am ehesten sterben, vor allem farbige Menschen aus verschiedenen Brennpunkten des globalen Südens. Die Reichen können sich leicht selbst isolieren, indem sie in Zweithäuser auf dem Land flüchten und Zugang zu privater Gesundheitsversorgung haben.
Doch es gibt einen großen Unterschied: COVID-19 traf in seiner Frühphase auch die Reichen, Kapitalisten, Prominente und Politiker erkrankten, Menschen, die derzeit unter der Klimakrise nicht zu leiden haben. Reiche fliegen einfach mehr als Arme, so war die Luftfahrt ein primärer Übertragungsweg für das Virus. In Brasilien z.B. war es der wohlhabende Teil der Gesellschaft, der das Virus einschleppte, aber jetzt sind es die einfachen Leute, die in Scharen sterben. Das ist bei Klimakatastrophen einfach nicht der Fall, und es ist einer der Schlüsselfaktoren, der die auffallend unterschiedliche Reaktion der Regierungen erklärt.

Die Linke wurde vom Ausmaß der staatlichen Intervention völlig überrascht. Hat jetzt dem neoliberalen Kapitalismus die Totenglocke geläutet? Kann dies eine Gelegenheit für die Linke sein, für ihre Bewegungen und Ideen mehr Unterstützung zu gewinnen?

Ich denke, dass die Regierungen das in der Erwartung getan haben, dass die Krise bald vorbei ist und wir wieder zur Tagesordnung übergehen können. Bislang sehe ich keine Initiative zur Bekämpfung von COVID-19, die über die Aufrechterhaltung des Systems hin­aus­geht.
Eine erfolgreiche Strategie zur Bewältigung der Klimakrise wird einen Weg finden müssen, Umweltgerechtigkeit, den Kampf der Arbeiterklasse und die Opposition gegen die extreme Rechte miteinander zu verzahnen. Der Ausweg aus der sich entfaltenden Gesundheits- und Wirtschaftskrise wird darin bestehen, eine Bewegung aufzubauen, die in der Lage ist, eine sehr schnelle Abkehr von fossilen Brennstoffen zu erreichen – nicht irgendein grüner Keynesianismus, nicht ein paar neue Investitionen in erneuerbare Energien, die an die fossile Ökonomie angehängt werden, sondern tatsächliche Zerstörung des fossilen Kapitals selbst, einschließlich der sofortigen Schließung der Kohlebergwerke und der Beendigung der Massenluftfahrt. Das geht nur über massive öffentliche Investitionen und eine stärkere staatliche Kontrolle über weite Teile der Wirtschaft.

Wie groß muss das Ausmaß der Interventionen sein, um einen nachhaltigen grünen Übergang zu erreichen?

Zum Teil mehr, zum Teil weniger als was zur Bekämpfung der Pandemie ausgegeben wurde. Es bedarf einer grundlegenden und nachhaltigen Transformation des Energiesystems und der Energieproduktion. Um den globalen Temperaturanstieg bei 1,5 °C zu stabilisieren, müssen die Emissionen jährlich um 8 Prozent reduziert werden, bis die Netto-Nulllinie erreicht ist. Eine solche Kehrtwende ist völlig unmöglich, wenn man nur an Marktmechanismen herumbastelt oder Kohlenstoff besteuert, vielmehr erfordert sie eine massive Ausweitung des Staatseigentums und eine umfassende Wirtschaftsplanung.

Viele Versorgungsgesellschaften sind bereits in staatlicher Hand, und dennoch sind sie weiter Dreckschleudern. Was antwortest du darauf?

Öffentliches Eigentum ist an und für sich kein Allheilmittel, aber es erleichtert die Aufgabe der Dekarbonisierung erheblich. Der Vorteil von Versorgungsunternehmen in Staatsbesitz besteht darin, dass sie von den Regierungen sehr schnell umgebaut werden können. Sie müssen nicht erst enteignet werden.

Du bist ein prominenter Kritiker des Begriffs Anthropozän und hast stattdessen den Begriff «Kapitalozän» geprägt, um die derzeitige geologische Epoche zu beschreiben.

Das Argument, dass die Menschheit selbst das Problem ist, verfolgt den Umweltdiskurs wie ein Gespenst. Man findet es im jüngsten Michael-Moore-Film Planet of the Humans, man findet es in der rechtsextremen Rhetorik, man findet es im liberalen umweltpolitischen Diskurs. Es ist verderblich, zutiefst falsch und politisch gefährlich.
Es ist nicht die Menschheit im allgemeinen, die die Verantwortung für die Abholzung der Wälder, die globale Erwärmung und den Handel mit wildlebenden Tieren trägt, es ist das Kapital. Die Strategien zur Bekämpfung der Pandemie versuchen nur, das Symptom, nämlich das Virus zu bekämpfen, ihre Ursachen werden nicht angegangen. Die Verantwortung für die Eindämmung der Seuche wird auf einfache Menschen abgewälzt, die bestraft werden, wenn sie nicht in der Lage sind, sich selbst zu isolieren. Man kann aber der Faktoren, die die Pandemien auslösen, nicht dadurch Herr werden, dass man an die einzelnen Bürger appelliert, ihre Gewohnheiten zu ändern, ebensowenig wie man dem Klimawandel durch eine Änderung des eigenen Konsumverhaltens begegnen kann.
Nehmen wir z.B. Palmöl, dessen Anbau einer der Hauptgründe für die Abholzung der Wälder in den Tropen ist, nicht zuletzt in Südostasien, wo Fledermäuse und andere Wildtiere in großer Zahl unter dem Vordringen der Plantagen leiden. Wenn ich hier in Schweden ein Stück Pfannkuchen esse, ist es fast unmöglich, einen zu finden, der kein Palmöl enthält, und ich als Verbraucher kann nichts dagegen tun – die Verantwortung liegt beim Erzeuger.

Sollte die Staatsgewalt dazu genutzt werden, bestimmte Formen des umweltschädlichen Verbrauchs einzuschränken, oder sollte sie dazu genutzt werden, die Produktionsweise zu ändern?

Die Staatsmacht sollte auf jeden Fall dazu genutzt werden, Luxusemissionen der Reichen zu verhindern – Privatjets sollten gänzlich verboten werden, ebenso SUVs und andere Fahrzeuge, die unvertretbare Mengen an Treibstoff verbrauchen. Diese Emissionsquellen gehören zu den am wenigsten sozial notwendigen.
Anders verhält es sich etwa mit dem Methan aus Reisfeldern in Indien, hier müssen die durch den Reisanbau erzeugten Emissionen gegen die Notwendigkeit abgewogen werden, Grundnahrungsmittel für die Bevölkerung herzustellen. Eine erfolgreiche Abkehr von fossilen Brennstoffen kann nicht durch die vollständige Planung und Rationierung des individuellen Verbrauchs bewerkstelligt werden. Aber einige Formen des Konsums werden in der Tat eingeschränkt oder ganz abgeschafft werden müssen – und das geht nicht über den Markt oder mit Appellen an ethischen Konsum, sondern nur durch staatliche Regulierung.
Ein solcher Zuwachs an Staatsmacht birgt die Gefahr der Bürokratisierung und der autoritären Führung. Es gibt bereits einen Trend in diese Richtung, so nutzt bspw. Ungarn die Pandemie, um die Demokratie zu untergraben und den staatlichen Zwang zu verstärken. Wenn die Energiewende jedoch von unten durchgesetzt wird und soziale Bewegungen die Macht über die staatlichen Organe haben, die den Übergang vorantreiben, kann diese Gefahr eingedämmt werden.

Du forderst einen «ökologischen Leninismus». Was meinst du damit?

Das sozialistische Erbe bietet eine Reihe von Ansatzpunkten, an denen man anknüpfen kann. Das Problem der Sozialdemokratie ist, dass sie keine Vorstellung von Katastrophe hat – vielmehr geht sie davon aus, dass wir Zeit zur Verfügung und die Geschichte auf unserer Seite haben, sodass wir uns schrittweise auf eine sozialistische Gesellschaft zubewegen können. Wir befinden uns aber in einer chronischen Notsituation, in der Krisen in beschleunigtem Tempo ablaufen und uns damit ein völlig anderes Tempo aufzwingen. Auch der Anarchismus bietet für diese Aufgabe keine ausreichende Handhabe, da er per Definition staatsfeindlich ist. Es ist aber kaum zu erkennen, wie der erforderliche Übergang anders als mit Hilfe der Staatsmacht bewerkstelligt werden könnte.
Bei der Suche nach Vorbildern für ein Konzept für den Einsatz von Staatsmacht in einer chronischen Notsituation hat, stößt man auf die antistalinistische leninistische Tradition. Darin eingebettet ist auch die Einsicht in die Gefahren und Widersprüche, die sich aus der Staatsmacht ergeben. Die gesamte strategische Ausrichtung Lenins nach 1914 bestand darin, den Ersten Weltkrieg in einen Todesstoß gegen den Kapitalismus zu verwandeln. Das ist genau die strategische Ausrichtung, die wir heute auch annehmen müssen – das meine ich mit ökologischem Leninismus. Wir müssen einen Weg finden, die Umweltkrise in eine Krise des fossilen Kapitals zu verwandeln.

Andreas Malm forscht an der Universität Lund in Schweden am Institut für Humanökologie und engagiert sich seit fast 20 Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Er ist Mitglied von Socialistisk Politik, der schwedischen Sektion der IV. Internationale.
Von Andreas Malm erschien im Oktober 2020 bei Matthes & Seitz sein Buch
Klima | x (263 S., 15 Euro) und im November im selben Verlag Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen (240 S., 18 Euro).

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