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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2020

Die EU-Agrarwende ist abgesagt
von Hanno Raußendorf*

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist der größte Haushaltsposten der Europäischen Union. 58 Milliarden Euro sind es allein in diesem Jahr, mehr als ein Drittel des Gesamtbudgets. Derzeit verhandelt die EU über die Fortsetzung der GAP in den nächsten sieben Jahren.

Ökolandbau oder weiter wie bisher, also vor allem Förderung der industriellen Landwirtschaft: Die Verteilung dieses Geldes ist entscheidend.
Ende März 2021 sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein. Mitte Oktober haben das Europäische Parlament und der zuständige Ministerrat jeweils ihre Position zur GAP vorgelegt. Keiner dieser Entwürfe berücksichtigt jedoch Klimakatastrophe, Artenschutz oder die Produktion von hochwertigen Lebensmitteln unter sozialen Bedingungen. Nun beginnt die Phase des «Trilogs», an dem als dritte Partei auch die EU-Kommission beteiligt ist, die den ursprünglichen Entwurf zur neuen GAP vorgelegt hatte.
Wissenschaftlich erwiesen ist: Die Erhitzung des Klimas ist nur aufzuhalten, wenn auch die Landwirtschaft weniger Treibhausgase erzeugt. Überdüngung und industrielle Tierhaltung sind die wichtigsten Faktoren. Auch die Zerstörung von Moorlandschaften für die landwirtschaftliche Nutzung sind schädlich für das Klima: Moore sind die effektivsten Kohlenstoffspeicher aller ländlichen Lebensräume. Aber weder die Massentierhaltung, noch die intensive Stickstoffdüngung – in Deutschland für rund 80 Prozent der Lachgasemissionen verantwortlich, ein hochwirksames Treibhausgas, 265mal wirksamer als Kohlendioxid – sollen durch die vorliegenden Entwürfe entscheidend eingeschränkt werden.

Wunde Natur
Die Biodiversität nimmt in der EU dramatisch ab, immer mehr Arten – ob Tiere oder Pflanzen – sterben aus. Sie tragen viel zur Fähigkeit der Ökosysteme bei, das Klima zu regulieren und unsere Ernährung zu sichern.
Seit Oktober liegt der aktuelle Bericht der Europäischen Umweltagentur zur Lage der Natur Europas vor. Demnach sind nur 15 Prozent der Lebensräume in der EU in einem gutem Zustand. Der Rückgang von geschützten Arten und Lebensräumen hält weiter an. Viele halten dem großen Druck zwar gerade noch stand, aber die Mehrzahl ist in einem schlechten Zustand. Der Trend für einige Pflanzen und Tiere geht immer weiter abwärts. Auch hier spielt die Agrarwirtschaft eine wichtige Rolle: Intensive landwirtschaftliche Bodennutzung, immer weniger Hecken und Wildwuchs zwischen den Ackerflächen und der Einsatz von Pestiziden sind dabei die größten Probleme, etwa für Bienen, andere Insekten und Vögel.
In der EU werden rund 40 Prozent der Landfläche landwirtschaftlich genutzt. Wie dies geschieht, ist deshalb von entscheidender Bedeutung für das Überleben vieler heimischer Tier- und Pflanzenarten. Artenschutz, der nicht auch die Landwirtschaft auf strenge Standards verpflichtet, wird auf Dauer nicht erfolgreich sein können.
Auf die oft sehr schlechten Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft haben in diesem Jahr u.a. die Vorfälle auf dem Spargelhof Ritter bei Bornheim aufmerksam gemacht. Die SaisonarbeiterInnen waren unter erbärmlichen hygienischen Bedingungen in Mehrbettzimmern untergebracht und verdienten teils weniger als ein Drittel des gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohns. Auch an diesen krassen Formen der Ausbeutung wird die geplante Agrarreform nichts ändern. Eine Koppelung von Zahlungen an soziale Mindeststandards ist in der GAP nicht vorgesehen.

Subventionen ohne Gegenleistungen
Direktzahlungen in Form einer Flächenprämie für Landwirte machen mit 40 Milliarden Euro gegenwärtig den Löwenanteil der Brüsseler Agrarsubventionen aus. Im Durchschnitt erhält jeder Agrarbetrieb 10000 Euro jährlich. Insbesondere kleine und mittlere Betriebe sind in hohem Maße von diesen Zahlungen abhängig. Aber sie sind ungerecht verteilt: LandwirtInnen mit besonders großen Agrarflächen bekommen mit Abstand das meiste Geld. In Deutschland kassieren weniger als 2 Prozent der Betriebe ein Viertel dieser Gelder. Ob die neue GAP daran etwas ändern wird, ist mehr als fraglich. Bisher konnte sich die Lobby der großen Agrarkonzerne immer wieder durchsetzen und hat eine Umverteilung der Gelder zugunsten der kleineren und mittleren Landwirtschaftsbetriebe verhindert.
Diese Subventionen verteilt die EU weitgehend ohne Gegenleistung. Seit vielen Jahren fordern Umwelt- und alternative Landwirtschaftsverbände, die Zahlungen der EU am Gemeinwohl zu orientieren, also Auflagen für den Umweltschutz einzuführen und nicht nur die Fläche, sondern auch die Anzahl der Beschäftigten und die Lohnkosten mit zu berücksichtigen. Aber dazu konnte sich der EU-Gesetzgeber nicht durchringen. Er hat so die Möglichkeit verpasst, ein umfassendes Fördersystem zu schaffen, das neben sozialen Kriterien auf die Bewahrung von Ökosystemen und der Biodiversität abstellt.
Gegen die soziale Schieflage der Flächenprämie ist nun eine «Kappungsgrenze» im Gespräch. Das Europäische Parlament will eine Degression der Zahlungen ab 60000 Euro und eine verbindliche Obergrenze von 100000 Euro je Betrieb. Bisher waren große Molkereibetriebe, aber auch staatliche Liegenschaftsverwaltungen die Topprofiteure. Jährliche Zahlungen konnten auch im mehrstelligen Millionenbereich liegen. Offen ist, was von diesen Kappungsplänen unter dem Druck von mächtigen Lobbyinteressen noch übrig bleiben wird. Die deutsche Agrarministerin Klöckner jedenfalls pocht auf Freiwilligkeit bei ihrer Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Bisher wurde jeder Vorstoß für eine Obergrenze der Direktzahlungen verwässert.
Die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union müsse eine «Gemeinsame Ökosystempolitik» werden, fordert neben vielen Umweltverbänden auch der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU), ein Beratungsgremium der Bundesregierung, in einem jüngst veröffentlichten Gutachten (siehe Kasten). Subventionen dürften nicht mehr an Fläche, sondern müssten an Leistungen für das Ökosystem gebunden werden. Das wird so nicht geschehen, keiner der bisher vorliegenden Entwürfe schlägt das vor.
Einen ökologischen Anstrich soll es geben mit Hilfe sogenannter Eco-Schemes. Auch diese Direktzahlungen sind an die Fläche gebunden. Landwirte sollen sie jedes Jahr neu beantragen und dann jeweils entscheiden, ob und mit welchen Flächen sie an dem Programm teilnehmen. Umweltziele, die sich nur durch langfristige Maßnahmen und eine bestimmte Bewirtschaftung derselben Fläche erreichen lassen, werden durch solche Eco-Schemes kaum zu erreichen sein. Geplant ist, das die EU-Mitgliedstaaten das Programm verpflichtend anbieten müssen, es aber weitgehend unabhängig ausgestalten dürfen.
Ob ein Betrieb Flächen für ein Eco-Scheme anmeldet, wird also am Ende von der finanziellen Attraktivität abhängen, die Wirksamkeit des Programms vom Katalog der geförderten Maßnahmen, die vom Ökolandbau bis hin zu brachliegenden Flächen reichen können. Da die Teilnahme an dem Programm für die Landwirte freiwillig ist, kann es bei mangelnder Attraktivität passieren, dass die vorgesehenen Mittel gar nicht abgerufen werden.

Öko-Anstrich
Streit wird es noch darum geben, ob künftig 30 Prozent der Direktzahlungen für Eco-Schemes reserviert werden – so fordert es das Parlament – oder lediglich 20 Prozent, wie es der Beschluss des Ministerrats vorsieht. Mit ihrer Einführung hat man nicht besonders eilig: 2021 beginnt eine zweijährige Übergangsfrist. Nach den Vorstellungen von Agrarministerin Klöckner sollen darauf weitere zwei Jahre einer Gewöhnungsphase folgen. Die Mitgliedstaaten sollen dann die Gelder wieder als klassische Flächenprämie auszahlen dürfen, falls sie «unerwartet» dann doch nicht für die Eco-Schemes verbraucht werden. Sollte sie sich damit durchsetzen, könnten vier Jahre vergehen, bis die Eco-Schemes überhaupt richtig Fahrt aufnehmen.
Die Eco-Schemes lösen das bisherige Greening ab, wonach die Auszahlung von 30 Prozent der Flächenprämie an besondere Umweltmaßnahmen gebunden war. Dieses 2015 eingeführte Instrument hat sich nach allgemeiner Meinung nicht bewährt: zu wenig ambitioniert, kaum nachhaltig.
Zusätzlich soll nun eine gewisse ökologische Orientierung durch die sogenannte «erweiterte Konditionalität» erreicht werden. Sie legt Grundanforderungen für den Erhalt sämtlicher Mittel im Rahmen der GAP fest – etwa Flächen in einem «guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand» zu erhalten, dazu gehören Vorgaben beim Fruchtwechsel, zum Umwelt- und Tierschutz, zur Lebens- und Futtermittelsicherheit, zu Bodenschutz und Wasserrecht. Ergänzt werden sollen diese Standards um einen Mindestumfang an nichtproduktiven Flächen.
Der Naturschutzbund Deutschland bescheinigt dem ursprüngliche Entwurf der EU-Kommission «an einigen Stellen … tatsächlich eine höhere Ambition erkennbar» wäre, allerdings seien viele der Standards das absolute Minimum dessen was notwendig ist, um Umwelt und Natur nicht zu schädigen. Und selbst dieses Minimum ist noch nicht garantiert: Im Rahmen des Trilogs könnten die Standards noch verwässert werden.
Nach einer Umfrage der EU kritisieren 92 Prozent der BürgerInnen und 64 Prozent der LandwirtInnen den fehlenden Umwelt- und Klimaschutz bei der GAP. Noch im Frühjahr hatte die Europäische Kommission medienwirksam ihre «Farm to Fork» Strategie vorgestellt. Das Ziel: bis 2030 ein Viertel der gesamten landwirtschaftlichen Fläche ökologisch zu bewirtschaften. Jetzt hätten den Worten Taten folgen müssen. Aber die Agrarwende, wie sie die Klimabewegung, Umweltverbände NaturschützerInnen und linke Parteien seit Jahren fordern, ist abgesagt.

*Der Autor ist Sprecher für Klima, Umwelt und Landwirtschaft im Landesvorstand der Partei DIE LINKE in NRW.

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