Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2020

Ein Rückblick auf die Tarifrunde im öffentlichen Dienst
von Violetta Bock

Seehofer nennt das Ergebnis in der Süddeutschen Zeitung finanziell gesehen «an der Grenze des Verkraftbaren». Für den Bund bedeute das Tarifergebnis 1,2 Mrd. Euro jährliche Mehrkosten.

Das ist nicht viel angesichts der Milliarden, die en passant in private Unternehmen gesteckt werden. Aber Beschäftigte sind ja auch keine Unternehmen, sondern kümmern sich nur darum, dass täglich unsere Busse fahren, die Verwaltungen laufen, Kinder betreut, Mülltonnen geleert, Patienten gepflegt, Jobs vermittelt werden… Und das heißt: Sie bekommen nichts geschenkt, sie müssen kämpfen. Das machten Bund und Kommunen in dieser Tarifrunde sehr deutlich.
Für die Gewerkschaft sollte diese Tarifrunde eigentlich im Zeichen der Arbeitszeit stehen. Im Nahverkehr sollte der Durchbruch gelingen. Lange war sie vorbereitet worden – die erste Tarifrunde und der erste Tarifabschluss unter der neuen Führung mit Frank Werneke als Vorsitzendem und Christine Behle als seiner Stellvertreterin.
Eine weltweite Pandemie rückt die essentielle Bedeutung der öffentlichen Daseinsfürsorge ins Zentrum, aber dies führt nicht dazu, dass dieser Bereich gestärkt wird, im Gegenteil: Die Arbeitgeber schlagen zuerst das Angebot eines «Kurzläufer Tarifvertrags» aus und wollen dann die Situation – Belastung durch die Pandemie, schwierige Bedingungen, um kollektive Stärke und Zusammenkommen zu entwickeln – nutzen, um Verschlechterungen etwa in den Entgeltgruppen durchzusetzen.

Neue Methoden
Nun müsste es eigentlich um die zentrale Frage gehen, wer zahlt für die Krise. Ver.di reagiert daraufhin proaktiv. Mit Organizing holt sich die Gewerkschaft erfahrene Campaigner an Bord und es wird eine Mobilisierungswelle gestartet. Tarifbotschafter werden aufgebaut, die mit der Bundesebene in direktem Kontakt stehen und Informationen erhalten und rückspiegeln können. Neue, unkonventionelle Methoden werden ausprobiert und bleiben hoffentlich erhalten, wie etwa die Nutzung der Streiks, um sich im Betrieb an die KollegInnen zu wenden. Dadurch werden in manchen Bezirken mehr und neue KollegInnen erreicht im Vergleich zu den letzten Tarifrunden. Hier wurden in jedem Fall Erfahrungen fernab von der üblichen Routine gemacht.
Bei der zweiten Verhandlungsrunde wollen die Arbeitgeber immer noch eine Laufzeit bis ins Jahr 2023 und die Ost-West-Angleichung der Arbeitszeit erst 2025. Frank Werneke bezeichnet dies als «besonders skandalös». Die Arbeitgeber faseln etwas von Verantwortung und versuchen, die Öffentlichkeit gegen diejenigen aufzubringen, die sie selbst im April noch als Helden mit Dankesworten bedacht haben.
200000 Beschäftigte schließen sich daraufhin am 22.September den Warnstreiks an und legen das öffentliche Leben für einen Tag still, kurz vor der dritten Verhandlungsrunde folgen weitere Streiks am 20. und 21.Oktober. Angesichts der steigenden Infektionszahlen sind die Aktionen dezentral, in einigen Städten werden nicht mal verschiedenen Bereiche wie Krankenhaus und Stadtverwaltung zusammengeführt. Für solidarische Bündnisse ist es teils schwer, Informationen zu bekommen. Ab von örtlichen Besonderheiten macht dies doch deutlich, dass das Motto der Tarifrunde diesmal eben nicht war: «Wir zahlen nicht für eure Krise», sondern «Jetzt seid ihr dran» – gerichtet an die Beschäftigten.

Gemischtes Bild
Die dritte Verhandlungsrunde ist immer besonders. Nicht nur Corona drängt. Gibt es keinen Abschluss, folgt entweder die Abstimmung über weitere Streikmaßnahmen oder die Schlichtung. Manche meinen, die öffentliche Stimmung kippt. Nach vier Tagen zähen Verhandlungen liegt das Ergebnis am 25.Oktober auf dem Tisch. Die Foren sind voll wütender Kommentare.
Fragt man herum, bietet sich ein sehr gemischtes Bild. Diesmal gab es sogar Beschäftigte, die sich bedanken. Sie sind erleichtert, dass Angriffe der Arbeitgeber abgewehrt werden konnten. Gerade noch geschafft, bevor die zweite Welle kommt. Manche Gruppen profitieren stärker, andere gehen leer aus. Es gibt Eintritte und Austritte.
Nach 30 Jahren Einheit kommt endlich die Angleichung der Arbeitszeit – noch nicht ganz, aber sie ist in die Wege geleitet. Die unteren Lohngruppen erhalten mehr, auch das ist keineswegs selbstverständlich. Die prozentuale Erhöhung (gefordert waren 4,8 Prozent innerhalb eines Jahres, erreicht wurden 3,2 Prozent bis Ende 2022) dagegen dient eher dem Inflationsausgleich, ob es gar zum Reallohnverlust kommt, wird sich zeigen.
Das Ergebnis nennt Frank Werneke respektabel: «In dieser besonderen Zeit haben wir herausgeholt, was herauszuholen war.» VKA-Präsident und Verhandlungsführer Ulrich Mädge meint: «Dabei haben wir einen wirtschaftlich verkraftbaren Abschluss erreicht, der den kommunalen Arbeitgebern Planungssicherheit gibt.»
Diese Tarifrunde war mit Sicherheit nicht einfach. Die Bedingungen waren schwer und es ging für beide Seiten um viel, entsprechend scharf war der Gegenwind. Und auch wenn es, befördert durch die Krisensituation, Zeichen von Hoffnung für ein Ausbrechen aus der Tarifroutine gegeben haben mag – Erfahrungen, die es auszuwerten und an die es anzuknüpfen gilt –, so endete die Runde doch eher wie immer.
Denn war mehr drin? Man wird es nicht erfahren, und das ist Teil des Problems. Denn das ist nicht zuletzt abhängig davon, wie viele Beschäftigte bei den Streiks dabei geblieben wären und weitere KollegInnen gewinnen hätten können. Nun gab es darüber aber keinen gemeinsamen Prozess. Es wurde ein Stimmungsbild eingeholt, aber nicht von den Mitgliedern entschieden, ob man mit diesem Ergebnis zufrieden ist oder wagt, noch mehr zu holen unter Abwägung der Pandemie, der Situation vor Ort, der Reaktion der anderen Beschäftigten etc. Die Tarifbotschafter wurden für die Mobilisierung genutzt.
Bei der Tarifrunde im öffentlichen Dienst gab es viel Beteiligung, zur vollumfänglichen Demokratie hat es noch nicht gereicht.

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