Florian Hurtig: Paradise Lost. München: Oekom-Verlag, 2020. 432 S., 28 Euro
von Rolf Euler
Das verlorene Paradies oder die «Vertreibung» aus dem Paradies ist eine Erzählung aus der Bibel und anderen Überlieferungen. Phantasie und Glauben mischen sich, aber es gibt eine ganz reale historische Grundlage für diese Mythen und die deckt Florian Hurtig in seinem Buch Paradise Lost auf.
Es geht um die Vertreibung der traditionellen Lebens- und Produktionsweise der Urgesellschaften, die Verwandlung und den Raub der Allmende durch die frühen staatlichen Organisationen, das «Ende der Vielfalt» und den «Siegeszug der Monokultur» – so der Untertitel.
Das Buch ist ein kenntnisreicher und aufrüttelnder Zug durch die menschliche Geschichte. Hurtig ist als Baumpfleger zum Klimaaktivisten und Baumhausbewohner geworden, Gründer einer solidarischen Landwirtschaft, hat sich in Eigenarbeit historische und soziale Kenntnisse angeeignet und wendet den Begriff der «Polykultur» nicht nur auf den Anbau und die Nutzung von landwirtschaftlichen Produkten an, sondern auch auf die sozialen Verhältnisse der Menschen untereinander.
Florian Hurtig bezieht sich in seinem Buch auf viele neuere Erkenntnisse über die alten Gesellschaften und ihre Vorläufer. Esskastanien oder Haselnüsse nennt er als die frühesten Bäume, die für Nahrungszwecke kultiviert wurden. Damals gehörte die Fläche, auf denen sie wuchsen, der Allgemeinheit der örtlichen Gesellschaft, eben die Allmende. Mit relativ wenig Arbeitsaufwand lebten Menschen von Sammeln, Jagen, Fischfang, Früchten. Bäume trugen jahrelang Früchte, wohingegen der Anbau von Getreidepflanzen jedes Jahr erneut erfolgen muss.
Der Übergang der Urgesellschaft zur bäuerlichen Gesellschaft ging einher mit der Entstehung von Hierarchien und Staaten und unfreier Arbeit, Eigentum an Grund und Boden. Die Entwicklung von Städten und Verwaltungen und damit die Ausbeutung der bäuerlichen Bevölkerung für Adel, Bürokratie und Soldaten werden in dem Buch mit ihren dramatischen Auswirkungen geschildert.
Lokale und historische Kenntnisse aus Jahrhunderten über die Besonderheiten von Boden und Pflanzen und die nötige Vielfalt ihres biologischen Zusammenwirkens wurden immer stärker zurückgedrängt zugunsten von (Getreide-)Monokulturen und Monopolen, technologischer Aufrüstung und Raub der allgemein zu nutzenden Flächen.
Von der Zeit der frühen staatlichen Organisationen im Zweistromland bis hin zur Besetzung der europäischen Kolonien in Amerika, der Ausrottung großer Teile der indigenen Bevölkerung, der Verwüstung fruchtbaren Bodens zeigt das Buch die verheerenden Folgen des «Siegeszugs» von Monopolen und Monokulturen – statt Vielfalt einheitliche Saaten von Mais, Getreide, Reis auf riesigen Feldern, unter kapitalistischen Gewinnmaximen möglichst rationell wie in Fabriksystemen angebaut und mit Kunstdünger, Pflanzenschutzmitteln und Gentechnik «veredelt». Das hat nicht nur desaströse Folgen für den fruchtbaren Erdboden, von dem das Leben auf der Erde abhängt, sondern auch für das monopolisierte Konsumleben, das sich weltweit an westlichen Maßstäben ausrichtet.
Er schreibt: «Der Begriff der Monokultur ist ja ein zweideutiger: Er bezeichnet zum einen die Monoanbauweise einer einzigen Pflanzenkultur. Zum anderen nutzen wir ihn hier aber für die Beschreibung der Verengung des gesellschaftlich-kulturellen Handelns auf die Hervorbringung des im Kern Immergleichen.»
Ein Ausblick auf die Gegenbewegungen, etwa die Verteidigung der Lebens- und Produktionsweise gegen US-amerikanische Konzerne am Beispiel der Zapatisten, oder zum Beispiel der Wiedereinrichtung von gemeinsamen Baum- und Gartenkulturen sorgt in dem Buch von Florian Hurtig für Vorstellungen, was zu tun wäre.
«Lebt also, als ob ihr tatsächlich auf dieser Welt lebtet, als ob euer Tun Spuren in dieser Welt hinterlassen würde … und als ob es nicht egal wäre, ob es zur Ausbeutung anderer Menschen und zur Verwüstung der Natur beiträgt oder ob es den Grundstein für eine verantwortete, wirkliche Welt setzt…»
So enden 400 ganz wichtige Seiten!
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